Wenn man neue Bluesalben aufmerksam hört, dann findet man immer häufiger auch ganz aktuelle politische und gesellschaftliche Themen angesprochen. Oder es werden alte Songs neu interpretiert, deren Botschaft noch immer oder immer wieder hochaktuell ist. Ein kleiner Querschnitt durch aktuelle Veröffentlichungen.
Ein Groove tief aus dem Delta, ein stoisches Riff der Gitarren, ein perlendes Kneipenpiano und eine von verschiedenen Stimmen erzählte Geschichte. Plötzich ist man mitten drin in der Flucht übers Mittelmeer. Delta Moon erzählen in Refugee aus der Sicht der Flüchtlinge, die man kurz in den Nachrichten sieht, die es aber kaum wirklich bis in unsere Nähe packen. „Refugee“ ist ein musikalisch und textlich perfekter Track, ein Song, den man nicht oft genug spielen und hören kann.
Mit seinem neuesten Album „Migration Blues“ etwa zieht Eric Bibb die Parallelen zwischen der Flucht aus dem Delta auf der Suche nach einem besseren Leben zu Anfang des 20. Jahrhunders zur heutigen Flüchtlingskrise im Mittelmeer. So schildert er das einfache Leben im Delta ebenso, die Folgen langjähriger Trockenheit damals oder das Beten darum, eine sichere Küste zu erreichen. Begleitet vom französischen Harpvirtuosen Jean-Jaques Milteau und Gästen wie Big Daddy Wilson entsteht im Sound des klassischen Deltablues ein Album, dass in seiner Aktualität kaum zu übertreffen ist.
Außer man greift zu „Manic Revelations“ von Songwriter Pokey LaFarge. Im Sound des Soul der 50er und 60er Jahre singt der Musiker über Aufstände in den USA angesichts zunehmender Polizeigewalt, von der Flucht vor den Nachrichten aufs scheinbar unpolitische Land. Das kommt mit einem teils schneidenden Humor daher, der die Härte der Zustände erträglicher machen kann.
Und hier darin ist LaFarge verwandt mit John Nemeth, dem Soulblueser, der seit einigen Jahren im Memphis ansässig ist. Bei ihm kommt die alltägliche Waffengewalt in den USA im locker leichtfüßigen Partysound daher. Und der Aufruf, sich nicht die Gehirne vernebeln zu lassen, im Funk der 60er. „They Never Pay Me“ von Gina Sicilia hingegen ist als Klage über Armut und soziale Ungerechtigkeit heutzutage musikalisch nahe an den Bluessängerinnen der 20er Jahre.
Blues war schon in seinen Anfängen mehr als Musik zur Unterhaltung oder zur zeitweiligen Flucht aus dem Alltag beim Tanz. Bluesmusikerinnen und Bluesmusiker erzählten schon immer in ihren Liedern von gesellschaftlichen Fragen, vom Erleben von Ungerechtigkeit und Gewalt, aber auch von der Freude über Entwicklungen zum Guten. Diese Funktion der Bluesmusikerinnen und Bluesmusiker als politische und gesellschaftliche Kommentatoren wurde in den 50ern und 60ern immer mehr vom Soul weitergeführt. Und dann übernahmen die Rapper immer häufiger diese Position. Doch Zeiten wie die heutigen führen glücklicherweise dazu, dass sich auch der Blues häufiger wieder seiner sozialen Funktion bewusst wird. Die hier aufgeführten Künstler und Künstlerinnen sind wohl nur ein Ausschnitt der aktuellen Szene, eine Ermutigung, sich selbst auf die Suche nach Songs jenseits von Kneipe, Tanz und Liebesleid zu begeben.