„Paula, are you Black or White?“ Ray Charles hat das vor Jahren die Sängerin Paula Harris gefragt, die 2012 mit ihrer Band bei der International Blues Challenge den dritten Platz belegt hat. Dass sie erst vor reichlich einem Jahr von Musical und Jazz zum Blues gewechselt ist, hört man ihrem Album „Turning On The Naughty“ nun wirklich nicht an. Wenn der Posten einer Queen im Blues oder Soul demokratisch vergeben würde, hätte sie realistische Chancen, gewählt zu werden.
Irgendwo zwischen Ruth Brown, Etta James und Aretha Franklin wird sie von Kritikern einsortiert. Die phantasievollste Beschreibung der Künstlerin lautet übersetzt etwa: Wenn Etta James Frontfrau bei Tower of Power wäre, und diese eine Bluesband wäre, genau so klingt Paula Harris.“ Und dann gibt es noch das als Überschrift verwendete Statement von Ray Charles, der eigentlich noch als Fortsetzung „You sure sound like a sister“ angefügt hatte.
Wobei die Frage nach der Hautfarbe von Bluessängerinnen und Bluessängern fast so alt wie der Blues selbst ist. Und sie war von Anfang an ziemlich überflüssig. Weil schon in den zwanziger Jahren weiße Sängerinnen den Blues überzeugend und mitreißend sangen. Aber lassen wir diese Überlegungen einfach beiseite. Denn wenn Paula Harris „Some of my best friends are the Blues“ schmettert, dann ist eines klar: Sie, die klassisch ausgebildete Musicalsängerin, ist eine der aufregendsten Stimmen, die es in Blues und Soul in den letzten Jahren zu entdecken gab. Und ihr Debüt „Turning on the Naughty“ ist so nahe dran an einem perfekten Soulbluesalbum wie es überhaupt nur geht. Denn Harris – obwohl sie eine Powerröhre ohnegleichen ihr eigen nennt – kann nach Bedarf sämtliche Register zwischen liebevoll-verführerisch, verrucht oder lasziv bis hin zu purerer Aggression ziehen: Von der Funknummer „I Play Dirty“ über den selbst geschriebenen Titelsong bis hin zu einer umwerfenden Neuinterpretation des durch Etta James bekannt gewordenen „Damn Your Eyes“, bei dem man sofort losheulen könnte, weil es so schön ist. In „Cast the First Stone“ kreischt sie wie eine wildgewordene Ruth Brown und liest dem Mann gründlich die Leviten. Man duckt sich unwillkürlich zusammen und fühlt sich mitschuldig. Die Band treibt das Lied im Laufe von fünf Minuten in eine derartige Ekstase, dass man erst bei der Schlussblende langsam wieder zu Atem kommt. Und auch bei „Gates of Hell“ fühlt man sich als Mann direkt angesprochen, wenn einem klargemacht wird, dass der Platz an des Teufels Seite eigentlich schon fest für einen reserviert sei. Und dann kommt noch eine lupenreine Jazzballade wie „You Don‘t Know What Love Is“(wo mich ihre Phrasierung immer wieder an die große Pascal von Wroblewski erinnert) und eine Jazzfunkfasszung von „Dust My Broom“, die es tatsächlich fertigbringt, mal wieder ganz neu auf den Text zu hören … Was für eine Stimme! Und diese Frau hat wirklich erst vor einem Jahr angefangen, Blues zu singen? Was für eine Band – völlig zu Recht nennt Paula sie The Beasts of Blues und die Horn Section Big Ass Brass. Dass das samt und sonders altgediente und hochgeehrte Veteranen der Szene sind, ist nicht zu überhören. Ebensowenig aber auch, dass sie miteinander mit einer Energie bei der Sache sind, die weit über einen Alltagsgig hinausgeht.
Als Kind in South Carolina wuchs Paula Harris mit einer Menge Soul auf, denn ihr Vater arbeitete als Roadie für Bands wie The Embers, The Tarns oder The Catalinas. Diese sanfte Musik ist meilenweit von der explosiven Energie einer Etta James entfernt und auch weit von der Aretha Franklin, als sie zu Atlantic kam. Zu singen begonnen hat sie schon als Kind, nachdem sie schon als sechsjährige „Hit the Road, Jack“ und andere Songs gelernt hatte. Bei Familienfeiern trug sie die dann inklusive kompletter Choreografie vor. Ihre Musiklehrerin brachte sie schließlich dazu, eine klassische Ausbildung zu machen. Denn nur so könne sie alles singen, was sie wolle. Und sie laufe niemals in die Gefahr, ihre Stimme durch falsche Technik zu zerstören. An der Uni begeisterte sie sich dann immer mehr fürs Musical und hätte sogar an der berühmten Juillard School studieren können. Doch das war trotz eines zugesagten Teilstipendiums zu teuer für die Familie. Das bedauert sie noch heute.
