Keinen runden Geburtstag gibt es zu feiern, keinen sich jährendenTodestag zu beklagen, keine Neuauflage seiner Romane zu begrüßen. Die Beschäftigung mit seinen Werken benötigt keine kalendarische Rechtfertigung, wohl aber einen wachen Geist und ein offenes Herz.

Vier Romane verfasste er in 76 bewegten Lebensjahren zwischen Westafrika, Asien und Europa. Er, der Nachkomme einer traditionsreichen Jägerdynastie aus dem Volk der Malinké, der zwangsrekrutierte Soldat der französischen Armee im Indochina-Krieg,der studierter Versicherungsmathematiker. Mehr als 25 Jahre seines Lebens verbrachte der ivorische Schriftsteller Ahmadou Kourouma im Exil in Algerien, Kamerun, Togo und Frankreich. Seine drei ins Deutsche übersetzten Bücher erzählen von afrikanischen Realitäten, traditioneller Magie und der blutverschmierten Fresse von Macht und Gier auf lokalen und globalen Bühnen.

 

„Ich schreibe mit den Afrikanern für die Europäer. Ich schreibe wie sie, ich nehme ihre Probleme und breite sie vor den Europäern aus.“, hat er kurz vor seinem Tod im Jahre 2003 gesagt. Wenden wir unseren Blick also ab von statistischen Analysen sesselfurzender Experten, großzügigen Geberkonferenzen oder treu-doofen ZDF-Fernsehfilmen und lauschen stattdessen einer der kritischsten Stimmen afrikanischer Literatur.

I. Sonnen und Finsternis

fuerstDer schwarze Fürst (Erstausgabe Wuppertal 1970; Neuauflage als „Der letzte Fürst“ 2004)

Nicht nur die tropische Sonne brennt im Jahre 1965 erbarmungslos auf die „Ebenholzküste“ herab, nein auch die „Sonne der Unabhängigkeiten nahm die eine Hälfte des Himmels ein, röstete das Universum und dörrte es aus, als wollte sie die kranheitserregenden Nachmittagsgewitter rechtfertigen.“ Fama Doumbouya ist spät dran an diesem Tag, dementsprechend hastet er durch das garstige Geknatter der Hauptstadt, inmitten der Flut derer, die keinen der von den neuen, schwarzen Machthabern versprochenen Arbeitsplätze ergattern können. Sein Ziel ist eine traditionelle Beerdigungszeremonie der Mande-Malinké, jenem stolzen Volk, dessen Angehörige in weiten Teilen Westafrikas zu Hause sind. Doch gehört Fama keineswegs zum wehklagenden Heer der Angehörigen, vielmehr zum abwartenden Haufen der „Hyänenbande“.

„In der Früh und am Abend  ziehen sie von einem Viertel zum anderen, um bei den Feierlichkeiten dabeizusein.“

Und das lohnt sich, zumindest wenn das früher so florierenden, eigene Unternehmen von Umbrüchen und Pechsträhnen hernieder gerafft wurde.

„Freunde, Verwandte und selbst nur vorbeikommende legten Geschenke und Opfergaben nieder, die dann unter den Teilnehmern und den großen Malinké-Familien in der Hauptstadt verteilt wurden.“

Zu genau so einer große Malinké-Familie gehört auch Fama. Genauer gesagt zu einem der, und hier sind wir bereits am Knackpunkt angelangt, ehemals mächtigsten Clans. Ist doch Fama Doumbuya der „letzte legitime Sproß der Doumbouya-Fürsten von Horodougou, deren Totem der Panther ist.“
Der Abstieg von einem einst geachteten, wohlhabenden Händler mit Panther-Totem zu einer verachteten „Hyäne“, welche von den auf Beerdigungen erschlichenen Opfergaben lebt, kam selbstverständlich weder grundlos noch über Nacht, sondern nach und nach , unter den flirrenden Strahlen der „Sonne der Unanhängigkeiten.“
Diese verbrannte alles, was einem Mande-Malinké Fürsten wie Fama Lebensinhalt und Identität gewesen war: Krieg und freier Handel. Ersteres war durch die Kolonialzeit ausgemerzt worden, der freie Handel hingegen war auch den französischen Kolonialherren ein Herzenswunsch. Nach der Unabhängigkeit im Jahre 1960 war es,  begünstigt  durch Korruption, Chaos und der Politisierung des Alltags- und Geschäftslebens, mit dem freien Handeln schnell vorbei.

