Sean Wilentz – Bob Dylan und Amerika
Kaum ein Musiker hat die Entwicklung der Popmusik im 20. Jahrhundert so vielfältig beeinflusst wie Bob Dylan. Schöpfend aus dem reichen Fundus von Folk, Blues und Rock & Roll hat er sich von der „Stimme seiner Generation“ über einen „Judas“, einen christlichen Erweckungsprediger hin zum ewigen Kandidaten für den Literaturnobelpreis entwickelt. Der Historiker Sean Wilentz untersucht in „Bob Dylan und Amerika“, wie Dylan zu verschiedenen Epochen seines Lebens von unterschiedlichen Einflüssen geprägt wurde und wie er immer wieder künstlerische, musikalische und gesellschaftliche Einflüsse auf Amerika ausgeübt hat.
Über Dylan zu schreiben gleicht dem sprichwörtlichen Versuch, Eulen nach Athen zu tragen. Es ist vom Heer der Dylanologen, von Wissenschaftlern, Fans und Kollegen ein schier ünübersichtlicher Korpus an Literatur veröffentlicht worden, dass heutzutage eigentlich kaum noch eine Phase seines Wirkens und kaum eines seiner Alben nicht einer umfassenden Analyse unterzogen worden sein dürfte. Dass Sean Wilentz‘ Werk dennoch eine deutliche Empfehlung wert ist, liegt an dem breiten Ansatz des Historikers, der bewusst keine komplette Biografie oder eine vollständige Werkanalyse abliefern will. Und er geht bei der Darstellung und Beurteilung Dylans bewusst aus dem rein popmusikalischen Kontext heraus und zieht die Linien von gesellschaftlichen Entwicklungen ebenso aus wie von Komponisten wie Aron Copeland (und nicht nur Woody Guthry) oder den Poeten der Beat Generation. Und er legt bewusst einen Schwerpunkt seiner Untersuchungen ins Spätwerk Dylans seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, wo er erstmals mit Beiträgen über den Musiker auf dessen Homepage und als Autor von Covertexten in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass manche Kapitel mit persönlichen Erinnerungen an besuchte Konzerte in den verschiedenen Phasen von Dylans Karriere beginnen: Auch der Historiker ist einer, der selbst vom Objekt seiner Arbeit beeinflusst wurde. Aber niemals steht Wilentz in der Gefahr, in bloße Lobhudelei eines ergebenen Fans abzugleiten: Gerade Dylans Arbeiten in den 80er Jahren werden mehr als kritisch betrachtet. In „Bob Dylan und Amerika“ versucht er eine kritische und historische Würdigung einzelner Aspekte von Dylans Schaffen zu geben. Und gerade die Konzentration auf die Alben bis hin zu „Christmas in the Heart“ macht den Unterschied zu den zahllosen „vollständigen“ Biografien aus, deren Schwerpunkte eben dann doch beim Folkie und dem frühen Romusiker liegen.