In der Zeit vor den Castingshows gab es für eine Sängerin, die bekannt werden wollte, nur wenige Chancen auf ein größeres Publikum. Harris entschied sich dafür, bei Schönheitswettbewerben mitzumachen. Denn dort muss man ja auch immer ein Talent vorführen. Mit ihrem Aussehen und vor allem ihrem Gesang brachte sie es schließlich bis zur Miss Myrtle Beach.
Ihre ersten professionellen Jobs als Sängerin hatte sie für Orchester, die vor allem bei eleganten Dinners oder für Firmenveranstaltungen und Orchester engagiert wurden. William Bell, einer der Stars der klassischen Zeit des Stax-Labels, wollte mit ihr ein Album produzieren. Doch irgendwie wurde da nichts draus. Aber befreundet sind die beiden noch immer.
2003 zog sie schließlich von der Küste South Carolinas nach Kalifornien, um zu heiraten und hörte für fünf Jahre ganz mit den öffentlichen Auftritten auf, bis sie schließlich von einem Pianisten ein Engagement in eine Club angeboten bekam.
Und das war für Harris eine ganz neue Erfahrung. Denn hier gab es keine ausformulierten Arrangements mehr wie bei den Orchester-Gigs. Hier konnte es vorkommen, dass der Pianist ein Stück keine zwei Male völlig gleich spielte. Hier war Raum für Improvisation und eigene Interpretation jenseits des gedruckten Textes. Eigentlich das ideale Feld für eine Jazz-Sängerin. Doch als solche wurde sie von den Clubs kaum gebucht. Jazz ist für die etwas, was sich in der Liga von Norah Jones oder Diana Krall abspielt. „Für eine Jazzsängerin bist du einfach zu sehr over the top“ meinten Freunde. Sie sei eher mit Etta James zu vergleichen. Und die sei ja schließlich auch als Blues- oder Soulsängerin vermarktet worden. Und so wurde aus Paula Harris eine Bluessängerin.
Schließlich fand die Sängerin zur Golden Gate Blues Society. Und die ermutigten sie, sich doch um die Teilnahme an der International Blues Challenge zu bewerben. Dafür musste sie sich allerdings erstmal eine passende Band besorgen. Der erste Musiker, den sie dafür in den Blick nahm, war Gitarrist Terry Hiatt, in der kalifornischen Bay Area einer der Top-Session-Gitarristen. Der lud sie zunächst erstmal zu einer seiner Jamsessions ein, ehe er überhaupt reden wollte. „Lass uns sehen, ob wir einander zum Lächeln bringen“, so sein Kommentar. Nach der Session hatte Hiatt ein breites Grinsen im Gesicht und Harris einen Gitarristen. Zu den Beast of Blues gehören außerdem noch der live völlig durchgeknallte Schlagzeuger Derrick „D‘Mar“ Martin, Bassist Joey Fabian und Simon Russel an den Keyboards.
Nachdem die Truppe den Vorausscheid in Kalifornien gewonnen hatte, ging es auf nach Memphis, wo man eigentlich nicht damit rechnete, die erste Runde zu überstehen. Denn schließlich hatte man bislang nur ganz wenige Proben hinter sich. Doch schließlich kam man bis ins Finale des Bandausscheides und dort bis auf Platz drei. Ein Grund dafür waren sicherlich auch Paulas eigene Songs, die sich erfrischend von dem schematischen „woke up this morning“ abheben.
„These songs, they‘re just a great palette to allow a singer to paint whatever emotion they want to, whether it‘s funny, tongue-in-cheek, sad, mad, whatever. I like them, because the blues are more about emotion and less about structure, whereas most other forms of music are more about a sound than a feel.“ Das meinte sie im Interview mit einer kalifornischen Zeitschrift. Und es ist für sie wichtig, im Blues gerade auch die lustigen, witzigen oder etwas anzüglichen Dinge zum Ausdruck zu bringen. „Wenn du den Blues am Leben erhalten willst, dann musst du dafür sorgen, dass auch die jüngere Generation ihn mag. Und Du wirst niemals die 20jährigen dazu bringen, die Musik ihrer Urgroßeltern zu hören.“ So setzte sie sich zum Ziel, mit ihrem Debüt etwas ähnliches zu machen, wie etwa Amy Winehouse oder Adele: Zwar retro, aber dennoch funky, witzig und gegenwärtig. Und bei allem immer noch Blues. Denn schließlich sollen auch die älteren Fans daran noch ihren Spaß haben. Leider ist hierzulande dieses wundervolle Debüt nur als Download bei itunes zu erhalten.