Johannes 20,19-29 – Kann ich das nochmal sehen? – 19. April 2009
Ihr Lieben,
letzten Sonntag stand ich frühmorgens vor der Kirche und unterhielt mich über den grad zu Ende gegangenen Gottesdienst. Da war von Ostern (natürlich!) geredet worden. Doch Ostern eben als ein Ereignis, das sich bei/in mir abspielen muss. Maria Magdalena, traurig und verschlossen, versteht es erst nicht. Erst als Jesus sie direkt anspricht, bricht ihre Blockade auf – und sie kapiert: Jesus ist auferstanden.
Und nur, wenn wir uns selbst so ansprechen lassen, wenn wir die Barrikaden durchbrechen lassen, dann verstehen wir was mit Ostern gemeint ist – und das verändert unser Leben. Denn das ist klar wie nur irgendwas: mit unserem ach so aufgeklärten, skeptischen und durch vielerlei wissenschaftliche Kenntnisse befeuerten Weltbild werden wir Ostern nie fassen können.
Doch da kritisierte mein Gesprächspartner: Hier war mir zuviel von Theologie und Glauben die Rede – und nicht genug von unversellen Symbolen. Und er versuchte, Ostern als allgemeingültiges Phänomen zu beschreiben, dass in allen Religionen seine Bedeutung hätte. Da konnte ich reden wie ich wollte: ich kam nicht weiter. Denn er wollte nicht hören, dass die Auferstehung Jesu der Knackpunkt des christlichen Glaubens ist.
„Ich glaube nur, was ich sehe" – so lautet verkürzt und vereinfacht das Credo des modernen Menschen. Denn in Wirklichkeit traut er auch seinen eigenen Augen nicht – sie könnten ja täuschen, genau so wie das, was andere gesehen haben mögen, was sie berichten, erzählen, was sie verstanden zu haben glauben. Ihm gilt nur als sicher, was sich überprüfen lässt mit anerkannten Methoden, unabhängig vom Ort, von der Zeit, von Personen – im Prinzip jederzeit von jedem überall wiederholbar. Und alles muss möglichst universell und bequem sein, sich in ein rundgelutschtes Weltbild einpassen lassen.
„Ich glaube nur, was ich sehe" – ich habe das oft gehört, wenn es um den Glauben ging – von Menschen , die sich in diesem Sinne als modern" empfanden.
Dabei ist es doch – ob nun so vereinfacht oder so wissenschaftlich korrekt gesagt und gemeint – dabei ist es doch eigentlich ein Widerspruch in sich: Was ich sehe, was ich experimentell feststellen, wissenschaftlich sichern kann, das brauche ich schließlich nicht mehr zu glauben, das weiß ich! Und damit wäre dann der Glaube ein für alle mal, endgültig überflüssig geworden, abgeschafft, im Müll der Menschheitsgeschichte entsorgt.
Und der sprichwörtlich gewordenen „ungläubige Thomas", er wäre dann so etwas wie der Vorreiter dieser Entwicklung , eben der erste uns begegnende moderne Mensch.
Joh 20, 19-29
20,19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
20,20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.
20,21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
20,22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!
20,23 Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
20,24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
20,25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.
20,26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
20,27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
20,28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
20,29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!
Aber, so einfach ist es nicht – nicht mit Thomas, nicht mit der Wissenschaftlichkeit, nicht mit dem Unglauben.
Erstens: Was kann ich denn wirklich selber nachprüfen von dem, was die Wissenschaft heute zu sagen hat? Ich bin ja nicht einmal wirklich in der Lage, vieles davon zu verstehen, was das heutige Weltbild ausmacht, wenn da von Elementarteilchen die Rede ist, die so schöne Namen haben wie „up" und „down" und „charm", von Quarks und Quanten, von Gluonen und Neutrinos, von Teilchen, die man schon gar nicht mehr sehen kann, von denen man nur Spuren nachzuweisen vermag – und manchmal nicht einmal das: Sie sind sozusagen mathematisch nötig, aber experimentell nicht nachzuweisen.
Wenn ich das in mein Weltbild übernehme – dann glaube ich, glaube das, was die wenigen sagen, die sich damit auseinandersetzen können, vertraue ihnen – nicht mehr, nicht weniger.
Zweitens: Das, was für mein Leben wirklich wichtig ist, das entzieht sich der Überprüfung, dem Experiment: Dass sich jemanden liebe, dass ich geliebt werde, das lässt sich eben nicht beweisen. Wer den Beweis einfordert, der ist schon gescheitert, ehe das Experiment begonnen hat.
