UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 20

die mutti des 49jährigen mannes schenkte dem mann 30 mark.
der mann legte 10 mark drauf und ließ sich auf einer dunklen kellertreppe am äußersten ende hinterm hauptbahnhof einen blasen. ansonsten war es winter, und während der mann ihren mund spürte, war ihm auch danach.
beim gehen auf der straße sah er durch ein großes fenster, wie ein weihnachtsmann in einer kneipe bier ranschleppte. wer ließ sich am nikolaustag schon gern was in die schuhe schieben? das schönste am winter war für den mann, wenn er figuren in den schnee pinkeln konnte. ihm war, als bräuchte er es heute nicht probieren.
als seine mutti anrief, nahm der mann das telefon ab: „und, hast‘ dir was schönes gekauft, junge? ich wollt‘ dir zum nikolaus das geld nicht in die schuhe schieben. es ist winter geworden. kauf dir mal ein paar handschuhe. du hast ja so viele jahre keine handschuhe mehr gehabt! fehlt dir sonst noch was, mein junge?“
der mann überlegte. „nee mutti, ich hab‘ alles!“
und dann waren sie wieder getrennt.
der mann kramte in seinen taschen rum, doch er fand bloß noch siebzehn mark. es reichte nicht für eine neue, eine nächste dunkle kellertreppe.
als er den telefonhörer wieder am ohr hatte, hörte er erneut seine mutti: „fehlt dir wirklich nichts, junge? hast du bestimmt alles, mein kleiner?“
„mutti, was soll denn das! ich hab‘ echt alles!“
„du hörst dich aber nicht so an, junge! was brauchst du noch, mein großer engel?“ fragte seine mutter nach.
„also schön, dreiundzwanzig mark.“ antwortete der mann.
„wieso dreiundzwanzig mark? was willst du dir denn noch kaufen, außer handschuhe?“ fragte die mutter verwundert.
„mensch, oder fünfundzwanzig oder fünfzig oder hundert!“ schrie der mann sie an.
„freedyy?!!“ raunte dröhnend die mutter seinen namen in die länge.
„na ist doch so!“ war dem mann seine antwort.
„fredy, so solltest du nicht mit deiner mutti reden.“ verfiel seine mutter in einen weinerlichen tonfall, wechselte jedoch plötzlich die tonlage und wollte wissen: „du haschst doch nicht etwa zigaretten, wie die anderen bengels?“
„quatsch!“ antwortete der mann und schüttelte die siebzehn mark in seiner faust.
„was willst du denn dann mit dem geld?“
der mann überlegte wieder: „ich will mir ein paar schi kaufen!“
die mutti stutzte: „junge, willst du dir die knochen brechen? hab‘ ich dich deshalb großgezogen?“
„mutti, hier gibt es keine berge!“ antwortete der mann.
„na eben, was willst du auf dem flachen land bei uns mit den dingern unter den füßen?“
„na einkaufen, wenn schnee liegt und so!“
„nein mein lieber, für so was geb‘ ich kein geld!“ hörte der mann seine mutter sagen, und es klang für ihn wie ein mächtiges schlußwort.
„und zu weihnachten?“ fragte er vorsichtig nach.
„wenn ich wüßte, daß ich nicht seine schlampe ans telefon ranhole, würde ich mal deinen vati anrufen. dann könnten wir das besprechen! aber so, mit diesem scheußlichen weibsstück? nee, und eigentlich bin ich ja auch nicht dafür!“ sagte seine mutter.
„ist vati nicht wieder verheiratet?“ fragte der mann.
„na und?“ antwortete seine mutti, „jetzt hat er ’ne richtige dreckschlampe, da soll er mal sehen wie er zurechtkommt! wird er schon sehen, was er davon hat!“
für einen augenblick war dem mann, als wäre er unendlich gern sein eigener vater, doch seine mutter ließ ihn nicht in seinem wunschgefühl verweilen: „kauf dir erst mal ein paar handschuhe, und dann machen wir uns beide ein schönes und gemütliches weihnachten, wir beide.“
dem mann wurde komisch: „ja mutti, ist gut, ja mutti, bis dann!“
der mann legte auf. er zitterte. er war konfus und geil, er war matsch und irgendwie nicht haltbar.
der mann war nicht zu halten, und er fand die rufnummer seines vaters im telefonbuch.
„borgbach, hallo?“
„vati, ich bin’s, fredy. ich weiß, wir haben lange nichts voneinander gehört, aber ich brauch‘ ein bißchen geld!? mir geht’s nicht gut, vati?!“
sein vater mußte das telefon laut gestellt haben, denn aus dem hintergrund hörte er eine frauenstimme: „sag deinem bengel ruhig, daß wir beide von sozialhilfe leben!“
„renate, ist gut!!“ hörte er seinen vater zischen. „junge, schön dich zu hören, aber wir kriegen beide sozialhilfe, und du weißt, nach so langer zeit und so. das ist ein mistwetter, was? ruf doch mal mutti an.“ sagte sein vater.
„mutti hat selber kein geld und gibt mir trotzdem was für schi!!“ schrie der mann.
„na hör mal, wie sprichst du denn mit mir!!“ schrie sein vater zurück, und von renate hörte der mann: „ist das ein arsch, dein fredy!“
der mann legte auf. ihm war heiß, ihm war immer noch nach einer kellertreppe, er schwitzte. ihm ging ein frauenkopf nicht aus dem kopf. der mann hatte das gefühl, als könnte er mit einem für immer bleibenden frauenschädel in seinem zimmer ohne probleme das weihnachtsfest bei seiner mutti genießen.
der mann klingelte bei seinen nachbarn.

der mann umklammerte im bus in seinen hosentaschen die kleinen scheine.
dann sah er im dunkeln die lichter der u-bahnstation auftauchen, die station, aus der die bahn ihn heraus, ganz nah zu dunklen treppen brachte.