In der Gedenkstätte Ravensbrück trifft die Enkelin von Danuta Sombrowicz auf einen Fürstenberger Historiker. Dani, deren Baba im Konzentrationslager die eigene Identität aufgeben musste, und Simon, dessen Großvater einst den Lagerkommandanten die Haare schnitt, kommen sich auf ihrem Weg durch die Geschichte näher. Zwei Generationen später findet etwas zusammen, was lange nicht zusammen gedacht werden konnte.
 
Uwe Saeger: Gott in Ketten. Ein Film
Erscheinungstermin: 17. April 2015
freiraum-verlag Greifswald
114 Seiten; Softcover
ISBN: 978-3-943672-59-6
13,95 EUR (D)
 

Vorabdruck (Auszüge)

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 Danuta Sombrowicz auf der Terrasse ihre Wohnung. Sie blickt auf den Stettiner Hafen – ein Panorama der Weltläufigkeit. Sie legt das schnurlose Telefon griffbereit auf dem Tisch vor sich ab. Sie hält ihr Gesicht in die Sonne, schließt die Augen, wischt über die Lider, als<br />   würde ein feines Gespinst ihr dort lästig sein.

 <strong>Rückblende</strong>

 Ein ähnlicher schöner Sommertag. Der Transportzug, mit dem die achtzehnjährige Danuta Sombrowicz nach Ravensbrück verbracht wird, fährt in den Bahnhof ein, ist im Abbremsen begriffen. Danuta blickt aus dem Fenster, sieht das aufgestellte Wachpersonal und die SS-Leute, die kläffenden Schäferhunde und im Hintergrund einige Gaffer aus Fürstenberg.

Der Zug hält. Die Türen werden von außen aufgerissen und das Gebrüll beginnt. Danuta wird mit den anderen Häftlingsfrauen aus dem Waggon getrieben. Es wird geschlagen und getreten. Die wütend gemachten Hunde sind mit ihren Mäulern immer nah dran am Fleisch der Frauen. Über sechshundert Frauen werden so auf dem Bahnsteig zu einer Kolonne in Fünferreihen formiert. Panik wird mit Terror erledigt, genauso Schwäche, Weigerungen, Unkonzentriertheiten.

Danuta erhält von einer Aufseherin einen Schlag auf den Rücken und wird beinahe zu Boden getreten, weil die Szene, die sie mit ansehen muss, sie lähmt in ihrer widerlich brutalen Art. Sie hat in der Hektik nicht mitbekommen, in welche Richtung sie selektiert wurde, nun aber blickt sie zurück und sieht: Vor den SS-Leuten, die die Häftlinge selektieren, stehen eine Mutter und ihre Tochter eng umschlungen, sie wollen sich nicht trennen, was ihnen aber die Aufseherin Binz befiehlt – sie befiehlt es und schlägt zu, aber Mutter und Tochter lassen nicht von einander, die Tochter schreit „Mama! Mama!“, die Mutter weint, bleibt aber stumm, streicht ihrer Tochter das Haar. Da kommt der zweite Befehl der Aufseherin: „Auseinander!“ Und ein Schlag zwischen die beiden und ein Zerren, das sie auseinanderbringt. Die Mutter stolpert zur Seite. Die Tochter schreit wieder „Mama! Nein!“, will der Mutter nach, will mit ihr zusammenbleiben. Doch da stößt die Aufseherin die Tochter zu Boden, tritt sie nieder, trampelt auf ihr rum, bringt das Kind vor den Augen der Mutter mit ihren Tritten um. Das wird von den Aufseherinnen und den SS-Leuten ohne Regung geduldet, ihr Geschäft ist die Selektion und der Marsch ins Lager Ravensbrück. Und den Häftlingsfrauen bleiben nur das Entsetzen und das Sich-Fügen, es geht für sie ums eigene Überleben.