Hier helfen nur Glauben, Vertrauen, Erleben! Und damit wird es persönlich, verändern die Vorgaben mein Leben. Nicht unverselle Allgemeingültigkeit ist das Ergebnis sondern eine Anfrage an mich:
Glaubst Du das? Hast Du Vertrauen zu den Zeugen, die dir etwas berichten? Traue ich mich, mein abgesichertes und abgeschottetes Winkelchen zu verlassen und mich auf neues Territorium vorzuwagen? Bist Du bereit, alte Sicherheiten aufzugeben, das „unentdeckte Land“ zu suchen? Und für mich persönlich: Bist Du bereit, dich wirklich auf andere Menschen einzulassen, mit denen du gemeinsam unterwegs bist durchs Leben? Oder ist dir die bequeme aber fruchtlose Stagnation wichtiger, weil sie eben vor unangenehmen Überraschungen schützt?
Übrigens: Beeinflussen die Erkenntnisse der Wissenschaft eigentlich wirklich mein Leben? Ob ich weiß, dass die Erde sich um die Sonne dreht ändert nichts daran, dass ich sie morgens aufgehen, ihren Bogen am Himmel beschreiben und im Westen untergehen sehe; ob ich weißt, dass die Jahreszeiten von der Neigung der Erdachse abhängen, ändert nichts daran, dass ich die Sonne höher am Himmel sehe, bis sie wieder sinkt – und ein Regenbogen wird nicht dadurch schöner, dass ich weiß, dass er durch die Zerlegung des genaschten Sonnenlichts entsteht.
Drittens: Thomas setzt in der Erzählung des Johannesevangeliums ja eigentlich nur etwas fort, was Jesus selber begonnen hat: Als er erstmalig seinen Freunde als der Auferstandene begegnet, das – so heißt es „zeigte er ihnen die Hände und die Seite" – er zeigt ihnen die Wundmale, die die Nägel der Kreuzigung hinterließen, um ihnen ganz klar zu machen: Ich bin es wirklich – ich bin der, bei dessen Kreuzigung und Tod ihr Zeugen wart, den ihr begraben habt und den ihr beklagtet – kein anderer.
Davon berichten die Jünger Jesu, die dabei waren, dem Thomas, der diesen Augenblick verpasst hatte.
Keinen Augenblick bezweifelt er das, was seine Freunde gesehen haben – noch viel weniger bezweifelt er überhaupt das, was die Wochenzeitschrift „Die Zeit" auf der Titelseite ihrer Osterausgabe als die „unglaublichste Geschichte der Welt" bezeichnete. Die Auferweckung Jesu von den Toten erscheint ihm, Thomas, nicht als unmöglich, nicht als unglaublich.
Er will sich vielmehr vergewissern, dass dieses Ereignis wirklich stattgefunden hat, dass das, was die Jünger sahen, keine Illusion war, kein Funktion überspannter Sinne, durchgeknallter Nerven, kein Wunschtraum – übrigens auch nicht ein Gespenst…
Darum reicht es ihm zunächst einmal nicht, dass man die Wundmale Jesus gesehen hat – er will sie berühren, sich vergewissern, dass sie real, dass sie wirklich sind.
Dass der Auferstandene diesen seinen Wunsch versteht, ja sogar billigt, zeigt die weitere Erzählung: Wieder erscheint der Auferstandenen seinen Jünger und fordert Thomas auf: „ Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!"
Und jetzt kommt der entscheidende Augenblick – entscheidend für Thomas, entscheidend für den Glauben: Thomas verzichtet auf das, was er sich so sehr wünschte – er berührt die Nägelwunden nicht, fasst die Speerwunde in der Seite des Auferstandenen nicht an – die Begegnung mit dem Auferstandenen überwältigt ihn, wie sie später und ganz anders Paulus überwindet.
„Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!" – und das ist nicht etwa eine Wertung, ein Abwägen von Sehen und Glauben gegeneinander, sonder eine schlichte Feststellung – für und, die wir nach den Jüngern, nach Thomas, leben:
Wir vertrauen auf das, was die Jünger sahen und erlebten: Dass der Gekreuzigte lebt. Wir vertrauen darauf, weil es ihr Leben beeinflusst, geprägt und bestimmt hat – wiederum exemplarisch bei Paulus, der ein Feind gewesen war – ein Feind Jesu und seiner Nachfolger – und der durch Blindheit hindurch zum Sehenden wurde und zum wohl wichtigsten Menschen in der Geschichte der Christenheit.
Vor allem aber: Auch wir können Christus als den Lebendigen erleben – wenn er uns begegnet – begegnet in der Kraft der Liebe Gottes – in Glaube, Liebe, Hoffnung in einer Welt, die aus sich heraus nichts davon hervorbringen könnte.
Paulus hat über das Kreuz geschrieben, es sei den Juden ein Ärgernis und den Griechen ein Torheit, uns aber ein Kraft Gottes.
Ich glaube, das können wir genau so auch von der Auferstehung sagen: Manchen gilt der Glaube daran als Dummheit, anderen ist er etwas, was sie zutiefst verärgert – für uns aber ist sie die Kraft, die uns Leben ermöglicht, Leben für uns, mit und für unsere Mitmenschen – und das wird niemals unmodern werden! Amen!<–>