Manchmal muss man es einfach tun. Etwa versuchen, das Gesamtwerk einer Band durchzuhören. Über die Jahre hinweg verfolgen, wie sich die Lieder verändern, wie eine Band wächst und vefällt. Bei The Band beginnt für mich die Geschichte erst 1967 im legendären „Big Pink“ oder besser: Bei den Kellersessions mit Bob Dylan. Die riesige Zahl von Songs und Skizzen ist mittlerweile wohl relativ vollständig zu haben, etwa in der 4-CD-Sammlung „A Tree With Roots“. Und sie endet eigentlich gleich zweimal: Erstmals mit „The Last Waltz“ und dann 1998 mit dem letzten Studioalbum „Jubilation“. Ausgelassen habe ich allerdings die diversen Soloalben der Bandmitglieder. Dafür fehlt mir zur Zeit einfach die Geduld und die Zeit. Denn wenn ich ehrlich sein soll: Bis auf „Dirt Farmer“ und „Electric Dirt“ von Levon Helm hat mich keine der Veröffentlichungen der Musiker wirklich überzeugen können.
The Basement Tapes
Aber zunächst geht es auf nach Woodstock in den Probenkeller von Dylan und der Band. Mehr als 100 Titel umfassen die Basement-Tapes. Das irgendwann veröffentlichte Doppelalbum befriedigt eigentlich niemanden wirklich, weder die Dylanologen noch die Fans von The Band. Und so wurden im Laufe der Jahre immer wieder Komplettfassungen auf den grauen Markt geworfen.
Klar, dass man wiedererkennend nickt bei Songs, die inzwischen zum Songkanon der Rockmusik gehören. Doch spannender ists allemal, die unbekannteren Minuten der Sessions nachzuvollziehen, das Spiel mit Zitaten und Anspielungen.
Was Greil Marcus über die Basement Tapes geschrieben hat, kann man noch immer nachvollziehen: Wenn man sich völlig unsortiert und unvorbereitet auf die Aufnahmen einlässt, fühlt man sich unwillkürlich aus dem normalen Gefüge von Raum und Zeit katapultiert. Ob die Musiker nun Popnummern, Bluesklassiker, Gospel oder auch eigene Stück spielen: Das sind nicht die 60er Jahre, die man hier hört. Das ist nicht der „Summer of Love“. Man wohnt hier einer Neuerfindung der amerikanischen Rockmusik bei. Und man erlebt den Übergang der Hawks zu The Band auf ihrem Weg vom Blues und Rockabilly hin zur all-amerikanischen Rockinstitution.
Music from Big Pink
1968 war dieses Album so unzeitgemäß wie zeitlos. Mit „The Weight“ oder ihrer Version von „I Shall Be Released“ ist hier ein Debüt erschienen, dass über die Jahrzehnte einfach nicht zu altern scheint. Die Lieder, die bei den gemeinsamen Kellersessions mit Bob Dylan in Woodstock entstanden sind, verweigern sich dem oberflächlichen Hören. Hier ist kein vordergründiger Popappeal zu spüren dafür aber eine Sehnsucht nach einem Amerika, was in den heutigen Nachrichten kaum noch zu finden ist. Aber eigentlich gab es das auch schon 1968 nicht. Denn es ist ein erträumtes und ersehntes Land. Alles, was heute sich Americana nennt, ist ohne diese Scheibe nicht vorstellbar. Wenn man ein Album von The Band nur haben will, dann muss das das Debüt sein.
The Band
Ein Jahr später die Fortsetzung. Die Musik noch deutlicher eine Symbiose zwischen Rock, Blues und Country. Und wieder Songs, die sich jeder Aktualität verweigern und so zu Klassikern werden konnten. „The Night They Drove Old Dixie Down“ etwa oder das scheinbar unbeschwert dahinrockende „Rag Mama Rag“. War „Big Pink“ noch ein Versprechen ist „The Band“ schon fast schmerzlich perfekt. Besser konnte es nicht mehr werden.
Stage Fright & Cahoots
Und so ist auch das 1970 erschienene „Stage Fright“ zwar noch immer hörenswert. Doch außer „The Shape I‘m In“ fehlt in den Songs diese Magie, die die Vorgängerscheiben ausmachte. Auch „Cahoots“ (1971) hat höchstens mit „Life Is A Carnival“ einen wirklich starken Song. Der Rest des Albums ist gut, in der gewohnten auf fast blindes Vertrauen bauenden Harmonie der Band dargeboten. Zu spütren ist einfach, dass Robertson, der mittlerweile hauptsächlich für das Songwriting verantwortlich zeichnet, einfach die Ideen auszugehen scheinen.
