Andre Williams portrait J LangfordGleich zwei Alben wurden von der 1936 geborenen Blues- und Soullegende Andre Williams 2012 veröffentlicht. Doch ob nun mit den alternativen Country-Rockern The Sadies oder mit einer Truppe rund um Bassist Don Was: Der seit rund zwei Jahren nüchterne Sänger ist nicht nur Womanizer sondern auch Gesellschaftskritiker par excellence.

 

Schlimmer als in Amerika ist‘s eigentlich nur, wenn man in Afrika lebt. Und auch wenn ihr singt: A Change Is Gonna Come – wenn Du kein Geld in Amerika hast, dann bist Du nicht mehr als Trash. Dann biste geliefert. Eine Stimme gebrochen vom Alter, grantelnd und grummelnd. Dazu Frauen im Hintergrund singend. Und eine Orgel wie grad aus ser Kirche um die Ecke geborgt. Andere der oft skizzenhaft kurzen Lieder erzählen von Freunden aus dem Knasrt, vom Fehlen der Frau im Leben. Sie ist gegangen, weil sie es nicht mehr ertragen hat. Und jetzt ist da niemand mehr, der ihn küsst und seinen Hund. Und immer wieder von Amerika, dass einem „70jährigem Nigger“ keine Chace lässt. Vor allem Mississippi, davor kann er nur warnen. Schlimmer ist eigentlich nur Joliet, der Knast von Chicago – oder eigentlich die Schwester von Mississippi. (Und nicht der lustige Laden, den wir aus Blues Brothers kennen.)

Man weiß beim eben veröffentlichten Album „Night & Day“ von Andre Williams und The Sadies nicht, welche Lieder er unter Rum und Drogen und welche er nüchtern aufgenommen hat. Denn die ersten Nummern des Albums gehen auf Sessions im Jahre 2008 zurück, als der Sänger wegen der Drogen immer mal wieder im Knast landete. Als Williams dann so ab 2010 seine Sucht endlich im Griff hatte, da wurde die Arbeit mit der kanadiscgen Countryband wieder aufgenommen, mit der er 1999 schon „Red Dirt“ veröffentlicht hatte. „Night & Day“ ist als Titel also durchaus programmatisch gemeint; Hier ist einer endlich der Nacht entkommen und auf seine alten Tage wieder im Tageslicht angekommen. Aber viel mehr Hoffnung sieht er dadurch auch nicht. Nur die Dankbarkeit bleibt, dass er es doch noch geschafft hat. Denn nüchtern war er wohl seit den späten 60er Jahren nicht mehr. Irgendwann damals war er mit Ike Turner in Kalifornien für Monate in einer Dauerparty abgestürzt. Immer wieder liest man in dem Zusammenhang von einem LKW voll Koks, den er seither durch die Nase gezogen haben soll. Und von Unmengen Rum, der die Kehle hinunter floss.

Hier muss man wohl doch mal erläutern, wer Andre Williams eigentlich ist. Denn trotz hunderter Lieder, die er für andere geschrieben hat, trotz zahlloser Platten, die er seit den späten fünfziger Jahren produziert hat – Andre Williams ist zumindest hierzulande immer ein Geheimtipp geblieben. Denn einer wirklichen Karriere stand nicht nur sein exzessives Leben sondern auch sein mehr als schwieriger Charakter immer wieder im Wege.