Der Marsch vom Bahnhof Fürstenberg ins Lager Ravensbrück. Durch Fürstenberg. Es stehen einige Fürstenberger Spalier. „Was sind das für Menschen?“, fragt ein vielleicht fünfjähriges Mädchen einen alten Mann, der es bei der Hand hält, es mag ihr Großvater sein. Der winkt ab. Aber eine Frau, die neben ihm steht, antwortet dem Mädchen: „Das sind Verräter, Verbrecher und Huren, das sind unsere Feinde.“

Danuta marschiert in der äußeren Reihe der Fünferformation an dem Mädchen vorbei. Und das Mädchen weist auf sie und fragt: „Ist das eine Hure?“ Der alte Mann zieht das Mädchen zurück, womöglich schämt er sich? Danuta, die das Mädchen gehört hat, stolpert. Sofort wird sie von einem Hund angebellt und angesprungen, dem die Aufseherin dafür mehr Leine gibt. Und die Frau sagt: „Das sind alles Huren. Das sind alles Verbrecher.“ Danuta passt sich verängstigt in den Gleichschritt der Kolonne.

Die Kolonne marschiert durch das Tor ins Lager Ravensbrück. Aus dem Schlot des Krematoriums quillt Rauch, der vom Wind auf die Lagerstraße gedrückt wird. Und so, wie die ersten Füße auf den staubigen Schlackebelag der Lagerstraße gesetzt werden, wirbelt der trockene schwarze Staub auf und hüllt die Kolonne bis über die Köpfe ein. Die Häftlingskolonne im Stillgestanden. Der Staub wird durch den Wind verweht und in Wirbeln über den Boden getrieben.
Danuta wird von einer Aufseherin mit einem Stoß in die Seite zu aufrechter Haltung gezwungen. Gespräche mit anderen Häftlingen werden sofort unterbunden – das einzige, was sie verbindet, ist das Entsetzen.

Der Lagerkommandant Fritz Suhren, flankiert von seinen Chargen, tritt vor die angetretenen Häftlinge. Seine Aussage ist zynisch und er will das Ganze schnell hinter sich bringen.

KOMMANDANT SUHREN: Es gefällt euch hier. Das ist verständlich.

 Die Unruhe unter den Häftlingsfrauen wird von den Aufseherinnen niedergebrüllt, niedergeschlagen, niedergehetzt. Suhren beobachtet mit beifälliger Miene.

KOMMANDANT SUHREN: Aber ich habe für einige von euch noch Besseres. Saubere Luft. Schönere Unterkünfte. Und eine Arbeit, die eurer Natur entspricht. Und diejenige von euch, die ein halbes Jahr lang ohne Beanstandung erfüllt, kriegt ihre Papiere und ist frei. – Also! Freiwillige vortreten!

Danuta blickt scheu um sich – sie reflektiert, dass sie nichts zu verlieren hat, stellt vorsichtig einen Fuß vor. Da wird ihr zugeflüstert:

Tu’s nicht. Das ist eine Finte. Besser ist’s nirgendwo.

 Danuta will darauf reagieren. Aber schon ist eine Aufseherin bei ihr und drückt Danuta einen Schlagstock an den Hals.

AUFSEHERIN: Was gibt’s? Zu den anderen Frauen ringsum: Wen juckt’s? Welche will was zwischen die Zähne? Sie schlägt unbedacht und nicht sonderlich kräftig nach den Seiten.

Inzwischen ist eine einzelne Frau vorgetreten, die vom Aussehen und Alter das Gegenteil von Danuta ist, die trotz der physischen Strapazen und seelischen Peinigungen noch immer ihre jungmädchenhafte Ausstrahlung besitzt.

Zu Danuta: Dich merke ich mir vor. Sie schlägt den Stock pfeifend vor Danuta durch die Luft. Und ich habe noch nie ein Gesicht vergessen. Und also vergesse ich auch deins nicht. Auch wenn du hier in einer Stunde nur noch eine Nummer sein wirst.

Da tritt Danuta schnell vor, reißt einen Arm hoch, rempelt die Aufseherin dabei an.

DANUTA: Ich! Ich melde mich freiwillig.

 Und da steht Danuta einsam vor den anderen im Kreuzfeuer der Blicke und im Staub, der um ihre Füße gewirbelt wird. Für den Moment Stille. Noch eine weitere junge Frau tritt vor. Der Kommandant Suhren winkt, dass die drei Frauen zur Seite abgehen sollen, wo sich zwei SS-Leute postieren, um die „Freiwilligen“ zu empfangen. Es folgt den dreien noch eine Frau nach. Als sie an den SS-Leuten vorbeigehen, stoppt einer Danuta.