Fama kochte vor lauter Jammer, daß er so sehr die
Franzosen bekämpft und verabscheut hatte, etwa so wie das Gräslein, welches murrte, weil ihm der Käsebaum alle Sonne nahm; als der Käsebaum umgeschlagen war, bekam es alle Sonne, doch auch den starken Wind, der es knickte.

Und so lebt Fama alleine mit seiner Frau Salimata und zu allem Überfluss mit Unfruchtbarkeit geschlagen, verarmt und verbittert in der Hauptstadt.

Doch was brachten die Unabhängigkeiten für Fama? Nur den nationalen Personalausweis und das Mitgliedsbuch der Einpartei. […]
Aufs Land kann er auch nicht zurück, weil er zu alt ist (der Boden von Horodougou ist hart und lässt sich nur umbrechen, wenn man starke Arme und kräftige Lenden hat).

Selbstverständlich haben die hier leicht chiffrierten Pseudonyme „Einpartei“ ebenso wie  „Sonne der Unabhängigkeit“ oder „Ebenholzrepublik“ realweltliche Vorbilder. Erstere ist die Rassemblement Démocratique Africain (RDA), eine 1946 gegründete, politische Sammelbewegung der afrikanischen Territorien Frankreichs. Diese ging mit der Unabhängigkeit im Jahre 1960,  in der Ebenholzrepublik, der Republik Elfenbeinküste, de facto in die „Parti Democratique de Côte d’Ivoire“ (PDCI) über.  Mitbegründet und dominiert wurden beide Bewegungen von Félix Houphouët-Boigny, einer der Bedeutungen der viel zitierten „Sonne der Unabhängigkeit“. Dieser hatte im Jahre 1965 fünf Amtsjahre als Präsident und Regierungschef auf dem Kerbholz, 27 weitere voll Peitsche und Zuckerbrot sollten folgen. Satt fressen durften sich an letzterem bevorzugte  Geschäftsleute und Politiker des globalen Nordens, die Tubabas, welche Hand in Hand mit ivorischen Parteifunktionären und Unternehmern der hemmungslosen Ausplünderung von Land und Leuten frönten und bis heute frönen.

„Schwarzer, das heißt Verdammnis. Wohnhäuser, Brükken, Straßen dort unten, alles von Afrikanerhänden erbaut, gehörten den Tubabas, dort wohnten sie. Daran änderten auch die Unabhängigkeiten nichts. Die Schwarzen stehen überall, unter allen Sonnen und auf jedwedem Grund barfüßig da, während sich die Weißen die größte Scheibe abschneiden und Fleisch und Fett nur so schlukken.“

