Sein Sterben war einsam und blieb lange Jahre in der Musikszene unbemerkt. Stefan Diestelmann, einer der wichtigsten Protagonisten des Blues in der DDR, starb nach Presseberichten am 27. März 2007 in Bayern.
„Das stille Sterben des Stefan D.“ nennt der Journalist Steffen Koenau seinen Artikel am 2. Dezember 2011 in der Mitteldeutschen Zeitung. Der Text fasst Fakten zusammen, die vor allem in den letzten Wochen von zahlreichen Musikern und Fans zusammengetragen worden waren. Und er räumt auf mit Legenden, die sich seit Jahren um das Schicksal von Stefan Diestelmann rankten, etwa die vom Aussteiger Diestelmann, der in einem ägyptischen Hotel sich mit gelegentlichen Auftritten über Wasser gehalten haben soll. Nein, auch wenn der begnadete Geschichtenerzähler Diestelmann daran wohl seine Freude gehabt hätte: Das Ende von Stefan Diestelmann war ein einsames und unbemerktes. Und eines, auf das Diestelmann selbst unbewußt hingearbeitet haben mag. Denn – und da sind sich Musiker, die irgendwann mit ihm gearbeitet haben, einig: Diestelmann war kein einfacher Mensch. Er wollte im Mittelpunkt stehen – oder eben verschwinden.
Begonnen hatte seine Geschichte recht ungewöhnlich. Geboren wurde er in München. Sein Vater war Schauspieler und seit 1956 bei der DEFA unter Vertrag. Nach dem Mauerbau holte er seine Familie in den Osten. Der Bayer in Berlin ist schon wegen des Dialekts ein Außenseiter. Und erst mit dem Spielen auf Gitarre und Mundharmonika wird er akzeptiert. Er spielt bei Amateurbands wie den Teddys und macht eine Fotografenlehre. Die DDR empfindet er aber als ”das modernste Gefängnis der Welt“. Und so redet er schon als 19jähriger davon abzuhauen. Am 5.3.67 wurde er wegen Vorbereitung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR verhaftet.
Er wurde zu 10 Monaten verurteilt, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Diestelmann selbst hat immer wieder erzählt, er wäre zu drei Jahren Haft verurteilt worden ”wegen Staatsverleumdung und Untertgrabung der Volksmacht“. Er erzählt von der Zeit im Umerziehungslager Regis-Breitingen, obwohl nichts davon wahr ist. Doch es passt zum Image des unangepassten Bluesers. 1975 schließlich bot sich ihm die Chance, bei Vai Hu mitzumachen. Zwei Jahre dauert die Zeit einschließlich eines kurzen Gastspiels bei Engerling.
1977 schließlich die eigene Band.
”Wir waren eine richtig dufte Gruppe“, erinnert sich Bernd Kleinow an die ersten Konzerte der Stefan Diestelmann Folk Blues Band, ”aber die Besetzung war so untypisch, dass alle erst mal guckten: Was machen die denn da?“
Neben dem Sänger und Gitarristen Diestelmann und Kleinow an der Mundharmonika spielten Dietrich Petzold (Geige) und Rüdiger Philipp (Kontrabass). Es gab keine Elektrogitarre und kein Schlagzeug. Für das normale Rockpublikum war das erst mal ein Schock. Und keiner klatschte.
”In der Pause vom zweiten Konzert im ’Blauen Klub’ in der Prenzlauer Allee, als die wieder alle wie tot vor uns saßen, habe ich gesagt: So, Jungs, das war’s, wir reißen den Rest noch runter und begraben das Ganze.“
Doch dazu ist’s dann doch nicht gekommen. Die Menge begann zu toben. Diestelmann, damals 28 Jahre alt, wurde zu einer Leitfigur für den Blues in der DDR.
Die ungewöhnliche Gruppe begeistert die Massen. Und der Staat wird hellhörig.
”Einerseits müssen wir davon ausgehen, dass der Blues im Rahmen unseres vielseitigen musikalischen Angebotes seinen Platz gefunden hat“, schreibt der Berliner Magistrat, ”andererseits wissen wir auch über die Probleme, die sich speziell bei der Orientierung auf dieses musikalische Gebiet ergeben.“Gemeint ist damit: Bluesfans sind langhaarige unangepassten Typen, die jedes Wochenende zu Konzerten trampen, massenhaft Alkohol zu sich nehmen und keine wirklichen Sozialisten sind. Immer wieder kommt es bei Diestelmanns Konzerten zu Rangeleien, muss die Polizei gerufen werden. Diestelmann wird ”bewusstes Anheizen der Stimmung“ und ”Aufmunterung zum Randalieren“ vorgeworfen. Der gleiche Vorwurf, den auch Renft und andere hatten über sich ergehen lassen müssen. Diestelmanns Anhänger wurden pauschal als Asoziale abgestempelt. Doch der Musiker fand dennoch Zutritt zur offiziellen DDR-Kultur. Er lernt Alexis Korner kennen und tritt gemeinsam mit Memphis Slim im Palast der Republik auf. 1978 kam seine erste Platte in den Handel und wurde über Nacht ein Hit. Endlich erhielt er einen befristeten Berufsausweis. Neben hunderten Konzerten schreibt er Soundtracks für Hörspiele und Filme und steht selbst mit Dean Reed in ”Sing Cowboy Sing“ vor der Kamera.