Was eigentlich jeder kennt sind Lieder wie „Shake Yer Tailfeather“ (das er ursprünglich für The Five Dutones schrieb und produzierte und das durch Filme wie „Blues Brothers“ oder auch John Waters‘ Hairspray ewiges Leben erhielt.) Oder seinen Hit „Jail Bait“, weil Keith Richards ihn seit Jahrzehnten immer wieder als sein Lieblingslied bezeichnet, wenn er danach gefragt wird. Und man kennt all die Firmen und Bands, mit denen er arbeitete: erst etwa für Motown als Songschreiber und Produzent wirkte, aber auf Dauer mit Barry Gordy nicht auskam (oder besser: der nicht mit ihm). Später war er dann bei Chess in Chicago, wo er Hits aufnahm und als Entertainer (sein großes Vorbild war Cab Calloway) bekannt wurde. Die Shows müssen damals legendär gewesen sein – Williams immer in lavendelfarbigen Anzügen. Und immer bereit, zu spontanen Textexkursionen – nicht umsonst wird er „Großvater des Rap“ genannt. Produziert hat er so verschiedene Leute wie Parliament und die Red Hot Chili Peppers. Songs geschrieben hat er mit Stevie Wonder, als der bei Motown noch ein Kinderstar war.

Und dann war irgendwann Schluss. Seinem Kumpel Ike Turner war er wohl nie wirklich böse wegen all der Drogen. Aber sein Leben hatte der paar Jahre eher wieder im Griff. Irgendwann war Williams obdachlos und bettelte auf den Brücken von Chicago.. Wegen aller möglichen Delikte kam er immer wieder ins Gefängnis. Etwa für den Verkauf raubkopierter CDs. Bis in den 90er Jahren Jon Spencer ihn wieder ins Studio schleppte und ihn quasi per Dekret zum Punk-Blueser machte. Oder auch zum „Black Godfather“, wie er sich ab sofort nannte. Jon Spencer war für Williams ein Mann mit einem Herzen „so groß wie der Arsch einer deutschen Frau“. Endlich konnte Williams wieder Konzerte geben, auf Tour bis nach Europa gehen und dort eine neue Generation von Fans gewinnen, die seinen Geschichten lauschten. Und die damit seinen enormen Bedarf an Alkohol und Drogen finanzierten.

Auch mit anderen eher dem Garagengenre zugehörigen Bands ging er seither ins Studio. Seine Lieder pendeln zwischen rockigem Soulblues, Funkrock bis hin zum Country (mit den Sadies). Doch eigentlich war das alles nur eine Verlängerung des Absturzes. Und eigentlich auch nicht die Musik, die noch in ihm steckte. Das wurde erst mit Alben wie dem 2007 veröffentlichten Aphrodisiac klar: Funkblues etwa ganz im Stile der Blaxploitation-Filme der frühen 70er. Als 2010 dann Thats All I Need herauskam, war das nicht nur (nach Angaben der Plattenfirma) das erste Album, das er nüchtern aufgenommen hatte. Nein, es ist auch der Beginn großartiger persönlicher und politischer Lieder jenseits der sexuellen Protzereien früherer Jahre.

Eine großartige Session ergab sich für ihn im Sommer 2010. Damals hatte ihn Produzentenlegende Don Was zum einem Konzert eingeladen, wo auh Mavis Staples und andere große Musiker auftraten. Williams muss den Laden derartig gerockt haben, dass etliche der Musiker (neben Was als Bassist noch der „Funk Brother“ Dennis Coffey an akustischen und elektrischen Gitarren, Drummer Jim White von den Dirty Three und einige mehr) in der entspannten Jamatmosphäre einige Lieder einspielten.

Das Ergebnis erschien Anfang 2012 unter dem Titel „Hoods and Shades“ und ist eigentlich die noch entspanntere Fortsetzung von „That‘s All I Need“. Dagegen ist „Night & Day“ (veröffentlicht von Yep Roc) ein Rückblick in eine eigentlich schon überwundene Zeit, eine viel wütendere und trostlosere Zeit für Andre Williams. Aber gerade deswegen ist es wahrscheinlich das bessere Album. Denn diese Wut, mit der er über sich selbst und über die Gesellschaft herzieht, die trifft man in der populären Musik heute nicht mehr täglich. Für Williams bleibt aber zu wünschen, dass er die Ruhe und Ausgeglichenheit von „Hoods And Shades“ bewahren kann. Hier ist mehr Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu hören. Und die verdient er.