Predigt vom 15. Juli 2007 an der "Linie 1" open air

 

Text: Jesaja 43, 1-7

Ihr Lieben,

als ich im Juli beim Drachenbootfest die Leute zum Gebet zusammenrief vor einem der Rennen, da zitierte einer folgendes Gedicht:

 

Lieber Gott, nimm es hin,

daß ich was Besondres bin.

Und gib ruhig einmal zu,

daß ich klüger bin als du.

Preise künftig meinen Namen

denn sonst setzt es etwas. AMEN

Wer mich kennt, weiß, dass ich mich über solche Äußerungen nicht ärgere, sondern mich eher amüsiere – denn wenn man schon über Gott keine Witze machen kann, dann kann an der Sache mit dem Glauben nicht viel dran sein.

Aber eines war mir klar: so selbstverständlich wir in den Kneipengottesdiensten von Gott reden, so einfach ist das für die Leute, die einfach mit uns im Boot fahren, eher nicht. Ingo hat dazu ja schon was gesagt. Es gibt eine Scheu vor Gott – ob es Furcht ist, muss jeder für sich entscheiden. Und da ist ein Scherz eine Form der Abwehr.

Robert Gernhardt, der Dichter dieses kleinen Gebets hat auch noch andere solche Texte geschrieben – Paulus schrieb an die Apatschen, ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen und ähnliches. Aber damit wollte er Gott beileibe nicht lächerlich machen. Eher ging es ihm darum deutlich zu machen: Ich will mich nicht klein fühlen gegenüber einem irgendwie unfassbaren Wesen. Ich will gesagt bekommen: Du bist wichtig und nötig für diese Welt. Ich kann mit meinem Denken und Handeln Dinge verändern. Diese Welt wäre ohne mich nicht so gut wie mit mir.

Jes 43, 1-7

43,1 Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

43,2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.

43,3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt,

43,4 weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben.

43,5 So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,

43,6 ich will sagen zum Norden: Gib her! und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde,

43,7 alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.

Das sagte ungefähr im Jahr 540 vor Christus ein Prophet, dessen Namen unbekannt ist, dem Volk Israel. Dieses hatte vor 50 Jahren seine größte Niederlage erlitten: Jerusalem, die Hauptstadt mit ihrem Tempel war zerstört worden. Und ein großer Teil der Menschen war verschleppt worden ins Zwangsexil in Babylon. Gott hatte sein erwähltes Volk bestraft, so hatten Propheten verkündet. Hat Gott sich völlig und für immer von ihnen getrennt? Wo war Gott überhaupt? Kümmerte er sich überhaupt noch um die Menschen? Das Exil nicht nur ein Zeichen für eine politische Niederlage sondern gleichzeitig auch für eine Krise des Glaubens.

Und jetzt das: Im Namen Gottes spricht der Bote. Seine Worte erhalten durch das „so spricht Gott“ nicht nur göttliche Legitimation, sondern auch den amtlichen Charakter rechtsverbindlicher Erlasse. Also: Es ist kein Grund zur Furcht vorhanden. Gott ist nicht einfach verschwunden. Er hat sich auch nicht versteckt vor den Menschen und sie ihrem Schicksal überlassen.

„Fürchte dich nicht – denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen du bist mein.

Ein Wort, das Mut machen soll in schwerer Zeit. Damals – und auch heute. Denn es enthält eine Aussage von Gott, die auch heute noch gültig ist so wie für das Volk Israel im Exil: Gott will nicht, dass wir uns fürchten. Und er will uns nahe kommen in unserem Leben.

Als mein Vater für mich diesen Spruch als Konfirmationsspruch ausgesucht hat vor nunmehr 25 Jahren, da wußte er um die Furcht, die mich immer wieder erstarren läßt, statt nötige Dinge zu tun. Die Furcht, mich öffentlich angreifbar zu machen. Die Furcht, plötzlich im Mittelpunkt zu stehen.

Fürchte dich nicht – immer wieder hab ich erlebt, daß meine Ängste völlig unnötig waren. Daß ich wesentlich mehr bringe, als ich mir selber zutraue. Auch und vor allem in Glaubenssachen. Daß ich heute regelmäßig hier vor Euch stehe und predige – vor 15 Jahren war daran nicht zu denken. Da war ich mit der Frage beschäftigt, wie ich denn meinen Wunsch zu predigen und mit Menschen ins Gespräch über den Glauben zu kommen verbinden kann mit dem Berg an Formularen und unbeantworteten Briefen auf meinem Schreibtisch. Eine Antwort darauf ließ sich damals nicht finden. Ein reichliches Jahr später war mein Leben als Pfarrer erst mal zu Ende und ich am Ende.