Ein anderer Wind freilich wehte Intellektuellen entgegen, falls sie die Frechheit besaßen, den vom ehemaligen „Mutterland“ Frankreich und Houphouët-Boigny verordneten, marktliberalen und kulturell wie geopolitisch stramm westlichen Kurs zu kritisieren.   Ahmadou Kourouma selbst musste nach einem 1963 veröffentlichten Theaterstück und der postwendenden Inhaftierung inklusive, wie er es selbst ausdrückte, „ein wenig Folter“ ins eingangs erwähnte, mehr als 25 Jahre währende Exil gehen.
Im Jahre 1968 erschien sein Debüt unter dem Originaltitel „Le Soleil des Indépendances“ in einem kleinen kanadischen Verlag,  zwei Jahre später dann beim renommierten Verlag Editions du Seuil in Paris.
„Sonnen der Unabhängigkeiten, die ihre Schatten auf den Neger werfen“- vielen französischen Lektoren dieser Zeit erschienen feinsinnige Grobheiten dieser Art als abzulehnende Respektlosigkeit gegenüber der französischen Sprache.
Inzwischen unter anderem mit dem Literaturpreis der Academie Francaise ausgezeichnet, wurde das Werk 1978 vom Ost-Berliner Verlag Rütten & Loening als „ Der Fürst von Horodougou“ erstmals auf Deutsch publiziert. Zwei Jahre später folgte dann die Veröffentlichung des Peter Hammer Verlags Wuppertal für Westdeutschland, der Titel diesmal: „Der schwarze Fürst“.
Die hüben wie drüben fade Übersetzungen des im Französischen so klangvollen Titels (Le Soleil des Indépendances; wörtlich: Die Sonne der Unabhängigkeit), sollten nicht von der Lektüre abhalten. Denn Kourouma erzählt, neben den Grundzügen der Biographie seines eigenen Großvaters, vom harten, absurden Alltag unter alten und neuen Sonnen. Als einer der ersten afrikanischen Schriftsteller seiner Generation verließ er mit „Der schwarze Fürst“ die von afrikanischen Intellektuellen wie Aimé Cesaire (Antillen) und Léopold Sédar Senghor (Senegal) erarbeitete Grundrichtung der „Negritude“. So dominieren im Text weniger die in den Hauptwerken der Negritude häufig vertretenen, idealisierten Hervorhebungen afrikanischer Kulturpraktiken und Traditionen. Vielmehr beabsichtigt der  Autor die Reflexion traditioneller wie neuartiger Probleme im Fluss des Lebens zwischen Vergangenheit und Zukunft, nennt die Taten weißer wie schwarzer Machthaber, zeichnet die Behäbigkeit einer patriarchalischen Gesellschaft ohne Existenzgrundlage samt dahin schmelzender Legitimation mit kräftigen Strichen. Auch grausame Riten und Traditionen stehen bei Ahmadou Kourouma auf dem Prüfstand. Beklemmend erzählt Kourouma von der rituellen Bescheidung Salimatas als junges Mädchen auf dem Dorf.
Die Sonne erhob sich rotglühend hinter den Baumkronen. Die Geier, vom Blutdunst angelockt, stiegen auf, hoch über die Wipfel und die Nebelschleier. Hoch über den Köpfen zogen sie Kreise, stießen wildes Geschrei und Gekrächz aus. Die Beschneiderin kam nun auf Salimata zu, setzte sich, ihre Augen waren rot unterlaufen, Hände und Arme blutbesudelt, ihr Atem ging heftig und stoßweise.

Der so ausgelösten Schockstarre rückt der Fetischpriester in der darauffolgenden Nacht mit einer brutalen Vergewaltigung zu Leibe.
Der kleine Ausgang von einer Matte verdeckt, führte in die Nacht hinaus, in den Busch, in die Mysterien. In dem Augenblick, da die Sonne allmählich schwere Lieder bekam, wurde die Matte beiseite geschoben, etwas griff nach ihren Hüften und ließ nicht los,etwas stieß in ihre Wunde;

Eindringlich lässt Kourouma seine heimliche Heldin sich an ihre, nach jahrelanger sexueller Verweigerung erfolgte Verstoßung aus der Dorfgemeinschaft erinnern, ihre Flucht aus dem Haus ihres brutalen Schwagers bis hin zur Begegnung mit Fama, ihrer einstigen großen Liebe.
Doch während Fama verbittert und antriebslos durch die Straßen der Hauptstadt schleicht, unfähig die Zeichen der Zeit beziehungsweise die eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen, schuftet Salimanta tagtäglich hart, kocht und verkauft Reis auf Märkten und den großen Baustellen am Ufer der Lagune.
Ihr sehnlichster Wunsch nach einem Kind jedoch bleibt, trotz unzähliger Fetische, Tinkturen und Opfertiere, unerfüllt. Schließlich, als Fama in den Foltergefängnissen der „Sonne der Unanhängigkeit“ verschwindet, lässt sie sich von einem befreundeten muslimischen Marabout das lang ersehnte Kind machen.
Einige Monate davor reist Fama zu Feierlichkeiten zurück in sein Dorf, welches sich nach den  Umwälzungen der Unabhängigkeiten auf dem Staatsgebiet der „sozialistischen Republik Nikinai“ befindet, der  sprachlichen Verballhornung für Guinea unter seinem sozialistischen Unterdrücker Sékou Touré.  Schnell steht Fama ohne ausreichend Geld da, um die von ihm als „Fürst“ erwarteten Wohltätigkeiten und Opfertiere bezahlen zu können.
Warum Fama schon bald nach seiner Rückkehr verschwindet? Wie bereits zu Zeiten der Unabhängigkeit hatte er mit der „Politik“ auf das falsche Pferd gesetzt.

