"ist ja auch völlig egal", entkam es den unbekannten

nachdem er all seine biere bezahlt hatte, bestellte er noch eins, und das nur, um sie alle zusammen vor dem tresen auskotzen zu können.<br />   auf den eisigen straßen überlegte der mann, in welcher kneipe er überhaupt gewesen war. es vertrieb ihm ein wenig die zeit auf dem langen nachhauseweg. "in welchem laden war ich nur?" fragte er sich beim gehen. "war ich in der 'qualsenke', war ich im 'zum alten blitz', war ich im 'fritten-drin' oder im 'mutterfaß'? herr gott noch mal, wo hab ich denn gekotzt? war ich im 'fraueneinbaum' oder im 'luft aus dem schlauch', im 'helm ab' oder im 'lösch die spur'? ist ja auch völlig egal!" sagte er sich, legte einen schritt zu, um endlich seine haustür zu erreichen.

er saß nur kurz auf seinem sofa, nahm den telefonhörer ab und lauschte. die unbekannte frau meldete sich mit ihrem namen: "bruna, aus rostock! ich danke dir für dein schreiben!"<br />     der mann konnte sich an kein schreiben und an keine bruna aus rostock erinnern.<br />   "wie heißt du noch mal?" fragte der mann.<br />     "bruna!" wiederholte sie ihren namen.<br />     "und der vorname?" fragte der mann.<br />   "mensch, das ist mein vorname!" antwortete die frau.<br />  "hab ich ja noch nie gehört! das ist ja wie clemens. den hatte ich vorher auch nie gekannt. ich meine, vorher auch nie gehört."<br />   "das sagen sie alle", meinte die frau. "du hast mehrere frauen angeschrieben. kommst' durcheinander?" fragte sie nach.<br />    "nein. ich komm nie durcheinander! ich kann mich an alles erinnern!" antwortete der mann.<br />     "ist ja auch völlig egal", entkam es der unbekannten.<br />     "na, ich weiß ja nicht!" meinte der mann.<br />     "kann ich vorbeikommen?" fragte sie plötzlich.<br />    "luna...", der mann schaute auf seinen kleinen, im regal stehenden wecker, "...es ist nach zwei uhr. in welcher ecke in greifswald wohnst du denn?"<br />   "ich bin bruna! aus rostock!"<br />     "bruna....", der mann seufzte ihren namen.<br />    "kann ich nun vorbeikommen oder nicht!? ich brauch nur siebzig minuten!"<br />  "meinetwegen. dann mach schon." der mann gab ihr seine anschrift durch, blinzelte nochmals zum wecker, legte sich auf seinem sofa lang, zog sich die auf dem boden liegende decke hoch, irgendwie über den körper und schlief ein.

als das telefon klingelte war es kurz vor fünf. „ich find deinen verschissenen block nicht!“
„ich hab dir doch gesagt, daß es der letzte ist.“
„von vorne oder von hinten?“
„von hinten!“ sagte der mann.
„bis gleich!“
„die hat ’nen schatten!“ machte der mann sich mut.
der mann kuschelte sich unter die decke, fegte sie beim erneuten klingeln des telefons zur seite und hörte sie ganz weit weg: „hier gibt’s nichts von hinten!“
„doch!“ sagte er. „da, wo die müllcontainer stehn! und die für pappe und flaschen und den ganzen mist! wieso hörst du dich so weit weg an?“
„das ist nur das handy“, antwortete sie und wurde lauter: „sag mir wo du wohnst! ich fahre hier ständig die straße rauf und runter, und du machst dir ’nen fetten!“
„im letzten block!“ sagte der mann und legte auf.

