1. Mose 32,23-32 Kampf mit Gott – Kampf um den Segen – 14.09.2008
1. Mose
32,23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok,
32,24 nahm sie und führte sie über das Wasser, so daß hinüberkam, was er hatte,
32,25 und blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.
32,26 Und als er sah, daß er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.
32,27 Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
32,28 Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob.
32,29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.
32,30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
32,31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.
32,32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
Ihr Lieben,
Gott nerven, mit ihm gar kämpfen – das klingt für uns reichlich seltsam, abgehoben, nicht ganz von dieser Welt. Und in gewisser Weise ist es das auch: nicht ganz von dieser Welt. Denn wer dazu bereit ist, Gott zu nerven, der geht ja davon aus, dass es mehr gibt, als wir in dieser Welt zu erkennen in der Lage sind.
In der Vor-Zeit , der Zeit vor Beginn der Geschichtsschreibung, der Zeit vor der Bildung von Staaten im Vorderen Orient – ja in gewisser Weise auch sonst in der Welt, da lebten die Menschen noch so, dass sie immer mit dem Auftreten und Eingreifen Gottes rechneten. So schreiben es zumindest die unbekannten Autoren nieder, die die Texte des Alten Testaments verfassten.
Hier also: Die Geschichte von Jakob. Von Jakob dem Betrüger.
Sein Bruder war der Ältere, auch wenn er nur wenige Minuten früher auf die Welt gekommen war. Er hatte Anspruch auf das Erbe seines Vaters – und auf seinen Segen. Das konnten Jakob und seine Mutter (er war eindeutig ihr Liebling) nicht ertragen. Und so betrogen sie Bruder und den alt gewordenen Vater. –
Doch dann folgt natürlich (Esau, der Bruder wollte das natürlich nicht so auf sich sitzen lassen, den Betrug, den Diebstahl) ein Leben auf der Flucht.
Jahrelang im Ausland, Arbeiten und der Aufbau einer Familie. Neue Betrügereien, durch die er immer reicher wird. Doch immer die Angst: Wird Esau kommen und sich an mir rächen? Wie kann die Spaltung zwischen uns überwunden werden.
Und so kommt der Entschluss zur Rückkehr in die Heimat. Der Weg zurück an den Fluss Jabboq, der die Grenze bildet. Das Ganze bei Nacht – die Angst ist immer dabei. Im Dunkeln erkennt man ihn vielleicht nicht.
Jakob betet zu Gott: „Rette mich doch aus der Hand meines Bruders,
aus der Hand Esaus, denn ich fürchte mich vor ihm." So denke ich mir das jedenfalls. Die Bibel sagt nichts davon.
Jakob bleibt allein am Jabboq zurück. Einsam in der Mitte der Nacht.
Doch plötzlich ist er nicht mehr allein: „Ein Mann" taucht auf aus dem Nichts – Beziehungsweise: aus dem Dunkel der Nacht und ringt mit ihm.
Ein Kampf völlig ohne Grund – scheinbar jedenfalls. Und ein ausgeglichener Kampf – bis sein Gegner ihm die Hüfte ausrenkt. Doch auch das hält Jakob nicht vom Kampf ab. Nicht der Schmerz, nicht der Anbruch des Morgens. Und dann Jakobs Bitte um Segen: Ich lass dich nicht los, ohne dass du mich segnest.
Kann man um den Segen ringen? Ist der Segen nicht etwas Unverfügbares? Ist es nicht Gottes Sache, ob überhaupt und wann und wen und wie er segnet? Um den Segen Gottes beten und bitten, ja das schon, aber um den Segen ringen, den Segen fordern und einfordern einklagen den Segen herbeizwingen wollen? Ist das nicht zu vermessen Ein Versuch, das Unverfügbare verfügbar zu machen?
Jakob tut es! „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn." – Wenn ich dich schon hier habe, Gott – denn ihm ist klar, dass nur Gott sein Gegner sein kann – wenn ich dir hier habe, zum Greifen nahe, dann lass ich dich nicht so einfach wieder los.
Mit dieser Bitte "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn" zeigt Jakob, dass er ein anderer Mensch geworden ist. Hatte er als junger Mann den Segen von seinem Vater durch Betrug zu erschleichen versucht, so hat er jetzt als reifer und erfahrener Mann gelernt, dass man um den Segen bitten muss. Jakob braucht einen anderen, einen Fremden, der ihm den Segen gibt.