„Fürchte dich nicht – du bist mein“ – immer wieder darf ich erfahren, daß ich eben nicht alleine bin. Daß überall Menschen sind, die mir helfen – oder die mich brauchen. Für mich ein Zeichen, daß Gott mich nicht alleine läßt.

Aber was ist dran an der Sache mit dem Namen?

Nun, ein Name ist ja immer mehr als eine bloße Bezeichnung. In der Werbung wird das deutlich. Persil ist mehr als nur ein Fabrikat unter vielen. Es ist das Waschmittel schlechthin. Ein Mensch ist mehr als sein Name. Mit dem Namen eines Menschen verbinden sich Gedanken, Erfahrungen und Gefühle. Namen sind nicht Schall und Rauch. Ein guter Ruf, ein guter Name, das zählt auch heute noch. Mit dem Namen verknüpft ist immer ein vielschichtiges Bild, ein Entwurf, die Identität eines Menschen.

Gott hat einen Plan, wie wir sein sollen. Wir glauben, dass wir von diesem Entwurf immer mehr oder weniger weit entfernt sein werden. Wir sind nicht so, wie Gott uns gedacht hat. Die Lebenskunst eines Menschen besteht darin zu versuchen, den Entwurf Gottes und die eigene Wirklichkeit nahe zusammenzubringen. Aus eigener Kraft kommen wir da allerdings nicht weit. Manchmal scheint es so, als würden wir mit unseren eigenen Impulsen Gottes Entwurf geradezu im Wege stehen. Vielmehr gilt es, Vertrauen zu haben. Vertrauen darauf, dass Gott die Verbindung zu uns hält und einen Weg für uns weiß, auch wenn wir ihn nicht immer erkennen können und verunsichert sind. So ist denn die häufigste Botschaft Gottes an uns in der Bibel ein Satz gegen die große Gegnerin des Vertrauens, die Angst »Fürchte dich nicht.« »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!«

Manch einem Menschen ist diese Vorstellung, mit Gott verbunden zu sein, unangenehm. »Sind wir denn nur Marionetten? An Fäden geführt? Ohne eigenen Willen und eigene Freiheit?« »Was ist das für eine Erlösung, die uns nur wieder neu anbindet?«

Wenn bei Jesaja von einer Erlösung durch Gott gesprochen wird, dann ist es eine Anspielung des Propheten auf die damalige Pflicht, einen Verwandten aus der Schuldsklaverei freizukaufen. Aber etwas muss uns halten, wenn wir nicht ins uferlose Nichts stürzen sollen. Gott hält uns mit seiner Liebe. Gott hält die Verbindung. Ein dehnbares, strapazierfähiges, flexibles und haltbares Band. Gott führt uns nicht wie Marionetten an Fäden, sondern mit einer Liebe, die alles erträgt und verzeihen kann. Für Freiheit bleibt da genug Raum. Auch für unsere Verantwortung.

Wir sind mit Gott in Liebe verbunden. Ist Euch schon einmal aufgefallen, dass im Deutschen da ein Wortspiel möglich ist? Wir sind verbunden, wenn wir in Beziehung stehen. Aber eine Wunde wird mit einem Verband verbunden. Vielleicht ist ja diese Assoziation erlaubt: Gott verbindet den Riss, der uns von ihm trennt. Seine Liebe heilt die Wunde. Christus ist Gottes Verband in des Wortes doppelter Bedeutung. Gottes Plan für uns ist, wie Christus ganz Mensch zu werden. Ein ganzer Mensch ist kein fehlerfreier Mensch. Jesus hat gezeigt, daß auch er ein ganzer Mensch war. Er konnte zornig werden und sich Feinde schaffen. Aber in allem war Christus ein Liebender, der sich Gott völlig anvertraute.

Amen.

 

Daß Robert Gernhard sich nicht selbst an die Stelle Gottes setzen wollte mit seinen Gedichten, daß er vielmehr erkannt hat, daß Gott eben doch noch ein Stück größer ist als man selbst, erkennt man aus folgendem Gedicht, was ich Euch zum Schluß noch mitgeben will:

Ich sprach nachts: Es werde Licht!
Aber heller wurd' es nicht.
Ich sprach: Wasser werde Wein!
Doch das Wasser ließ dies sein.
Ich sprach: Lahmer, du kannst gehn!
Doch er blieb auf Krücken stehn.
Da ward auch dem Dümmsten klar,
daß ich nicht der Herrgott war.