Ihr Lieben,
Vor Jahren, als ich noch einen Fernseher hatte, da hab ich ziemlich häufig eine dieser witzigen amerikanischen Vorabendserien geschaut: Alle unter einem Dach – die beste Figur darin war Steve Urkel, ein hochintelligenter, völlig albern aussehender und absolut tollpatschiger Jugendlicher. Steve war in die Tochter der Familie verliebt – die ihn aber immer wieder abblitzen lässt. Und regelmäßig verursacht er durch seine Tollpatschigkeit Chaos im Haus. Und seine Standardfrage hinterher: War ich das etwa?
War ich das etwa? Was hab ich da wieder angerichtet? Wie komme ich hier wieder raus? Das sind die Fragen, die mich überkommen, wenn ich mal wieder Mist gebaut habe. Und damit sind wir bei dem Thema meiner Predigt die Beichte.

Das ist eigentlich nicht so wirklich das, was man hier von einem evangelischen Christen erwarten würde. Beichte: Das ist doch nur was katholisches, das ist doch völlig unglaubwürdig und blöd. Zahllose Witze gibt es drüber. Etwa den, wo einer im Beichtstuhl nach dem vergib mir, ich habe gesündigt nur noch halblaut sagt: Rhabarber, Rhabarber, …. Und der Pfarrer meint dann: Der schwerhörige Priester ist erst nächste Woche wieder hier, der hat Urlaub.
Dabei kann und soll die Beichte wesentlich mehr sein, eine Hilfe zum Leben und zum Umgang mit seinen Schwächen. Das versuchte ich letztens in einem der typischen Tresen-Gespräche mal zu erklären. Und prompt kam die Anregung: Mach doch mal eine Predigt drüber. Das ist aber wesentlich schwerer, als ich eigentlich dachte. Denn eigentlich müsste man hier ne ganze Menge Definitionen und Theologie liefern. Da kommt man nicht herum, weil eben die Beichte im öffentliche Bewusstsein so dermaßen verzerrt und letztlich überflüssig erscheint. Und gleichzeitig gehen die praktischen Fragen dann wieder ganz tief ans Eingemacht-persönliche.
Anders, als immer wieder einmal behauptet wird, hat die evangelische Kirche die Beichte niemals „abgeschafft“. Das konnte sie auch gar nicht, denn die Befreiung von Sünde und Schuld und der Zuspruch der Vergebung zählen zu den wichtigsten „Kernstücken“ des christlichen Glaubens überhaupt. Von Martin Luther stammt der bemerkenswerte Satz: „Ich were lengst vom teufel erwürgt, wenn mich nit die beichte erhalten hett.“ – So blieben in den lutherischen Kirchen auch die Beichtstühle (die die Vertraulichkeit der Beichte wahren sollten) noch über Jahrhunderte stehen. In manchen älteren evangelischen Kirchen kann man sie heute noch besichtigen. Erst um 1800 kam die persönliche Beichte „aus der Mode“ und geriet in Vergessenheit.Was heißt das: Beichte ist nichts anderes, als dass ich mich mit all meinen Fehlern an Gott wende. Was ich falsch mache, was letztlich mein Leben belastet, dass soll und darf ich bei ihm loswerden. Ansonsten stehe ich in der Gefahr – und das letztlich jeden Tag neu – mich immer wieder zu verrennen.
So lesen wir beim Propheten Jeremia im 8. Kapitel, der diese Gefahr deutlich illustriert:
 (4)Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?(5)Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen.(6)Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.(7)Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.
Ach Jeremia, mal wieder – und wieder der erhobene Zeigefinger: so geht es nicht weiter. Vielleicht sollte ich doch noch ne kleine andere Geschichte bringen, um das schmackhaft zu machen:
Kennt ihr Sandor Nadelmann? Er ist der Held eines kleinen Nachrufs, den der Komiker Woody Allen verfasst hat. Allerlei Wunderlichkeiten werden diesem Nadelmann nachgesagt. Unter anderem auch dies: „Als Nadelmann mit meiner Tochter und mir einmal in der Mailänder Oper war, beugte er sich aus seiner Loge und fiel in den Orchestergraben. Zu stolz zuzugeben, dass das ein Missgeschick war, besuchte er die Oper einen Monat lang jeden Abend und wiederholte jedes Mal den Sturz. Bald zog er sich eine leichte Gehirnerschütterung zu . Ich machte ihm klar, dass er damit aufhören könne, da er seinen Zweck erreicht habe. Er sagte: Nein, noch ein paar Mal. Es ist wirklich gar nicht übel.“ (W. Allen, Nebenwirkungen, Rowohlt, 1983, S. 11)
Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Äußerst pessimistisch blickt Gott in unserm Predigttext auf sein Volk und attestiert ihm die notorische Unfähigkeit zur Einsicht in die eigene Schuld und zur Umkehr. Umkehr, Buße, zwei typische Kirchenbegriffe, die wir – warum eigentlich? – immer mit sich klein machen, sich auf den Boden werfen, sich schlecht machen verbinden. Hier werden diese Begriffe einmal ganz anders gefüllt: mit aufrechtem Gang, mit Einsicht in den richtigen Weg. Dumm und blind erscheint der, der meint, Umkehr Buße und Beichte nicht nötig zu haben: Wie einer, der im Dreck liegen bleibt, wenn er hinfällt; wie einer der lieber umherirrt, statt die richtige Richtung zu finden: ein gedankenloser Aufgalopp in den eigenen Untergang. Immer schneller, immer weiter, immer höher, immer besser. „Darüber hat sich später Martin Luther den Mund fusselig geredet“, so ein Ausleger, „dass das Gegenteil zum geknechteten Willen nicht der freie Wille ist, sondern die Frage, wessen Knecht der Mensch sein wolle: der Sklave welches Herrn. Da denkt ein Mensch wie du und ich: Frei sein heiße, keinen Herrn haben oder sein eigener Herr sein, das liege klar auf der Hand, im Licht der Aufklärung. Armes Pferd! Was reitet dich dann? Wenn nicht der Teufel, reitest dich selbst, wahrscheinlich zu Tode reiten dich beide“.
