Auf diesem Konzert wäre ich gerne gewesen. Man kann nicht alles haben. Zum Glück gibt es eine CD von diesem Event. Hier traten die führenden Bluesbands auf, die die Entwicklung des Blues in Ostdeutschland wesentlich beeinflusst haben.
Der Blues im Osten Deutschlands kennt viele legendäre Orte: Es waren und sind selten die große Städte, die als Heim- , dann zumeist in Gaststätten fungierten. Reitwein, tief im Oderbruch liegend, ist so ein Ort. Die Gaststätte heißt „Zum Heiratsmarkt“ und eine Hochzeit war es wohl auch als sich u.a. Engerling, Kerth, Jonathan-Blues-Band, Speiches Monokel, Freygangband und East Blues Experience das Ja-Wort für eine lange Nacht gaben.
Mit grosser Erwartung schob ich die Scheiben in meinen Player und um es vorwegzunehmen, ich wurde teilweise enttäuscht. Wenn ich zu einer Bluessession gehe, erwarte ich auch Blues. Punk gefällt mir nicht und will ich da auch nicht hören. Die Entwicklung von Freygang zu einer Punkband tut da schon weh. Es gibt auch ausserbluesliche Sachen die man tolerieren kann, die sogar gefallen. In diesem Konzert ist mir zu viel ausserbluesliches Programm enthalten.
Am Anfang stehen der „Engerling Blues“ und „Die Anderen“ von Engerling, dargeboten in der bekannten Souveränität. „Die Anderen“ hat an Aktualität nichts verloren. Und wer Engerling noch nicht kennen sollte, muss das unbedingt nachholen.
Auch Jonathan und Gäste (von der ehemaligen Jonathan Blues Band) haben in den Jahren nichts verlernt. Nachhören kann man das bei „Blues & Trouble“, „Katzenfreund und „Daddy oh Daddy“.
Sängerin Heike Matzer könnte man als Lokalmatadorin bezeichnen. Zwanzig Jahre stand sie bei Returning Flood aus Frankfurt (Oder) am Mikrophon. In Reitwein gab sie den alten Renft-Song „Als ich wie ein Vogel war“ in einer guten eigenen Interpretation zum Besten.
Auch Die Zunft stammen aus dem Oderbruch. Mir gefallen ihre Titel einfach nicht. Vor allem „Du bist so hässlich“ ist mir zu punkig. Und zur Freygang-Band habe ich mich oben schon gäußert.
Die zweite CD beginnt mit der „Variation über einen andalusischen Gassenhauer“ des aus Cottbuss stammenden Gitarristen Charlie Eitner. Und daran kann man sich nach mehrmaligem Hören wirklich gewöhnen.
Mit A „Got My Mojo Working“ von A Glass of Bailey, dem Duo der Gitarristen Heinz Glass und Jürgen Bailey kam der Blues zurück auf die CD – und wie! Speiches Monokel spielten die beiden Kultklassiker „Boogie Mobil“ und „Bye Bye Lübben City“ in gewohnter Qualität. Die wilden Gitarrenriffs des letzten Songs sind legendär.
Sängerin Indijana ist eine Neuentdeckung. Sie erinnert mich an Joan Baez. Und ihr „Flying Fish“ passt zur Auflockerung gut ins Programm. Gitarrist/Sänger Peter Schmidt brachte zunächst als Solist Peter Gabriels „Don‘t Give Up“ in einer gelungenen Songwriter-Version. Und als er dann mit Band weiterspielte, war der Blues endgültig wieder im Vordergrund. Bei „Early In The Morning“ wippt man sofort mit den Füßen und der Song geht ins Ohr.
Was dann kam, war alleine das Geld schon wert: Jürgen Kerth hatte in Reitwein Engerlin als Begleitband! Kerth spielt im Vordergrund Lieder wie „Die Eine“, „Helmut“ oder „Red House“. Und Engerlings Begleitung sorgt nicht nur bei mir für Begeisterung. Die sollten wirklich mal gemeinsam ein Album machen!
Mit einer Session klingt das Konzert aus. Für die „Reitwein Allstars“ versammeln sich so ziemlich alle auf der Bühne. Der „Hoochie Coochie Man“ kommt hier in einer ganz ungewohnten Interpretation aus den Boxen. Bei „Gimme Shelter“ übt Engerling, die bestimmende Band des Konzerts, für ihren nächsten Gig mit Stones-Songs. Dass das Konzert nicht mit einem Blues abgeschlossen wird, ist bezeichnend. (Buschfunk)