sie war unglaublich dünn.
„du siehst aus, wie deine stimme sich anhörte“, sagte sie zu ihm.
„du nicht!“ sagte der mann, rannte mit seinem freien oberkörper in die küche und schleppte seine beiden letzten ein-liter-flaschen rotwein an.
„wie hab ich mich denn angehört?“ wollte sie wissen.
„kräftiger!“ antwortete der mann und öffnete gleich beide flaschen, schaltete den fernseher an und blickte auf den boxkampf.
„scheiß boxen!“ schrie die frau. „meine letzte beziehung hatte ich mit einem professor. der hat solchen scheiß nie geschaut! und bücher hatte der in seinen regalen“, sie schaute sich im zimmer um, „und nicht nur einen wecker! und weingläser hatte der! edle weingläser! und unterhalten konnte man sich mit dem mann!“
sie nahm einen kräftigen schluck rotwein, ging zum fernseher und schaltete aus.
der mann wußte, daß der eingeschaltete videorecorder den kampf auch weiterhin aufnahm, doch er sagte trotzdem: „bruna? trinkst den wein aus und fährst wieder nach rostock?“
„hast‘ keine musik da?“ fragte sie.
der mann goß ihr senfglas wieder voll wein, ging zum plattenspieler und legte die beastie boys auf.
„ohh, das ist gut, das hat mein liebhaber aus der vorletzten beziehung auch immer gehört! der war zwanzig jahre jünger!“
der mann schüttete erneut ihr senfglas voll.
„mach mal lauter!“ rief die frau.
der mann drehte auf, die frau sprang mit ihren hochhackigen schuhen auf die lagerstätte des mannes, drehte sich mit dem halbvollen senfpott ein paar unkontrollierte bewegungen zusammen und stolperte von einer sofagegend in die andere, trank das glas leer, reichte es dem mann zum nachfüllen, sank auf die knie und schüttelte mit geschlossenen augen ihren kopf.
als sie wieder aufsprang und die hacken ihrer schuhe ins sofa bohrte, verlangte sie das nächste glas, tappste weiter wacklig im takt der musik übers nachgebende sofa, verschüttete den rotwein, forderte ein neues glas voller wein, trank es irgendwie aus, sank wieder auf die knie, schüttelte abermals den geschlossenen kopf von vorn nach hinten und von hinten nach vorn und begann zu kotzen.
der mann schleppte sie ins badezimmer, hängte sie über die wanne, stellte die musik leiser und hörte sie plätschern und würgen. ein bißchen war ihm nach mitkotzen, doch zum glück war er schon leer.
der mann legte sich wieder unter seine decke. er versuchte irgend etwas zu begreifen, doch er wußte nicht mehr was, starrte geradeaus, und das geradeaus kam auf ihn zurück wie ein gebündelter strahl einer hoffnungslosen materie als schmetterball des empfindens.
ihm war, als schmetterte sich bruna neben ihn und er sah, wie sie sich einen kaugummi in den mund steckte, sah sie kauen, sah sie kleine blasen machen, und er war froh, daß sie nicht mehr tanzte, daß sich ihr mund bewegte, ohne daß sie etwas sagte.
dann nahm sie den kaugummi heraus, drückte ihn dem mann auf den brustkorb, zog ihn wieder hoch, und ein paar brusthaare mit raus, preßte ihn erneut auf die brust des mannes, riß ihn wieder ab, drückte abermals den naßgekauten gummi auf den oberkörper des mannes… „laß mich bei dir liegen, aber faß mich nicht an!“ sagte die frau aus rostock.
„du, ich fasse mich nicht mal selber an“, antwortete der mann.

als sie aufwachten stöhnten sie beide.
„ohh, oh weiha, hab ich einen kopf! sag mal, hab ich dich gestern vollgekotzt?“ wollte sie wissen.
„nein, macht nichts. ich hab gestern auch gekotzt“, sagte der mann.
„hab ich gar nicht mitgekriegt“, sagte sie. „wann denn?“
„vor dir“, antwortete der mann, riß sich mit einem ruck den kaugummi von der brust und legte ihn behaart in den aschenbecher.
 

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 14