Rache und Kohlen – Predigt über Römer 12,17-21 im Kneipengottesdienst am 15.06.2008

12,17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
12,18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
12,19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es stehtgeschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
12,20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken.Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21.22).
12,21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Ihr Lieben,
wieder mal ne Menge Ermahnungen. Gut und Böse schön sortiert. Macht das Gute, lasst das Böse. Na prima! Moralapostel möchte man Paulus zurufen. Dabei sagt sich doch so schön: Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd/lebt verkehrt… auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil und was der Lebensweisheiten noch so alle sind. Sich zu rächen, dem Anderen hinterrücks eine reinzuwürgen, das ist doch befriedigender, als allen Ärger in sich reinzufressen.

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Du hast die Schnauze voll vom Ex, Nachbarn, Chef, Arbeitskollegen oder Mitschüler?

Wenn ja, dann ist hier ein kleines Quiz, das eine große Wirkung auf Deinen Rachedurst haben wird. Beantworte einfach diese Fragen:

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Hast Du es satt, immer das Opfer irgendwelcher Mitmenschen zu werden, die ihren Spaß auf Deine Kosten haben?

Willst Du Deine bisherigen Widersacher mit einigen Tricks fantasievoll erniedrigen, sie bestrafen, ohne ihnen jemals ein Haar zu krümmen?

Wärst Du gerne in den Augen vieler Menschen ein Experte, der großen Ideenreichtum besitzt, um seine unangenehmen Zeitgenossen mit den nötigen Tipps und Tricks in die Schranken zu weisen?

Wenn Du einige oder alle dieser Fragen mit JA beantwortet hast, dann habe ich gute Neuigkeiten für Dich:

Du kannst all diese Dinge erreichen: mit dem speziellen Wissen, das ich Dir hier in diesem Artikel enthülle. Egal, ob Du eine völlig verschüchterte Frau bist oder schon ein Schlitzohr, dieser Artikel wird Deinen Ideenreichtum auf ein absolut neues Level heben.