Und dann wurde Politik ganz groß geschrieben. Fama ließ alles stehen und liegen und stieg mit angeborener Redefertigkeit und mit Zuversicht ein. Ein legitimer Sohn eines Häuptlings mußte mit Leib und Seele bei der Vertreibung der Franzosen dabeisein. Politik hieß Männlichkeit, Rache; es galt, fünfzig Jahre Besetzung durch die Ungläubigen zu schmähen, zum Kampf zu fordern, der Vernichtung preiszugeben.

Auch dieses Mal ergattert er, der Analphabet und Trampel, keinen der im postkolonialen Westafrika so heiß begehrten Posten als „Generalsekretär einer Untersektion der Partei oder Direktor einer Kooperative.“
Eines Komplotts beschuldigt wird er inhaftiert, gefoltert, verurteilt und nach wer weiß wie vielen Jahren im Rahmen einer grell inszenierten Massenbegnadigung zur Nationalen Aussöhnung frei gelassen. Gezeichnet von Haft und Versagen kennt er danach nur noch eine Richtung.

Fuhr Fama nach Togobala, um ein neues Leben zu beginnen? Nein und nochmals nein! So widersprüchlich es auch schien, Fama fuhr nach Horodougou, um so bald wie möglich zu sterben.

Genau dieser Fall tritt schneller ein als befürchtet und im tragisch-komischen Ableben Famas zwischen künstlichen Grenzen spiegelt sich Kouroumas  scharfsinnig Analyse der wirren Epoche.

„Die heiligen Kaimana Horodougous würden den letzten Sproß der Doumbouya nicht anzugreifen wagen.“
„Der schwarze Fürst“ gehört, über 40 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen, zu jeder  halbwegs ausgestatteten westafrikanischen Schulbibliothek. Doch auch wir sollten es lesen und durchdenken. Hauptgrund hierfür ist, neben der spannenden Abkehr von der Negritude, Kouroumas Ausdrucksweise. Sein Romandebüt legte den Grundstein für eine Sprache, deren Muster und Rythmus dem Malinké entstammt, während sich ihr Wortschatz aus dem Französischen speist.
„Kourouma spricht auf Französisch Malinké.“, lobte einst sein senegalesischer Schriftstellerkollege Cheikh Hamidou Kane. Dazu gehört auch das Erzählen in der Tradition der mündlichen Überlieferung, ausgeübt von den traditionellen Hofpoeten, den Grioten. In ihren Fußstapfen bewegt sich Ahmadou Kourouma in all seinen Romanen. Sein Schreibstil ist in Freud wie Leid bunt und verspielt wie der Blick der empfindsamen Schelms, leidenschaftlich und blitzgescheit. Alle naselange wachsen Metaphern und Gleichnisse, mal frivol, mal schwermütig, aber immer fabelhaft.
Die elf Kapitel des in drei Teile gegliederten, 208 Seiten langen Buches tragen klangvolle Namen wie „Um den Hals die Zaubereisen, mit Stahlstacheln gespickt, wie beim Jagdhund auf Pavianhatz.“, „Mit abgemessenen Schritten hinein in die Nacht des Herzens und ins Dunkel der Augen“ oder „Die wilden Vögel begriffen als erste die historische Tragweite der Ereignisse.“.

Unverdünnter Alltagsstoff und schwer greifbare Magie künden so von Umbrüchen, vom Scheitern, von der Wandelbarkeit sozialen Ansehens, zweischneidigen politischen Schwertern und der unfassbaren Reduzierbarkeit verachtenswerter Erscheinungen auf die Melange aus Mensch und Geld. Ein Buch von erschreckender Zeitlosigkeit, scharfem Blick und großem Witz. Vermutlich wird es gerade deshalb viel zu wenig gelesen.{module Ole Schwabe}