Werner Mittenzwei – Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 – 2000
Werner Mittenzwei schildert in seinem 2001 erschienenen Buch „Die Intellektuellen“ die Beziehungen zwischen Politik und literarischer Szene im Osten zwischen dem Kriegsende und dem Jahrtausendwechsel. Die 600 Seiten seines Werkes sind eine unverzichtbare Fundgrube für eine Literatur- und Geistesgeschichte der DDR.
Verlag: Faber & Faber, Leipzig (2001, Tb 2003)
ISBN-10: 3932545745
ISBN-13: 978-3932545740
Als in der DDR Gebohrener ist man mit verschiedenen Grundüberzeugungen aufgewachsen. Das offiziell verkündete Credo war, dass die DDR ein antifaschistischer Staat ist. Und daran gab es kaum Grund zum ZWeifeln. Gerade auch in der Literatur wurde einem dies immer wieder deutlich. Wenn man denn dazu erzogen worden war, die offiziellen Verlautbarungen in der Presse erstmal kritisch zu hören. Doch besonders dann wurde einem schnell deutlich, dass es einen Zwiespalt zwischen Literatur und Parolen der Partei gab. Das marxistische Menschenbild der Zeitungen und das immer stärker auf Individualismus abzielende literarische Menschenbild etwa bei Christa Wolf passten irgendwann einfach nicht mehr zusammen. Und dennoch blieben die Autorinnen und Autoren immer noch der Partei und dem Staat nahe, stellten seine Existenz als solches und auch die besondere Form des postulierten „Sozialismus“ nicht in Frage. Besonders wenn man in einem Pfarrhaus groß geworden ist, kamen einem hier die ersten ernsten Zweifel an der Aufrichtigkeit. An der Aufrichtigkeit der politischen Propaganda sowieso. Schwerer allerdings wogen dann die Zweifel an der Aufrichtigkeit der Schriftsteller und Intellektuellen. Wie konnten sie immer noch dieses System „DDR“ verteidigen, was sie in ihren Büchern wenn schon nicht ablehnten dann doch zumindest zwischen den Zeilen aufs heftigste einer Kritik unterzogen?
Fragen dieser Art geht der Brecht-Biograf Werner Mittenzwei in seinem 2001 erstmals erschienenen Band nach. Vom Kriegsende an schildert er das Zusammenwirken zwischen Schriftstellern und anderen literarischen Intellektuellen etwa beim Aufbau der DDR. Und er schafft es, dass man längst abgeschriebene Autoren wieder in einem neuen Licht betrachten kann. Johannes R. Becher etwa, den man in der Schule für seine pompöse Lyrik auf den Sozialismus mindestens ebenso verachten lernte wie die Ergebenheitsgedichte eines Kuba. Hier lernt man Becher neu kennen als einen – für die Politik denkbar ungeeigneten – aber dafür an der deutschen Kultur umso mehr interessierten Menschen, der auf dem Wege der Kultur einen Neubeginn nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus suchte. Dass er letztlich sowohl mit dem Kulturbund als auch als Kulturminister immer wieder vor der SED und der sowjetischen Linie eingeknickt ist, macht ihn zu einer tragischen Figur und nicht nur zu einer verdammenswerten, wie man ihn nach Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ zu verachten gelernt hatte. Auch das Wirken von Wolfgang Harich als einsamen Kämpfer für ein geeintes Deutschland, der Rückkehr von Emigranten wie Anna Seghers und Stefan Heym oder Brechts Wirken in der DDR werden bei Mittenzwei spannend und mit vielen Quellen belegt nachgezeichnet.
Schwierig und teilweise regelrecht ärgerlich wird das Buch aber im Fortschreiten der Geschichte. So wird gerade die Wende- und Nachwendezeit von dem Literaturwissenschaftler einer geradezu vernichtenden Kritik unterzogen. Für ihn ist die Wiedervereinigung nicht nur ein Verrat an den marxistischen Grundsätzen sondern fast ein dämonisches Verschlingen des Ostens durch eine von Helmut Kohl losgelassene Maschinerie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Hier fehlen – nehmen wir etwa seine Anklage gegen das Wirken der Gauck-Behörde – die die Behauptungen belegenden Fakten und Quellen. Auch seine Abrechnung mit der Wissenschaftsevaluation sind hier schwer genießbar. Noch schlimmer allerdings sind die Stellen, wo er allen Ernstes versucht, das DDR-System als eine legitime Form des Sozialismus zu kennzeichnen.
Und wenn Mittenzwei in seinem Epilog das Verschwinden des marxistischen Denkens aus dem intellektuellen Diskurs beklagt, dann muss man sich wirklich fragen: In was für einer DDR hab ich selbst eigentlich gelebt? Sind die Erfahrungen von Bevormundung und Repression, von kleinlicher Einflussnahme etwa bei den Bildungschancen oder erlebter Bespitzelung bei den etablierten Intellektuellen im System überhaupt nicht angekommen? Oder haben sie das Wirken von Stasi und Partei bis in die kleinsten Lebensäußerungen des Individuums in der DDR als notwendige Folge des Sozialismus betrachtet?
Insofern schafft der Autor beim Rezensenten etwas, was in den letzten Jahren nur wenigen gelungen ist: sich selbst seiner Geschichte in der DDR in allen seinen Widersprüchlichkeiten neu bewußt zu werden. Und seine Erinnerungen an die Zeit der Wende und danach einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Und das macht „Die Intelllektuellen“ zu einem extrem wichtigen Werk auch knapp zehn Jahre nach seinem Erscheinen.
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