Wer Literatur verfilmt, begibt sich immer auf dünnes Eis. Zunächst hat man es mit den Nörglern zu tun, die die „Das-Buch-ist-viel-besser-als-der-Film“-Phrase runterbeten und sich für jede weitere Diskussion disqualifizieren, da der qualitative Vergleich Buch / Film schwer zu machen ist. Denn zum einen ist der Film eine völlig andere Kunstform als die Literatur es ist und zum anderen sind Filme, die Literatur zur Grundlage haben, von einem starken Reduktionsprozess betroffen. Des weiteren müssen sich Filmemacher oft den Vorwurf gefallen lassen, dass IHRE Interpretation eines literarischen Stoffes nicht der eigentlichen Autorabsicht (die es so wahrscheinlich auch gar nicht gibt) entspricht. Er muss sich also viel gefallen lassen, der Filmemacher.
Doch nun haben wir ihn genug in Schutz genommen und von aller oberflächlichen Kritik abgeschirmt, um ihn endlich auf konstruktive Weise fertig zu machen; dort wo ihn die Seichten nicht sehen können. Gemeint ist Oliver Parker, der mit seiner Verfilmung von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ seine Zuschauer 112 Minuten lang erbarmungslos quält. Der Film hätte durchaus seine Berechtigung, wenn er nicht diesen Titel tragen würde, denn damit bringt er sich auf unerlaubte Weise mit Wildes Buch, welches zu den wirklich Großen innerhalb der Weltliteratur zählt, in Verbindung. Filmemacher wie Parker sind Künstler und als diese haben sie Freiheiten, die sie auch ausleben sollten, jedoch darf das nicht auf Kosten anderer Künstler gehen. Gibt es nicht so etwas wie ein nie ausgesprochenes Künstlerabkommen mit ähnlich lautender Formel wie: „Du darfst keine anderen Künstler neben dir mit deiner eigenen Kunst zu dir herunterziehen“?
Wie gesagt, Literatur zu verfilmen ist aus genannten Gründen immer ein schwieriges Unterfangen. Viele Abweichungen sind unter der künstlerischen Freiheit legitim, wenn nicht gar gewollt, da eine andere Form auch andere Mittel der Darstellung verlangen. So ist es beispielsweise in Ordnung, wenn das Bild des Dorian Gray anstatt einfach zu altern, mit Maden, die diesen Altersprozess immer begleiten, durchsetzt ist. Auch die eigenwillige Konzeption des Dandys im ausgehenden 19. Jahrhundert in Kleidung, wie sie heute subkulturelle Jugendliche aus der so genannten „Dark“-Szene tragen, liegt im eigenwilligen Ermessen Parkers; ebenso die Akzentuierung auf sexuelle Eskapaden Dorian Grays. Ich würde sogar soweit gehen und starke Abweichungen vom eigentlichen Plot dulden, wenn jemand die intellektuelle Größe besitzt und die für ihn von der Vorlage selbst herausgefilterte Essenz auf diese Weise trotzdem reproduzieren kann. Wenn wir jetzt von dieser Annahme ausgehen, müssen wir Parker eine sehr flache Interpretation des Stoffes unterstellen, oder gar fragen, ob er das Buch überhaupt kennt. Denn dann ist für ihn der junge Adelige Dorian Gray nur jemand, der nach unreflektierter Sinnesbefriedigung strebt und den glücklichen Umstand ausnutzt, dass anstatt seiner, das Porträt von ihm die Kosten dieser Ausschweifungen trägt. Und dann noch diese merkwürdigen Reuebekundigungen in Zusammenhang mit einer konstruierten Liebesgeschichte zwischen ihm und der Tochter seines Mentors Lord Henry Hallward; mit dem dramaturgisch ins Nichts laufenden Showdown auf dem brennenden Dachboden… einfach schaurig!
Das Buch lebt von geistreicher Konversation und dem darin insbesondere von Lord Henry entwickelten Welt- und Menschenbild. Diese wunderbare Vorstellung das eigene Leben nach dem Vorbild der Kunst autonom zu gestalten und im gleichen Zuge gängige Normvorstellungen pointiert zu hinterfragen, geht in dem Film völlig verloren, da nun die geistreichen Spitzen Lord Henrys in willkürlichen Kontexten und damit deformiert dahin geworfen werden – sie wirken zwar immer noch geistreich-witzig, verlieren aber ihre tiefere Bedeutung.
Für diejenigen, die sich dennoch der fast zweistündigen Tortour aussetzen wollen, kann ich nur den Hinweis geben, den Oscar Wilde in der Vorrede zu „Das Bildnis des Dorian Gray“ selbst voranstellt: „Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche geht, tut es auf eigene Gefahr.“