„Predige über die Gewißheit!“ Diesen Tipp – oder eigentlich diese Aufforderung bekam ich vor wenigen Tagen. Predige über die Gewißheit, dass Du das, wovon Du hier immer wieder sprichst, ob in persönlichen Gesprächen oder in den Gottesdiensten, auch wirklich glaubst. Denn, so die Fortsetzung: Ein Pfarrer muss gewiss sein, er muss die Gewissheit regelrecht ausstrahlen. Denn – und diese Begründung hab ich zwischen den Zeilen ganz genau gehört: Ich selbst bin mir zu oft ungewiss. Ich zweifle immer wieder daran, ob es Gott eigentlich gibt, ob er sich um uns kümmert, ob mein Leben wirklich für Gott wichtig ist.
Ein Pfarrer muss gewiss sein? Klar doch, ansonsten hätte er den Beruf verfehlt. Ansonsten hätte er als Prediger nichts zu sagen. Es kann doch nicht sein, dass ich mir Dinge über den Glauben, über Gott und Jesus von jemandem sagen lasse, der eigentlich gar keinen Glauben hat. Und an den meisten Tagen meines Lebens kann ich guten Gewissens sagen: Ich bin mir ganz sicher, dass Gott sich um uns kümmert. Ich bin gewiss, dass mein und dein Leben hier kein bloßer Zufall ist. Du bist für Gott ganz wichtig. Und selbst ich bin für ihn nicht nur ein weiterer dieser nervenden Menschlein. Nein: Gottes Liebe ist für uns alle da.
Doch dann gibt es eben auch diese Tage, wo die Fragen kommen. Oft reicht ein kleines Missgeschick, um einen zu verunsichern in seiner Gewissheit. Und wie schlimm wird es dann erst, wenn einem die großen Sicherheiten, die Konstanten im Leben wegbrechen? Dann verzieht sich die Gewissheit ganz schnell wieder. Dann kommen die Zweifel, die Fragen, die Anklagen: Wieso musste das jetzt passieren?
Immer wieder, wenn ich meine Eltern besuche, dann merke ich, dass sie wirklich alt werden. Es wachsen nicht nur die Pillenstapel, die jeden Tag verteilt zu nehmen sind, um die verschiedenen Gebrechen zu behandeln. Es ist auch erschreckend, wenn man die Erinnerung bei ihnen nachlassen spürt, wenn sie vergesslich werden. Wieso werden Eltern alt? Die Angst wächst, sie ganz plötzlich zu verlieren. Dabei glauben wir doch immer, die Eltern wären immer da, sie stünden bereit als Rückendeckung, wenn man wieder mal Mist gebaut hat. Als Ratgeber, wenn man nicht mehr weiter weiß und Fragen hat, die man selbst den besten Freunden nicht stellen mag.
Wenn die Angst wächst, dann schwindet die Gewissheit, dann zerbröckelt irgendwann auch der Glauben selbst. Aber was ist dass eigentlich für ein Glauben, der sich durch kleine Ängste schon verunsichern lässt, der bei größeren Schlägen gleich ganz kaputt geht? Diese Frage muss ich mir selbst immer wieder stellen.
Und dann lese ich diesen Text, den Paulus in seinem Brief nach Rom geschrieben hat:
8,31b Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
8,32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben
– wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
8,33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
8,34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
8,35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
8,36 wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen
Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
8,37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.
8,38 Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
8,39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Ist Gott für uns – wer kann gegen uns sein? Das ist ein Satz so voller Gewissheit, dass es regelrecht übertrieben klingt. Paulus ist hier seiner Sache so sicher, dass er keinerlei Zweifel (ob bei sich oder seinen Lesern) zulässt: Gott ist da für uns. Beweis: Jesus, sein Sohn. Ihn hat er in die Welt geschickt. Nicht irgendwohin, sondern genau dorthin, wo ihn die Menschen brauchten, wo Leute seine Hilfe nötig hatten. Mitten in die Welt hat er ihn geschickt.
in die Mitte des Lebens, ins Zentrum, da wo Leben ist, dahin hat er seinen Sohn gestellt. Er 'hat ihn nicht verschont'. Nicht am Rande des Lebens, nicht dort, wo eitel Sonnenschein regiert, nicht dort, wo vermeintliche Sorglosigkeit und kurzatmiges Glück den Tag begleiten, ist er zur Welt gekommen. Im Stall, nicht im Palast, Kind unverheirateter Eltern, erst unterwegs, dann auf der Flucht, nicht Königskind im Himmelbett. 'Dahingegeben hat er ihn.' Bei Kranken fand er Gehör, draußen vor den Toren der Stadt. Menschen, mit denen keiner etwas zu tun haben wollte, die wählte er sich zu Freunden. Seine Gesellschaft wurde zur Mitte des Lebens. Denn neues Leben begann überall dort, wo er von Gott erzählte, dort konnten Blinde wieder sehen, Lahme wieder gehen, Taube wieder hören, Aussätzige wurden rein und arme Menschen wurden der Liebe, der Treue, der Solidarität Gottes versichert.