Doch trotz 200.000 verkauften Platten sind es 1979 schon sieben von vierzehn Bezirke, wo er nicht auftreten darf, weil sein Publikum Ordnung und Sicherheit gefährdeten. Als er nach dem ersten Album für ”Hofmusik“ deutsche Texte schreibt, verschärft sich die Lage noch. ”Der Alte und die Kneipe“ entspricht wirklich nicht
dem sozialistischen Menschenbild. Und doch kommt das Lied in der Jahreshitparade 1980 immerhin auf Platz 16. Die neuen Lieder entwickeln sich fort vom traditionellen Blues hin zu mehr Liedermacherklängen. Noch mehr als auf ”Hofmusik“ wird diese Tendenz auf seiner dritten Platte ”Folk Blues & Boogie“ deutlich. Hier klingt auch schon an, dass Diestelmann in der Szene langsam den Rückhalt verliert durch seine Art („An nen Kumpel“). Mitstreiter wie Kleinow waren damals schon längst eigene Wege gegangen.
Auf der Bühne lästert er über die Puhdys und die DDR zur Freude der Fans und zum Ärger der Behörden. Zeitweise werden geplante Konzerte kurzfristig abgesagt. Dann wieder tritt er bei Rock für den Frieden und dem Festival des politischen Liedes auf. Das ergibt kein wirklich stimmiges Bild dieses Musikers, der sich selbst gern als nach Biermanns Rauswurf ”gefährlichsten Musiker der DDR“ gesehen hat. Doch viel eher ist er eine seltsame Mischung aus Staatskünstler und Staatsfeind.
Pfingsten 1984, die dritte LP ist eingespielt und als Kassette schon im Handel, bleibt Diestelmann nach erlaubten Konzerten in der BRD im Westen und meldet sich bei Gottfried Böttcher, dem ehemaligen Pianisten von Udo Lindenberg. Er erzählt von neun Millionen, die die Stasi ihm gestohlen habe, von einer wertvollen Antiquitätensammlung. Doch davon ist nichts wahr, wie sich Alexander Blume, sein langjähriger Pianist erinnert: Diestelmann habe ihn gebeten, seine Plattensammlung zu verkaufen und die Schulden zu bezahlen. Das Geld habe dafür nicht ganz gereicht.
Im Westen nimmt Diestelmann noch einige Platten auf und veröffentlicht sie teilweise privat. Kurzzeitig ist er Songschreiber beim Schlagerproduzenten Ralph Siegel. Nach der Wende kommt es noch zu einigen Konzerten in den neuen Bundesländern und in Bayern. Aber nach einer kurzzeitigen Euphorie bei den Fans kommt die Ernüchterung: Der Blues hatte seine Stellung in der Szene der DDR schon Ende der 80er eingebüßt. Und nach der Wende war das Interesse daran noch geringer.
Irgendwann zog sich Diestelmann komplett an den Ammersee zurück und lebte davon, Präsentationsfilme für Hotels zu produzieren. Nur noch sporadisch trat er irgendwo in den ostdeutschen Bundesländern auf, spielte etwa mit Igor Flach und dem Wittenberger Denny Hertel. Aber das waren die kleinen Läden, Cafes oder Clubs.
Die Kontakte zu Kollegen in Ost und West brachen völlig ab. Und irgendwann, so Koenau, zog er sich selbst von der Familie komplett zurück. Selbst sein Vermieter hatte in der letzten Zeit keinen Zugang mehr zu ihm, als er unbekannt 2007 in Bayern starb.
In einem Interview, dass die Koenau mit ihm auf dem Ammersee führte, erinnert sich Diestelmann nochmal der alten Zeiten. Doch wo hier der Geschichtenerzähler die Wahrheit zu seinen Gunsten verdrehte, bleibt offen. Der Journalist Koenau kann das wahrscheinlich mit am Besten beurteilen, hatte er doch schon im Buch über den DDR-Blues „Bye bye Lübben City“ die verschiedenen Seiten Diestelmanns dargestellt.