Um kurz nach 6.00 schmeiße ich die Jungs aus dem Bett, um 7.00 starten wir. Es gibt ein kurzes Frühstück an der Tankstelle, dann weiter, km für km durch Holland, Belgien und Frankreich. Tommy und ich wechseln uns beim Fahren ab, Tommy fährt bis Calais. Wir erreichen tatsächlich den Check-in, dann die erste Schwierigkeit- die Züge konnten heute morgen nicht fahren und es gibt einen Rückstau. Nach einer Stunde Wartezeit kommen wir dann doch in den Zug. Auf der englischen Seite sind noch über 400km zu fahren und wir müssen an London vorbei, wo es immer Stau gibt.
Die Probleme mit dem Schnee gehen weiter- eine Spur der Autobahn ist gesperrt, die Gegenfahrbahn sogar ganz. Mit Mühe kämpfen wir uns durch. Die Briten scheinen auf den Winter nicht vorbereitet zu sein, kaum jemand benutzt Winterreifen. In den englischen Zeitungen lesen wir, dass in einigen Regionen aufgrund des Schnees Lebensmittel und Benzin knapp werden. Ansonsten ist England, wie es war- die Autobahnraststätten erinnern an die DDR mit ihrem vorsinflutlichem Charme, die Erfindung der Mischbatterie ist an England immer noch vorübergegangen, wenn man sich die Hände wäscht, muß man aufpassen, denn das heiße Wasser aus dem rechten Hahn ist kochend heiß. In jeder Raststätte lungert eine Kompanie an Personal herum. Überall stehen Schilder: Caution, wet floor. Und der ist glatt!
Irgendwie kommen wir vorwärts, wir sind gegen 17.00 in Leeds, unserem Ziel. Nigel, der Mann der uns einlud, ist ein lokaler Bluespromotor, er organisiert Bands für alle möglichen Kneipen. Er ist ein Zigeuner, ein riesiger Typ mit damals langen Haaren und einem langen Bart, in den Rastazöpfe geflochten waren. Er war Roadie und Backgroundsänger für Bands, z.B. Bebop Deluxe, hatte Läden für Hippiekram gehabt. Jetzt lebt er scheinbar von der Vermittlung für Bands, ob er noch Stütze bezieht, kriegen wir nie raus. Er hatte uns geschrieben, dass er Krebs hat und Chemotherapien hinter sich hatte, wir sind etwas bange, wie er jetzt aussieht.
Er lebt mit seiner Frau Trudie in einem riesigen Hochhaus in einer Sozialsiedlung. Im Eingang riecht es streng nach Kiff, Müll liegt im Eingangsbereich und manchmal im Lift.
Und dann stehen wir vor seiner Tür-großes Hallo! Nigel hat kaum Haare, er sieht aus wie ein Opa, geht mir durch den Kopf. Aber seine Art ist dieselbe, auch Trudie heiß uns willkommen. Wir quatschen erleichtert drauflos, was nicht so einfach ist, Nigel spricht starken Slang, in Leeds wird das „u“ tatsächlich wie das deutsche „u“ gesprochen, was einen zuerst völlig verwirrt. Ich komme schnell wieder rein. Die beiden empfangen uns herzlich, Nigel zeigt uns seine Malereien mit Zigeunermotiven, wir erzählen von uns. Bizarr: nebenbei läuft der Fernseher mit dem Bild der Überwachungskamera vor der Haustür.
Nach einer Stunde fahren wir in die Stadt, wir spielen in Hoagys Bar, the roughiest Pub at Leeds, wie ein Typ in einem Laden murmelt. Schnell etwas essen, dann aufbauen. Hoagys ist ein großer Pub, überall laufen auf großen Bildschirmen Sportsendungen. Wir haben eine Vorband, die schon einmal vor uns gespielt hat, als wir mit The Blues Dentists hier waren. Großes Hallo. Ers ist ein verrücktes Gefühl, wir sind eine deutsche Band 1600 km von zu Hause und sind hier bekannt, schräg. Dann geht es los, die Vorband spielt, wie wir ein Trio. Sie haben schon zwei Cds und eine Sendung auf BBC gehabt und spielen eigenes Zeug, sehr getragen, aber gut. Dann legen wir los. Ich hatte nie verstanden, warum die Leute hier oder auch anderswo so auf uns abfahren, aber es ist Tatsache, wir kommen an. Ich bin kein richtig guter Leadgitarrist, auch die anderen beiden sind kein Übermusiker. Aber zusammen hebt das ab, wir spielen auf den Punkt, es gibt wenig Gefrickel, ein wenig Punkmentalität (Hey, ho lets go) steckt in uns, schließlich hab ich mal in einer Punkband angefangen. Wir haben kaum langsame Stücke, wir spielen „La Grange“ von ZZ Top, „Pride and joy“ von SRV und „Hey Joe“, dann heben die Leute ab. Nach zwei Stunden sind wir fertig, wir haben schließlich die Fahrt in den Knochen. Um 24.00 sind wir bei Nigel, trinken noch was und ich falle dann um.
Schlafen tun wir bei Nigel, früher haben wir je zu zweit in einem Bett geschlafen, jetzt sind wir nur zu dritt und ich habe ein Bett für mich.