Aufeinander angewiesen

Predigt vom 19. November 2006 im "Kontorkeller am Markt"

Text: 1. Johannes 2, 7-11

 

Ihr Lieben,

„Der Pinguin hat recht. Wir müssen uns läutern. Wir müssen zur Kirche gehen." „Wir müssen uns läutern. Wir müssen zur Kirche gehen. Bullshit!"

Warum sollten wir zur Kirche gehen? Warum ist eine Gemeinde, warum ist Gottesdienst wichtig? Für Jake und Elwood war klar: Wir müssen irgendeinen Weg finden, um auf ehrliche Weise das Geld für ihr altes Weisenhaus aufzutreiben. Warum sie dafür aber die Kirche brauchen sollten, das war ihnen anfangs nicht klar. Dass ihnen dann eben im Gottesdienst ein Licht aufging im eigentlichen und übertragenen Sinne, damit hatten sie nicht wirklich gerechnet. Uns muss ein Licht aufgehen, damit wir sehen, wie wir leben sollen. Und dafür kann ein Gottesdienst mit seinen Bibeltexten hilfreich sein.

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. (2. Kor 5,10) – das trifft auf jeden Einzelnen von uns zu – aber auch auf uns alle. Wie wir leben, wie wir mit einander umgehen, das ist nicht egal. Daran entscheidet es sich. Das wollen uns die Texte, die wir hier jeden Monat hören, immer wieder deutlich machen. Und sie sagen: es gibt ein Zu spät! – die Entscheidung, für Gott können wir nicht ewig vor uns her schieben. Es könnte sein, dass plötzlich keine Entscheidung mehr möglich ist, weil der Tod uns überrascht. Deshalb ist es wichtig, immer wieder die Mahnungen und Ermutigungen zu hören uns zu einer Entscheidung ermutigen zu lassen.

Doch dann ist mir selbst noch etwas anderes wichtig an unseren Gottesdiensten. Und das ist die Gemeinschaft, die wir hier finden. Das Miteinander von so ganz unterschiedlichen Menschen, die zusammenkommen, weil ihnen die Bibel – und die anderen – wichtig sind. Hier in der Gemeinde ist Heimat zu sein – und Ort sich anfragen zu lassen, sich zu überprüfen – für mich sind das die zwei Punkte, die mir zur Zeit besonders wichtig sind, wenn ich über die Kirche, über unsere Gemeinde, über mich nachdenke. Heimat zu sein, eine Gemeinschaft wie eine gute Familie zu bieten, wo ich mich nicht verstellen muß – wo ich aber auch nicht vor Angst zusammenzucke, wenn jemand mich kritisiert.

Text: 1. Johannes 2, 7-11
Liebe Brüder, ich schreibe euch kein neues Gebot, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang an hattet.
Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, etwas, das in ihm und in euch verwirklicht ist; denn die Finsternis geht vorüber, und schon leuchtet das wahre Licht.
Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder haßt, ist noch in der Finsternis.
Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln.
Wer aber seinen Bruder haßt, ist in der Finsternis. Er geht in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht; denn die Finsternis hat seine Augen blind gemacht.

Liebe Brüder – oder „liebe Kinder" – „Geliebteste" – so schreibt der Verfasser des Briefes an seine Leser. Liebe Brüder – ich bin nicht mehr und nicht besser als ihr. Ebenso wie ihr bin ich einer, der sich zu Christus bekennt, der ihm nachzufolgen versucht. Und in der Nachfolge, da gibt es keine Rangordnung, da gibt es keinen Superhelden, keinen Einpeitscher oder Star. In der Nachfolge, da sind wir alle wie Brüder. Wir gehören zusammen, und wir sind aufeinander angewiesen.

Der Apostel schreibt: Es ist kein neues Gebot, was ich euch mitteile, es ist vielmehr etwas, was ihr schon lange wisst, was ihr früher schon erfahren habt. Es ist nichts neues, wenn ich euch sage: Ihr sollt als Brüder und Schwestern miteinander umgehen, ihr sollt Abschied nehmen von Feindbildern und Vorurteilen, von Ichbezogenheit und Ausgrenzung. Das alles ist nicht neu. Doch etwas ist neu:
Etwas Neues hat angefangen: denn die Finsternis geht vorüber, und schon leuchtet das wahre Licht.

Oft stehe ich vor der Welt, vor meinen Problemen wie vor einer schwarzen Wand. Es bedrückt mich, weil ich keinen Weg sehe. Wir haben Angst, uns zu verirren, haben Angst abzustürzen in ungewisse Tiefen. Und gleichzeitig sehnen wir uns danach, dass diese Dunkelheit vergeht, dass uns die Augen geöffnet werden und wir den Weg wieder sehen.

Hier will der Apostel Mut zusprechen: Die Finsternis, die Sorgen und Fragen, die bleiben. Doch etwas ist neu: Etwas hat begonnen, was den Problemen die Endgültigkeit nimmt: „schon leuchtet das ewige Licht". Es geht bei diesem Licht nicht um den neuen Morgen, der schließlich auf jede Nacht folgt, sondern es geht darum, dass Gott durch Jesus Christus seine Wirklichkeit mitten in unserer Welt leuchten lässt. Es geht nicht um das Ende der Nacht, sondern um ihre Überwindung. Es geht nicht um den Sonnenaufgang, sondern um Licht in der Finsternis. Gott wird Mensch – und damit hat die Nacht, die Finsternis ihren Schrecken für uns verloren. Die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint jetzt. Das ist das Neue, das ist das Evangelium, die frohe Botschaft. Wir haben ein Licht, an das wir uns halten können.