Liebe Gemeinde, so kann nicht allgemein geredet werden. Solche Erkenntnis ist ohne Gott und sein Wort nicht erschwinglich. Gott ist es, der durch den Mund des Propheten uns Menschen „entdeckt“, wie es um uns steht. Und darin liegen das Erschreckende und das Tröstliche zugleich. Erschreckend, weil hier von höchster Instanz eine letzte Erkenntnis über unsere menschliche Existenz und ihre Möglichkeiten ausgesprochen wird, die auf den ersten Blick nur desillusionierend und enttäuschend genannt werden kann. Eine Erkenntnis, die unsere Allmachtsfantasien und unser Vertrauen in die Kräfte des menschlichen Geistes und seinen ewigen Fortschritt als Illusion entlarvt: Wir werden immer wieder dort landen, wo wir nicht hinwollten. Und wir werden selbst schuld sein! Und wir werden uns, wie Nadelmann, immer wieder in den Orchestergraben stürzen, damit wir um diese Einsicht herumkommen und sagen: noch ein paar Mal. Es ist wirklich gar nicht übel. Von solcher Sturheit hat unsere Welt, haben wir jeder als Einzelner, habe ich leider schon mehr als eine Gehirnerschütterung davongetragen. Tröstlich ist, dass solche Einsicht aus dem Mund Gottes kommt, der über solcher Einsicht nicht zum depressiven Menschenhasser wird. Liebevolle Bekümmerung spricht aus diesen Worten. Nicht die verächtliche Abwendung eines Besserwissers, der sich auf das Lorbeerblatt seiner moralischen Integrität zurückzieht, sondern Gottes beharrliche Zuwendung. Hier blutet das Herz aller Dinge uns Menschen zugewandt. Gott gibt sich zu erkennen als der, der in seiner Liebe uns Menschen auf den Grund geht.
Gott als der, der uns sagt: Du musst das nicht mehr machen. Aber du musst dir klar werden, was du falsch machst. Ich geb dir die Chance für einen Neuanfang – wir können einen Strich ziehen. Es kümmert mich nicht mehr, was du für Mist gebaut hast.
So muss es stehen bleiben! Nur so ist es Evangelium. Denn nur wenn wir Gott uns auf den Grund gehen lassen, gibt es Hoffnung. Das ist die Art, ihm die Zügel in die Hand zu geben. Damit wir ihm nicht vorschnell recht geben und ihn einbauen in unser Dilemma. Damit aus Nadelmann nicht ein frommer Nadelmann wird und aus dem Pferd, das sich selber reitet, ein frommes Pferd, das sich selber reitet.
In der fünften Bitte des Vaterunsers bitten wir: ›und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern‹. Die Vergebung Gottes hilft, selbst Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen, dazu zu stehen und nach Möglichkeiten zu suchen, Dinge wieder in Ordnung zu bringen: andere um Verzeihung zu bitten, Versöhnung anzubieten und Wiedergutmachung zu leisten, soweit diese möglich ist. Zum verantwortlichen Umgang mit Schuld gehören auch der Vorsatz und der Wille, es nicht wieder zu tun.
Nadelmann ist kein Vorbild. Nadelmann ist lächerlich. Den guten Rat, den er erhält, erhalten wir von Gott auch: Halte inne, komm einmal zum Stillstand; hör auf, du musst dir und mir und der Welt nichts beweisen; dreh dich einmal her zu mir, zu dem Gott, der dir dieses Leben geschenkt hat. Da bekommt alles die Größe, die es wirklich hat. Sogar deine Schuld. Denn wer sich Gott zuwendet, für den wird nicht die Schuld, das eigene Ungenügen immer größer, sondern Gottes Güte. Gott ist nicht der Lehrer, der euch unter immer größeren Leistungsdruck setzt. Gott ist nicht der Chef, der mit der Stoppuhr neben eurem Arbeitsplatz steht. Gott ist nicht der Liebhaber, der euch liebt, solange ihr gesund, schön und erfolgreich seid. Gott ist der Vater, dem gefällt, wenn ihr euch ihm zuwendet. Umkehr, Buße, Beichte, das ist für ihn keine Schwäche, sondern Weisheit und Klugheit. Er hat immer ein offenes Ohr für euch. Er weiß um eure Bedürfnisse und um euren wahren Bedarf. Er wendet sich nicht ab, wenn ihr Irrwege und Umwege im Leben geht, oder blöd dasteht, wie Nadelmann. Er verdient euer Vertrauen.