SS-MANN: Wie alt?
DANUTA: Neunzehn.
SS-MANN: Hast du Erfahrung?
DANUTA: gespielt selbstbewusst Ich bin neunzehn.
Der SS-Mann zuckt mit den Schultern, winkt sie weiter. Danuta geht weiter, die anderen „Freiwilligen“ sind nun vor ihr. Sie blickt auf die Lagerstrasse zurück. Eine Böe wirbelt den Staub über die Angetretenen, verhüllt sie.

13

 Danuta sitzt noch immer auf der Terrasse. Und noch immer hält sie die Augen geschlossen. Mit einer Hand tastet sie über ihr Gesicht. Das schnurlose Telefon klingelt. Danuta öffnet wie in einem heftigen Erwachen die Augen, greift nach dem Telefon, stößt es vom Tisch auf den Boden. Das Telefon klingelt. Danuta hat Mühe, es aufzuheben. Ihre Stimme klingt angestrengt.

DANUTA: Hallo!

Dani in der Bibliothek der Gedenkstätte. Auf dem Tisch vor ihr liegen Bücher, Fotos, Aktenauszüge. Sie hat das Handy am Ohr, durch das Fenster hat sie den Blick auf noch erhaltene Gebäude aus der Lagerzeit.

DANI: Baba? – Endlich. Das dauerte ja ewig, bis du am Telefon warst. – Was heißt das konkret, es geht dir nicht gut? – Soll ich zu dir kommen?

Danuta ist aufgestanden, geht mit ihrer Gehhilfe in die Wohnung zurück.

DANUTA: Nein. So schlimm ist es nicht. Ich bin eben eine sehr alte Frau. – Was gibt es?
DANI: Sag mal, Baba!
Sie schiebt die Papiere auf dem Tisch durcheinander. Kann es sein, dass es damals hier im Lager noch eine Danuta Sombrowicz gab?
Sie horcht, es kommt keine Antwort.
Baba! Hast du gehört, was ich gefragt habe?

DANUTA: Was hast du gesagt? Sie setzt sich, hört auf das, was Dani sagt, und streicht mit der freien Hand ihre Beine dort, wo die Narben sind unter dem Stoff. Resolut: Nein. Nein. Das ist ausgeschlossen. Nein.

DANI: nicht so entschieden wie Danuta  Woher willst du das so genau wissen? Warum sollte das nicht möglich gewesen sein? Es waren zigtausende Frauen hier. Und es gibt Unterlagen …

DANUTA: Nein. Sie legt das Telefon zur Seite, greift mit beiden Händen in das Fleisch an ihren Beinen, als wolle, als müsse sie es sich von den Knochen reißen. Sie hört Danis Stimme aus dem Telefon, aber darauf reagiert sie nicht mehr.

 Dani legt das Handy irritiert ab. Was sie vor dem Fenster sieht, das Gedenkstättenambiente, verärgert sie. Sie schiebt, was vor ihr auf dem Tisch liegt zusammen, schlägt die Hände darauf.<br />   Die Frau, die Aufsicht hat, blickt zu ihr, sagt:

FRAU: Vorsicht, bitte! Das sind Dokumente von historischem Wert.

Dani blickt die Frau an, fragt provokant:

DANI: Was ist ein historischer Wert?

Die Frau ist überrumpelt, weiß nichts zu antworten. Dani bleibt in ihrer gespielt naiven Haltung.

DANI: Was ist an einem Eintrag in einer Sterbeliste des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück vom 31. März 1945, der vermerkt, dass Danuta Sombrowicz an einer Lungenentzündung verstorben sei, ein historischer Wert?

FRAU: nun sofort Sie sollten nicht scherzen mit den tragischen Schicksalen und den Namen dieser bedauernswerten Frauen.

Dani geht auf die Frau zu, steckt dabei ihr Handy ein.<br />    Dani bricht die Situation mit einem Celan-Zitat, das wie ein Axthieb wirken mag:

DANI: Im Spätrot schlafen die Namen: Einen weckt deine Nacht.
FRAU: wie erschrocken Was?