Und auf onlinerache.de finden sich dann Geschichten, wie man sich an Freundinnen, Chefs und ähnlichen rächt. Kostenlos kann man Mitglied werden und Rachetipps austauschen- auch wenn die im kleingedruckten als Satire bezeichnet werden. Rache ist süß – oder wie ein Klingonisches Sprichwort sagt: ein Gericht, dass am besten kalt serviert wird.
Doch Paulus – zu früheren Zeiten auch einer, der sich rächen wollte, nämlich an den als Spaltern verhassten Christen, mahnt zum Frieden.
Doch wenn wir genauer lesen, was er an die ihm unbekannte Gemeinde in Rom so alles schreibt, dann werden die Perspektiven ein wenig verrückt.
Denn die ersten Kapitel des Briefs handeln fast nur davon, was Gott uns Menschen eigentlich alles Gutes getan hat. Und als Schlussfolgerung – wenn das dann so ist, wenn Gott uns eigentlich alles, was wir zum Leben wirklich brauchen, schenkt, dann sollte sich das doch auch auf uns auswirken, dann kann nicht einfach alles so weitergehen, wie es unter Menschen halt so üblich ist seit Urzeiten.
„Seid weltfremd" hat sein Pastor, der seine Predigt zu unserem Text ins Internet gestellt hat, jeden Abschnitt überschrieben. Seid weltfremd – macht einen Unterschied mit euerm Leben. Ihr seid eingeladen, die Dinge neu zu denken und zu tun.
Bitte, lernt vielmehr vom Erbarmen Gottes und redet zum Guten! Paulus sagt es noch stärker: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde du das Böse mit Gutem. Das Wort „überwinden", nämlich das Überwinden des Bösen, ist hier zu unterstreichen. So verstehen wir erst recht, was Paulus meint mit seinem anderen Satz: „Soviel an euch liegt, haltet mit allen Menschen Frieden." Es gibt doch auch einen faulen und morschen Frieden. Das ist ein Frieden, in dem das Böse nicht überwunden wird mit dem Guten, sondern in dem das Böse böse bleibt. Der Genfer Reformator Johannes Calvin, der vor fast 500 Jahren geboren wurde, spricht in der Auslegung dieser Bibelstelle davon: Es gebe Menschen, die um des lieben Friedens willen Anderen schmeicheln, und solche, die sich beliebt machen wollen und darum nach der Zustimmung möglichst aller handeln. Es muss klar sein, dass das mit Frieden schließen nicht gemeint sein darf. Denn so würde ja das Böse nicht überwunden mit Gutem, sondern auf Dauer gesetzt. Das Überwinden des Bösen mit Gutem besteht nicht in einer schwächlichen Nettigkeit zu jedermann, in der man als Spielball von allen Seiten benutzt wird. Es geht vielmehr darum, aktiv Dinge gut zu machen, dem der uns feindlich gegenübersteht mit Gutem zu überraschen, ihn zu überrumpeln – und das heißt: ich muss genau hinschauen, was dem Gegenüber eigentlich fehlt, warum er denn was von mir will.
In den letzten Tagen hab ich auf den neuen Seiten der Freibeuter zu einer Predigt von Inge einen Kommentar geschrieben. Eine kleine Anfrage danach, ob er es nicht ein wenig übertrieben hat mit der Betonung seiner Person. War nicht böse gemeint – kam aber genau so an. Inge fühlte sich quasi unsittlich angemacht – wie kannst Du nur so ne Frage stellen. Das wollte ich wirklich nicht. Und früher hat er auch nicht so reagiert, wenn ich ihn mal ein wenig kritisiert habe oder paar Anmerkungen machte. So wie sich das halt unter Freunden eigentlich gehört.
Irgendwann hab ich dann statt eines neuen Kommentars eine Mail geschrieben – manches ist doch besser nicht in der kompletten Öffentlichkeit zu sagen. Doch andere stiegen in die Debatte ein. Und es schaukelte sich ein völlig unnötiger Streit auf, der mit einer sachlichen Diskussion nichts mehr zu tun hatte. Wie geht man damit um? Ich meine: wie gehe ich damit um – bestehe ich drauf, dass mich da einer gewaltig missversteht und versuche, ihm meine Meinung vor den Kopf zu knallen? Oder schweige ich einfach still, um ein wenig die Luft rauszulassen – oder versuche ich ernsthaft zu erfahren, warum Inge so heftig und betroffen reagiert? Um ihm dann wirklich helfen zu können?
Ich gestehe: Ich hab den bequemen Weg gewählt, weil ich einfach keinen Bock auf müßige Debatten hatte und darauf, dass die Seiten für persönliche Angriffe genommen wurden. Ich hab einfach die Kommentarfunktion für Inges Predigten abgeschaltet.
Eigentlich reicht das aber nicht aus. Das ist nicht: das Überwinden des Bösen mit Gutem. Das ist einfach nur billiger Friede.
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösen!" Ausnahmslos niemandem! Gewiss, wer euch Böses tun will, ist euer Feind. Und es ist recht, wenn ihr seiner Bosheit widersteht und sie nicht gutheißt. Aber die Frage ist, wie ihr das in rechter Weise tut, ohne dabei selbst von seiner Bosheit angesteckt zu werden. Unser Bibelwort gibt die Antwort: Vergeltet so das Böse und bekämpft und überwindet so euren Feind, dass ihr ihn als Feind „einfach nicht gelten lasst" (Karl Barth). Gönnt ihm nicht diesen Triumph, dass er euch überwindet mit seiner Bosheit! Besiegt vielmehr ihn, indem ihr ihm Gutes tut.
Paulus fährt in unserem Text fort und sagt: „Rächt euch nicht selbst, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (in 5. Mose 31): ‚Mir gehört die Rache, ich will vergelten.'" Das tönt verwunderlich. Aber machen wir uns zunächst klar: Damit ist uns ganz und gar und restlos ein Amt sozusagen als Racheengel entzogen. Meinerache.de sind keine Möglichkeit, selbst nicht für 9,95€. Wer sich rächt, der zeigt, dass ihm Gott nichts gilt, meint der Schweizer Reformator Calvin. Wer nach Rache sucht, bei dem ist kein Platz mehr für Gottes Hilfe.
In der Nazi-Zeit, als auch so viele Christen vom antisemitischen Geist angesteckt waren, machte eine Anekdote die Runde. Ein evangelischer Pastor begegnete einem Rabbiner und fragte ihn: „Glaubt ihr Juden immer noch an den Gott der Rache?" Der Jude antwortete: „O ja, wir glauben noch immer an ihn. Aber während wir diese Aufgabe ihm überlassen, suchen wir auf Erde Gutes zu tun – hingegen scheint ihr Christen umgekehrt zu verfahren." Das öffnet uns die Augen für die Erkenntnis: Wir dürfen nicht etwa dieselbe Rache, die wir gern selber täten, nun von Gott erwarten. Als könnten wir Gott zum gefügigen Helfershelfer für unsere bösen Wünsche machen1 Nein! Gott will wohl alles Böse abschaffen – das ist sein Zorn und seine Rache. Aber eben, sein Zorn und seine Rache gehören ganz hinein in den Vollzug seiner vollkommenen Güte und seiner starken Hilfe für alle Menschen.
Darum entspricht es dem Willen Gottes, wenn uns geboten ist: „Rächt euch nicht!" Ja, darum entspricht es dem gütigen Willen Gottes, wenn uns statt dessen geboten wird: „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so tränke ihn. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln." Die seltsame Rede von einem Sammeln feuriger Kohlen auf ein Haupt verstehen wir am besten so: Diesen euren Feind schafft ihr einfach so auf die Seite, dass ihr auch ihn genau so behandelt, wie ihr Christen überhaupt Bedürftige, Kranke, Notleidende zu behandeln habt. Also, bekämpft ihn nicht, aber versucht auch nicht, ihn zu bekehren oder ihm sonst eine anständige Gesinnung beizubringen. Sondern seht, dass er in all seiner für euch unerfreulichen oder gefährlichen Haltung jedenfalls ein Mensch ist: einer, der dran ist wie ein Armer und Bettler, wie ein Hungernder und Dürstender. Gebt ihm, was er braucht! Speist ihn, tränkt ihn! Gebt ihm das, ohne die Bedingung seiner Besserung zu stellen! Setzt einen neuen Anfang in der Beziehung zu ihm, indem ihr ihn einfach als einen Menschen wie du und ich behandelt. So seid ihr brauchbare Boten und Botinnen des Erbarmens Gottes mit ihnen und uns und mit allen. Gott segne dazu unser Hören, Reden und Tun! Amen.