Man bezeichnet Frankie Chavez mittlerweile als eines der vielversprechendsten Talente der portugiesischen Musikszene überhaupt. Festivalauftritte führten ihn unlängst nach Kanada und Mexiko. Und nachdem er 2010 seine erste EP selbst veröffentlicht hatte, folgt jetzt mit „Family Tree“ die Fortsetzung seiner Exkursionen durch Blues und Folk. Und das Gute ist: Für diese Veröffentlichung gibt es mit Broken Silence sogar hierzulande einen Vertrieb.
Ich weiß nicht, warum ich bei manchen Sounds einer Slide-Gitarre immer gleich die flirrenden Hitzebilder der amerikanischen Steppen vor Augen habe. Wahrscheinlich sind da wirklich die Soundtracks von [[Ry Cooder]] etwa für „Paris, Texas“ schuld. Aber dieser Ton suggeriert immer auch eine Einsamkeit und Verlorenheit schon etwa bei [[Blind Willie Johnson]].
Dass ich jetzt spontan wieder an Kinofilme denken musste, als per Post „Family Tree“ von Frankie Chavez hier ankam, hängt damit zusammen, dass ich diesen Gitarristen zuerst wirklich über seine Musik für den Dokumentarfilm „Pare, Escute, Olhe“ kennenlernte. Und die erinnerte mich ganz schön an Cooders Filmmusiken. Dabei ist diese One-Man-Band des 21. Jahrhunderts (Chavez arbeitet gern mit Loops und ähnlichen Spielereien, um seiner Musik die richtige Atmosphäre zu verleihen und spielt eigentlich fast alle Instrumente selbst.) gleichzeitig auch mit den Folk- und Bluessängern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu vergleichen: Einer, der Geschichten erzählt und dazu die passende Musik auf seinen Gitarren macht. Doch wenn man dann das Album auspackt, dann kommen da noch diverse Überraschungen auf den vorgebildeten Hörer zu. Denn hier ist eine Entwicklung in den letzten Jahren passiert, auf die zumindest ich nicht wirklich vorbereitet war. Einerseits ist „Family Tree“ nicht mehr ganz im Alleingang eingespielt worden. Klar sind hier noch die verschiedenen Gitarren-Ebenen übereinander gehäuft, gibt es die Loops und die diversen Effekte. Doch bei vielen Songs hat er sich zur Ergänzung seines Sounds Gäste eingeladen: Verschiedene Schlagzeuger für einzelne Songs, ab und zu eine Bluesharp, Hammond-Orgel, sogar ein Saxophon. Und mit Emmy Curt singt er in „Hey!“ im Duett. So werden die Beschränkungen des Ein-Mann-Betriebs effektvoll aufgebrochen und der Eindruck eines Bandalbums erweckt. Die zweite Überraschung betrifft dann die Musik an sich: Frankie Chavez hat sich mit dem Album ein wesentlich breiteres musikalisches Feld erschlossen, als ich erwartet hatte.
Im „Airport Blues“ besingt er – ganz klassisch auch die Gitarrenbegleitung und die klagende Bluesharp – die Sehnsucht beim Abschiednehmen, die Trauer dass die Geliebte zu Hause bleiben muss. Und auch „Dust My Broom“ geht noch als klassischer Blues durch. Doch schon bei „Old Habits“ kommt dann – und das für mich überraschend – eine schneidende Rockgitarre dazu und ein stampfendes Schlagzeug. Chavez hat sich ganz im Sinne seiner Songs weiterentwickelt. Blues und Folk sind keine Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Es muss manchmal einfach gerockt werden. Und die zweite Coverversion des Albums ist denn auch „Hey“ von Frank Black und damit vom normalen Bluesrepertoire so weit wie eigentlich denkbar entfernt. Insgesamt ist Chavez hier wesentlich aggressiver von seinen Sounds und von den Songs her geworden ohne dabei aber in Rockklischees etwa vom aufrührerischen Jugendlichen zu verfallen. Nein – Wut und Enttäuschung, Frust und Auflehnung sind ja nun beileibe nicht das Vorrecht der Teenager. Hier aber singt ein erwachsener Mann mit der Erfahrung von etlichen Jahren. Ein herausragender Gitarrist. Aber eben auch ein überzeugender Songwriter und Sänger.
„Family Tree“ – eine Empfehlung für alle Fans von zeitgemäßem Gitarrenblues und für Freunde des intelligenten Songwritings. Man kann Broken Silence zu der Entscheidung nur beglückwünschen, dieses Album auch hierzulande zu vertreiben.