Gott wird Mensch – und damit beginnt etwas Neues für uns Menschen. Wir können Gott um seinen Beistand bitten, wenn, wie es in jenem alten Gebet heißt- „wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und der Angst, die Nacht der Anfechtung und des Zweifels, die Nacht des bitteren Todes." Wo Christus ist, wird die Nacht überwunden.

Niemandem bleiben die dunklen Seiten des Lebens erspart. Aber die Frage ist, wie sie uns erscheinen: wie die schwarze Wand, die uns zu erdrücken droht, oder als ein Tunnel. Wer nichts von Christus weiß, der kann an den Dunkelheiten zerbrechen, für den stellen sie sich dar als drohend aufragende Wand. Wer aber Christus als Wirklichkeit seines Lebens erfahren hat, dem erscheinen die Dunkelheiten wie ein Tunnel, in den man zwar hinein muss, der auch finster und lang sein mag – der aber einen Ausgang hat, einen Lichtpunkt auf den wir zugehen. Wir wandern manche Strecke im Dunkeln, aber wir sind sicher, es wird wieder hell. Das ist der Inbegriff des Glaubens: es gibt einen guten Ausgang. Denn der ganze christliche Glaube gründet in der Auferstehung Jesu von den Toten. Das ist der Ort, wo unser Vertrauen seine Grundlage hat.

Christen aller Zeiten haben diese Erfahrung gemacht: Es schien alles aus zu sein am Karfreitag. Finster war es in den Jüngern. Es schien vorbei zu sein – und doch: es ging weiter. Sie haben gemeint, sie hätten sich getäuscht in Jesus, ja in Gott, aber dann lernten sie ihn auf ganz neue Weise kennen.

Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder hasst, ist noch in der Finsternis.
Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln.
Wer aber seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis. Er geht in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht; denn die Finsternis hat seine Augen blind gemacht.

Der Apostel warnt davor, in die Irre zu gehen. Man kann sich täuschen, die Wirklichkeit, das Licht verfehlen. Man verrennt sich und meint, nur in einer Richtung sinnvoll leben zu können und wird enttäuscht. Irgendwann gehen einem die Augen auf und man sieht, dass man verblendet war, dass man blind war für die Wirklichkeit.
Erfolg zu haben – das ist etwas, von dem sich Menschen heute verblenden lassen. Erfolg zu haben ist ein Ziel, dem wir vieles unterordnen. Da kann man leicht glauben, ganz auf der Sonnenseite des Lebens – im Licht – zu sein, und doch steht man im Finstern, hat man sich verrannt, hat man sich blenden lassen. Denn dazu gehört oft, dass man dabei, im Streben nach dem Erfolg, über Menschen hinweggeht, weil man nur das Ziel, die Sache und ihren Erfolg sieht.
Den Bruder/die Schwester zu hassen: das kann heißen, ihn einfach nicht wahrzunehmen, sie als Nebensache zu betrachten oder als Trittstein auf dem Weg nach oben.

Den Bruder/ die Schwester zu hassen, kann auch heißen, dass man sich weigert, dem anderen zu vergeben, dass man seinen Groll hegt und pflegt und nicht bereit ist, dem anderen entgegenzukommen, Streit und Probleme auszuräumen.

Zu Lieben heißt nämlich nicht, einfach alles mit einem rosaroten Mäntelchen zu bedecken. Liebe kann und muss ebenso heißen, dem anderen auch unangenehme Wahrheiten zu sagen.

Wer im Licht leben möchte, der kommt ohne Vergebung nicht aus. Die Vergebung der Sünden – das ist etwas, was neu ist durch Christus. Vergebung kann für uns, für unser Leben, wichtig und heilsam werden, wenn wir sie für uns in Anspruch nehmen. Durch Vergebung allein wird das alte Gesetz, der Kreislauf von Kränken und Gekränktwerden durchbrochen, wird ein neues Leben ermöglicht.

Wir brauchen die anderen – niemand kann allein den Weg der Nachfolge gehen. Zu leicht können wir uns verrennen in Sackgassen, zu leicht können wir das Ziel aus dem Blick geraten, weil uns im Moment andere Dinge wichtiger scheinen als Gott. Dann brauchen wir die anderen, die uns anstoßen und sagen: Du gehst in die falsche Richtung. Was du machst, das ist falsch.

Uns ist gesagt, dass Gott das Licht ist, die Liebe und das Leben. Wenn wir unser Leben auf ihn ausrichten, wenn wir danach streben, ihn nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn wir darauf vertrauen, dass ER der Erste und der Letzte ist, dann läuft für uns alles nicht auf die Finsternis, das Böse, das Nichts, den Tod hinaus, sondern auf das Licht, auf die Liebe, auf die Ewigkeit. „Denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt." Und daran müssen wir uns immer wieder auch gegenseitig erinnern, damit wir uns nicht in der Finsternis verirren, bis es einmal zu spät ist.

Amen.