Rock of Ages
Die Entscheidung, sich für eine Weile rar zu machen, ist verständlich. Und mit dem Doppelalbum „Rock of Ages“ erschien 1972 das passende „Abschiedsgeschenk“ an die Fans. Aufgenommen bei einem Silvesterauftritt in New York werden die Songs der ersten Alben durch die Bläserarrangements von Allan Toussaint auf eine ganz neue Ebene gehoben. Das ganze Konzert wurde so zu einer einzigen großen Party. Denn wo die Studioalben oft durch eine Zurückhaltung glänzten: Hier rockt The Band wirklich und wird von den Bläsern konsequent immer weiter voran getrieben.
Moondog Matinee und nochmal Dylan
Weil die Ideen für eigene Songs, die sich an der Qualität der ersten Alben messen konnten, fehlten, veröffentlichte The Band 1973 das Coveralbum „Moondog Matinee“. Eine Sammlung von Klassikern des Rock&Roll und Rhythm & Blues. Es rockt und rollt – doch es bleibt ein schales Gefühl im Mund zurück. Und the Band gingen erst mal mit Dylan ins Studio und auf Tour. „Planet Waves“ und das Live-Album „Before The Flood“ entstanden so. Wem das Live-Werk im Vergleich etwa zum Zusammenspiel bei „Last Waltz“ nicht so gefällt: „Planet Waves“ ist mit Liedern wie „Forever Young“ immer wieder eine willkommene Wiederentdeckung.
The Muddy Waters Woodstock Album
Als 1975 Muddy Waters das letzte Album für Chess Records einspielte, da fuhr er zur Band nach Woodstock, um vielleicht ein wenig von der Energie einzufangen, die eine Platte wie „Fathers & Songs“ ausgezeichnet hatte. Doch gemeinsam mit The Band entstanden Aufnahmen, die im Gesamtkatalog von Waters ziemlich einhzigartig sind. Natürlich finden sich die bekannten Nummern aus dem Konzertprogramm des Bluesers. Doch dargeboten werden sie nicht mit der heftigen Energie seiner Live-Shows sondern in einer relaxten Atmosphäre und mit für ihn ungewohnten Instrumenten wie Akkordeon. Zu Gast an der Bluesharp war Paul Butterfield. Und der war da in einer bestechenden Form. Und neben Garth Hudson wirkte auch Pinetop Perkins am Klavier mit. Im Trubel um das Ende von Chess ging diese Scheibe trotz des Grammys für das Beste Traditionelle Folk Album leider völlig unter und wurde erst 1995 wieder veröffentlicht.
Northern Lights – Southern Cross
1975 dann das als Comebackversuch geplante nächste Studioalbum als The Band. Acht Songs, erstmals im neuen 24-Spur-Verfahren aufgenommen und mit Synthesizer-Klängen angereichert. Stücke wie „Ophelia“ oder „Acadian Driftwood“ hatten sie wieder, diese Aura der ersten Alben. Doch insgesamt war das schon eher der Abgesang als ein Comeback.
The Last Waltz, Islands
Danach folgt der letzte Walzer und damit das Ende von The Band in der Originalbesetzung. Die Streitigkeiten zwischen Robbie Robertson und dem Rest der Gruppe waren einfach nicht mehr zu kitten. Aber wie hier „The Night They Drove Old Dixie Down“ oder „Up On Cripple Creek“ zelebriert werden, das macht The Band auch heute niemand nach. Hier stimmte nochmals alles – und die internen Konflikte schienen für den Moment nicht so wichtig zu sein.
Das von Scorsese gefilmte Abschiedskonzert ist gleichsam auch ein Abgesang auf die große Musik der 70er Jahre. Gäste wie Neil Yong, Joni Mitchell, Dr. John oder Muddy Waters – hier war wirklich in den Stunden des Konzerts das versammelt, was die Musik seit Ende der 60er Jahre gut und wichtig gemacht hat. Mittlerweile sind jegliche Aufnahmen davon in einer 4-CD-Box. Wobei man den wirklich besten Eindruck noch immer mit dem Film und dem ursprünglichen Soundtrack-Album erhält. Und bei Neil Diamonds Auftritt kann man kurz was neues zu Trinken holen.
Das 1977 erschienene „Islands“ wurde nur noch in Originalbesetzung eingespielt, um den Plattenvertrag mit Columbia zu erfüllen. Außer „Georgia On My Mind“, dass damals von Jimmy Carter in seiner Kampagne zur Präsidentschaftswahl verwendet wurde, bleibt kein Song wirklich in Erinnerung. Es ist das Album, auf das man am ehesten verzichten kann abgesehen von der Moondog Matinee.