Der fremde Mann sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und den Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst (1. Mose 32, 28 – 30).
So erhält Jakob den Segen, den schwer errungenen, aber doch zuletzt geschenkten Segen. Aber von wem der Segen gegeben wurde, wurde Jakob nicht verraten. Der Unbekannte blieb im Geheimnis. Doch Jakob hatte eine Ahnung. Er deutete die Begegnung an der Furt ebenfalls mit einem neuen Namen, der zugleich ein Bekenntnis war:
Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. Und als er an Pnuël vorüber kam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte (1. Mose 32, 31 + 32).
Jakob kämpft mit Gott um den Segen – Und – das ist eigentlich überraschend – er gewinnt den Kampf!
Die Geschichte über Jakob und der Segen könnte jetzt zu Ende sein: Jakob hat erhalten, was er wollte, und er hat in der Nacht am Jabbok überraschend gelernt, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Aber es bleibt ja noch die Frage offen, was dieser Segen eigentlich sei, und wozu er zu gebrauchen ist. In der sehr alten vorgeschichtlichen Zeit verstand man den Segen als eine starke schicksalhafte Macht, die einen Menschen durchdrang und umgab. Gesegnet war, dem es rundum gut ging, der Glück hatte. Segen war etwas Magisches, das den Gesegneten fast wie ein Zauber ergriffen hatte. Und deshalb wurde der Segen auch in geheimnisvollen Worten und Handlungen, in Ritualen weitergegeben. Später verlor der Segen diese magische Bedeutung.
Das Segenswort wurde zu einem Verheißungswort, wie wir es bis heute am Ende des Gottesdienstes erleben, wenn es heißt: "Der Herr segne euch und behüte euch". Das ist kein Zauberwort, sondern Bitte an Gott, ist Verheißung und frommer Wunsch zugleich. Das Segenswort soll ein Tor in die Zukunft öffnen, soll einen guten Weg weisen, einen Weg zum Frieden mit Gott und den Menschen.
Erst wenn dieses Ziel erreicht ist, kann die Geschichte über Jakob und dem Segen zu ihrem Ende kommen. Entscheidend hierfür ist, wie die Begegnung mit seinem Bruder Esau geschieht.
Jakob gewinnt den Kampf um den Segen – Aber ist es ein Kampf und ein Sieg Der ihn als Krüppel zurück lässt! Und das meint: Wer mit Gott ringt, dessen Leben verändert sich grundlegend. Wer sich mit Gott einlässt, der findet keinen Friede-Freude-Eierkuchen Segen. Der kann nicht so weitermachen wie vor dieser Begegnung.
Schluss ist es jetzt mit den Betrügereien. Schluss ist es auch mit der Angst vor dem Bruder. Der Kampf mit Gott ist anstrengend und schmerzhaft – aber er macht einen Neuanfang auch im normalen Leben möglich.
Jakob ging nach dem Aufgang der Sonne zu seiner vorausgegangenen Familie, dem Gesinde und den großen Herden und stellte sie wie geplant auf. Dann sah er Esau mit seinen vierhundert Mann kommen.
Und Jakob ging vor ihnen her und neigte sich siebenmal zur Erde, bis er zu seinem Bruder kam. Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten (1. Mose 33, 3 + 4). Und Jakob sprach am Ende dieser Begegnung zu Esau: Ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht (aus 1. Mose 33, 10).
Die lange Reise des Jakob findet ihr Ziel in der Versöhnung mit dem Bruder. Und dort begegnet Jakob nicht dem unbekannten und ungeheuerlichen Rätselgott, dem Mann, der einfach mit ihm zu kämpfen beginnt wie am Jabbok. Nein: Jakob sieht das Angesicht seines versöhnten Bruders wie Gottes Angesicht, wie Pnuël.
Der Kampf um den Segen findet sein Ende in der Versöhnung und in der Erkenntnis: Gott begegnet mir nicht nur im Unbekannten, nicht nur im Außerweltlichen – Gott begegnet mir vor allem auch da, wo wir uns miteinander versöhnen, wo wir bereit sind, miteinander trotz aller zurückliegenden Verletzungen, einen Neuanfang zu machen.
Amen