Gott in der Mitte des Lebens. 'Gott ist hier.' Nicht nur am Sonntag, auch im Alltag der Woche. Nicht nur am Übergang von einem zum anderen: vom Nicht-Leben zum Leben, vom Kind-sein zum Erwachsen-Werden, von der Einsam- zur Zweisamkeit, vom Leben zum Tod zum Leben, von einem Jahr zum anderen. 'Gott ist hier.' Heute Abend. Morgen früh. 'Gott ist hier.' Weil wir da sind, weil wir seine Geschöpfe, seine Ebenbilder sind, er wie wir, wir wie er. 'Gott ist hier.' In uns verborgen, wie seine Gerechtigkeit, die nur dann sichtbar wird, wenn wir beginnen, das Recht zu lieben, das Unrecht zu hassen, für die Gerechtigkeit einzustehen, schlicht und einfach gerecht, rechte, wahre Menschen zu sein, die beten und das Gute tun und das an 365 Tagen des Jahres. Hier offenbart sich dem Menschen die Würde, wenn er sich, wenn wir ihn, wenn wir uns als – wie Gott – verstehen.
Nicht im Wahn, der Größte zu sein, nicht in der Allmächtigkeit, das denkbar Mögliche auch zu tun. Wenn, dann nur zur allergrößten Liebe fähig, so wie Gott, wenn, dann nur zur allmächtigen Treue fähig, zur allmächtigen Geduld, zur allmächtigen Barmherzigkeit, so wie Gott.
Weil uns das aber immer wieder misslingt und immer öfter, weil wir der Gerechtigkeit Gottes, die wir in uns tragen, den Weg versperren, sie nicht nach draußen lassen, weil wir egoistisch sind auch im Blick auf Gottes Gerechtigkeit, und Angst haben, wir müssten sie teilen, darum gelingt es dem Teufel, einen Keil zu treiben, unser schlechtes Gewissen zu nähren, so dass wir meinen, 'von Gottes Liebe geschieden zu sein.' Und in diesem Irrglauben empfinden wir 'unsere Leiden,' die wir mit Aspirin betäuben, 'und unsere Angst', zu kurz zu kommen, 'und unseren Wahn' im Zwang zum Erfolg, 'unseren Hunger' bei vollem Kühlschrank 'und unsere Kälte', die von innen her kommt, als Folgen von Gottes Liebesentzug. Wenn wir ihn überhaupt spüren.
Aber weit hinten in unserem Bewusstsein, im Dunkel unserer Seele hegen wir die Hoffnung, hoffen und vermuten wir, und je länger je mehr wir darüber nachdenken, wird hoffen zum wissen, ja sind wir dann auch 'gewiss, dass uns nicht Tod, nicht Leben, keine Engel, keine Fürsten, keine Gewalt, nicht das Heute, auch nicht das Morgen, weder etwas, was im Himmel, noch das, was in der Hölle ist, überhaupt nichts, was Gottes Schöpfung umgreift, von seiner Liebe trennen kann, …'
"Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? … in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat." Jede Zeit und so auch unsere, kann hier noch ihre eigenen Gefahren und Bedrohungen einfügen: Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger … die verheerenden Folgen des Klimawandels, die drohende Arbeitslosigkeit, der wirtschaftliche Abstieg, Krankheit, Alter, Pflegebedürftigkeit … In einem letzten Sinn kann uns das alles nicht von unserem Herrn trennen. Wohlgemerkt: Er führt uns nicht an dem vorbei, was uns Angst macht, aber er führt uns hindurch. Und er geht mit uns, er ist keinen Augenblick weiter von uns entfernt, als wohin wir mit unserem Gebet reichen. Und noch bevor wir ins Dunkel hinein gehen, wissen wir eines ganz gewiss: Wir werden es mit Christi Hilfe überwinden.
Aber nicht genug mit diesen Worten, die uns schon so großen Halt geben und wie ein Geländer sind, an dem wir uns festhalten können auf dem Weg ins unbekannte Jahr. Es wird noch eindringlicher, noch ermutigender: "Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn."
Hier sind nun auch alle die geheimen Ängste angesprochen, was uns ganz persönlich die Ruhe raubt, die vielen Zweifel und Befürchtungen tief drinnen … Aber es gibt keinen Menschen, es gibt keine Macht, weder heute noch in der Zukunft, die uns von Gott trennen könnte und von seiner Liebe. Er lässt uns niemals fallen, vielmehr führt er uns durch Leid und Tod hindurch zum Leben.
Das ist die Gewissheit, die Paulus verkündet. Er hebt damit keine große Moralkeule. Er will uns nicht abkanzeln, weil wir zweifeln oder unsicher sind. Nein: Er ist sich sicher und will uns Mut zusprechen, wenn wir ängstlich sind. Er will uns trösten, wenn wir traurig sind. Er will uns mit seiner Schwäche Kraft geben, die nächsten Schritte zu gehen. Und damit macht Paulus in seinem Brief eigentlich genau das, was Jesus auch getan hat: Er geht zu denen, die Hilfe brauchen. Er folgt Jesus nach. Und immer dann, wenn wir auch nur ein gutes Wort finden können, für jemanden, der darauf wartet, immer dann sind wir genau auf dem richtigen Weg. Dann sind wir ganz sicher unterwegs in der Liebe Gottes. Und alles wird gut.
Amen.