Jericho, High on the Hog, Jubilation
Ohne Robertson gingen The Band ab 1982 wieder auf Tour. Doch geplante Studioprojekte kamen lange nicht zustande. Erst 1993 kam „Jericho“ auf den Markt. Sieben Jahre vorher war Richard Manuel an den Folgen des jahrelangen Alkoholismus gestorben. Ungewohnt auf „Jericho“ ist auf jeden Fall nicht das Fehlen von Robertsons Gitarre. Jim Weider kann dessen scharfen Sound nicht wirklich ersetzen. Auch als Songwriter ist Robertson nicht wirklich ersetzbar. Klar, Scheiben wie „Jericho“ haben ihre Momente. Ein Lied wie „The Caves of Jericho“ etwa, das Levon Helm gemeinsam mit Richard Bell und John Simon verfasst hatte. Oder ihre Interpretationen von Bob Dylan oder Bruce Springsteen, die Anfang der 90er wieder die Erinnerungen an die Frühzeit wachriefen. Und es war besser als sämtliche bis dahin erschienenen Solowerke der Bandmitglieder.
„High on the Hog“ (1996) wäre ein gutes Album geworden, wenn man denn gute Songs gefunden hätte. Das Zusammenspiel der jetzigen Besetzung hatte ein Niveau erreicht, das großartig zu nennen ist. Doch ehrlich: Neben der Neuinterpretation von Dylans „Forever Young“ sind kaum erinnernswerte Lieder drauf.
1998 kam dann mit „Jubilation“ das zehnte und letzte Studioalbum von The Band heraus. Und das ist der zweite würdige Schlusspunkt einer einmaligen Geschichte: Melancholisch, zeitlos, manchmal gar magisch. Endlich waren die meisten Songs wieder aus eigener Feder, ob nun von der Band gemeinsam, oder von Levon Helm und Rianko einzeln. Und dass Eric Clapton und John Hiatt im Studio zu Gast waren, fällt nicht ins Gewicht, denn sie passen sich nahtlos in den Bandsound ein.
A Musical History
Zahllos sind über diese offziellen Alben hinaus die Sampler und Live-Mitschnitte von „The Band“. Aber eigentlich braucht kaum jemand Scheiben wie das 2002 erschienene „The Moon Struck One“, wo jemand ziemlich wahllos Stücke versammelt hat, die von Richard Manuel gesungen wurden im Laufe der Bandgeschichte. Viel lieber sollte man das Geld dafür ausgeben, die in den letzten Jahren mit diversen Bonustracks aufgemöbelten Originalalben in die Sammlung aufzunehmen. Auch Live-Bootlegs muss man neben „Rock of Ages“, „Before The Flood“ und „The Last Waltz“ nicht wirklich besitzen.
Für Fans allerdings unverzichtbar (und auch für jeden eifrigen Studenten der Popmusikgeschichte) ist die aufwändige Box „A Musical History“, die 2005 auf den Markt kam. Denn hier wird wirklich die gesamte Geschichte von The Bandbis 1976 in den Blick genommen. Besonders spannend ist daher die erste CD, wo zu Beginn The Band noch als The Hawks die Begleitung von Ronnie Hawkins bildet. Hier ist noch purer Rockabilly-Krach zu hören. Noch nichts ist zu ahnen von den späteren fast ätherisch zu nennenden Songperlen. Der Anfang von The Band war eben der einer hart spielenden Kneipentruppe zwischen Rock und Blues. Nächste Station der Reise war dann „Levon & The Hawks“, immer noch heftig rockend und damit die perfekte Begleitung für die Selbsterfindung von Dylan als Rocker. Aus der Zeit finden sich dann Stücke wie „Just Like Tom Thumb‘s Blues“ von der legendären Tour durch Großbritannien. Und natürlich Songsskizzen aus den Basement-Sessions.
Ab CD 2 ist die Geschichte dann vertrauter. Aber noch immer sind bei den Stücken spannende Entdeckungen zu machen. Insgesamt sind fünf CDs und eine DVD in der Box enthalten. Und mehr als 20 Stücke drauf waren bis dahin noch nicht auf dem Markt zu finden, was angesichts der erwähnten Bonusmaterialien bei den Wiederveröffentlichungen der Alben ab 2000 wirklich erstaunt. Die DVD hat unter anderem ein paar Nummern aus der 1970er Tour mit dem „Festival-Express“ durch Kanada und von „Saturday Night Life“ 1976 zu bieten.