CoverGanz offiziell hatte Etta James "The Dreamer" als ihr Abschiedsalbum angekündigt. Mit noch immer kraftvoller Stimme singt sie darauf elf Songs aus den letzten Jahrzenten zwischen Bobby "Blue" Blands "The Dreamer" und "Welcome To The Jungle" von Guns 'n' Roses. Postum wird das Album jetzt auch in Deutschland veröffentlicht.

Musiker träumen oft davon, auf der Bühne zu sterben. Aber wenn die Gesundheit nicht mehr mitspielt, dann ist ein Abschied in Würde und bei voller Schaffenskraft die beste Art, sich von seinen Fans zu verabschieden. Glenn Campbell hatte es 2011 vorgemacht mit seinem "Ghost on the Canvas". Und auch Etta James hatte nach fünfjähriger Pause noch einmal ein Studio gebucht, um mit "The Dreamer" noch einmal zu zeigen, warum sie eine der wichtigsten Sängerinnen in der Geschichte des Soul und Blues war. Und sie hatte mit ihrer Familie bei der Veröffentlichung erstmals die schwere ihrer Krankheiten öffentlich gemacht, die jetzt zu ihrem Tod führten.

"The Dreamer" ist insofern ein typisches James-Album, weil die Vielfalt der verschiedenen Songs zeigt, wie sie sich zeitlebens gegen sämtliche Konventionen gewehrt hat. Wer würde schon erwarten, dass man Guns n Roses auf einen Bluesalbum findet? "Welcome To The Jungle" wird in ihrer Interpretation zu einer ordentlichen Funknummer ganz ohne Referenzen mehr an den Metal der 80er/90er Jahre. Und "Boondocks" von der Country-Band Little Big Town bekommt ebenso eine tiefe Dosis Swamp-Grooves aus Louisiana verpasst. Die anderen Stücke des Albums sind da schon wesentlich weniger überraschend: Der Opener "Groove Me" ist auch hier ein typischer Soulsong im Sound von Memphis. Otis Reddings Ballade "Cigarettes & Coffee" macht zwar deutlich, dass Etta James Stimme langsam alt geworden ist. Doch noch immer kann sie einen mit der Intensität ihres Gesangs schlichtweg umwerfen. Auch Ray Charles ("In The Evening") oder Bobby "Blue" Bland ("The Dreamer") kommen ihrer Art des Singens entgegen. Wenn sie dann "Too Tired" (von Johnny "Guitar" Watson) singt, dann ist das ein wirklicher Abschied: Der muntere Begleitsatz kann nicht davon ablenken, wie ernst sie diesen Text für sich genommen haben muss. Es ist ein Abschied von den Fans und dem Leben auf der Bühne. Noch ergreifender ist dann nur noch die Schlussnummer, Little Miltons "Let Me Down Easy". Da wird in jeder Note, jeder Nuance klar, dass der Abschied eben nicht mit einem Knall kommt, sondern im Bewußtsein, dass danach nichts mehr kommt in diesem Leben. Die Sehnsucht richtet sich darauf, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern danach noch etwas kommt. Lass mich jetzt einfach gehen…

"The Dreamer" mag nicht das Beste Album der langen Karriere von Etta James sein. Doch es zählt in seiner Endgültigkeit zu den schönsten musikalischen Abschiedsgeschenken, die man sich vorstellen kann.