1987 spielte Bob Dylan mit Tom Petty in Ostberlin. Für Fans aus der DDR ein unwahrscheinliches Ereignis. Für Dylan wahrscheinlich nur ein Konzert unter vielen. Hinterher gab es verschiedene Meinungen über seinen Auftritt.

"Morgen spielt Bob Dylan in Berlin." Der Satz machte schnell die Runde. Glaubhaft klang er eigentlich nicht. Dylan in der DDR? Das währe ja fast so, als würden die Stones Station  machen im Arbeiter- und Bauernstaat. Bisher hatten zwar immer mal wieder Rockmusiker aus dem kapitalistischen Ausland im Osten Konzerte gegeben. Aber das waren nicht so große Nummern: Roger Chapman etwa oder auch Tangerine Dream, Bruce Cockburn oder die EAV. Aber Dylan?

Seit Tagen saßen wir jeden Tag in lächerlichen Uniformen in der "Kiste", dem legendären Greifswalder Studentenclub. Lager für Zivilverteidigung nannte sich das und gehörte selbst für Theologen zur Pflicht im Studium. In der "normalen" Schule hatte man das schon über sich ergehen lassen müssen und nur die Lehrer mit einigen gezielten Fragen aus dem Konzept gebracht. Direkte politische Äußerungen wie etwa ein "Schwerter zu Pflugscharen"-Aufnäher beim Abschlussappell führten fast zu Herzinfarkten bei der Schulleitung. Und zur Bescheinigung, keine ausreichende "politisch-moralische Grundhaltung zum sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern" zu haben.

Wollte man nicht exmatrikuliert werden, dann durfte man sich so was jetzt nicht mehr erlauben. Wogegen allerdings die Ausbilder machtlos waren, war die Bekleidung unter den tarnfarbenen Uniformjacken, wenn man nicht der FDJ angehörte. Zeitweise war bei mir ein überlanger schlabbriger Wollpullover die Kleidung der Wahl. Sah schrecklich aus – war aber wirksam. Andere versuchten es mit Hemd und Krawatte mit ebensolchem Effekt: Man merkte uns Theologen an, dass wir den Laden nicht ernst nahmen. So marschierte man mit durchs Gelände, machte Erste-Hilfe-Übungen oder sah rumänische Propagandafilme über das Erdbeben in Bukarest.Doch schwänzen war halt nicht möglich.

Oder doch? Spontan sagte ich einer Bekannten zu, am nächsten Morgen mit zum Konzert nach Berlin zu fahren. Mal sehn, ob an dem Gerücht überhaupt was dran war. Erst gingen wir am Abend aber noch zu Gerhard Schöne in die Mensa. Der Laden war voll, das Konzert wie üblich bei diesem Liedermacher: anspruchsvolle Unterhaltung und unterschwellige Opposition.

Irgendwie begegnete man dort immer mehr Leuten, die schon von der Fahrt nach Berlin redeten. Sollte wirklich was dran sein? Es solle ein Beitrag der FDJ zum 750jährigen Berlin-Jubiläum sein, hieß es jetzt. In der Erinnerung ist der Zug am Morgen voller langhaariger oder sonstwie alternativ aussehender Menschen verschiedener Altersgruppen. Keiner hatte Karten, jeder hoffte drauf, noch eine zu bekommen. Gespräche ergaben sich mit Musikern, Fans, Bluesern,…  jeder sprach mit jedem. Kein Stress, nur eine gemeinsame Vorfreude. Immerhin: BOB DYLAN! Held aller möglichen Kreise. Selbst die frommen Gemeindegruppen mochten ihn seit seinen christlichen Platten. Und "Blowin In The Wind" gehörte dort mit deutschem Text zum Standardrepertoire eines gelungenen Abends.

In der Zeit an einer kirchlichen Oberschule hatte ich in den Jahren vor dem Studium erstmals Dylan-Platten hören können neben ner Menge anderer Bands. Zum Blues kamen in kurzer Zeit hinzu: Hardrock, Heavy Metal, Ska, Jazz-Rock, Progressive Rock,…

Das Leben im Internat hatte auch musikalisch eine ganz eigene Struktur entwickelt. Zum Aufwachen klangen alte Scheiben von AC/DC, nach Schulschluss am Freitag Hans-A-Plast mit dem großen "Rock 'n' Roll-Freitag", wenn wir die ganz frommen Mitschüler ärgern wollten, wurde Nina Hagens Vertonung des Vaterunsers laut gestellt. Und am Abend zum Träumen liefen alte Scheiben von YES, Emerson Lake & Palmer oder Weather Report. Und ab und zu eben auch Dylan oder Crosby, Stills, Nash & Young.

Beim Studium kamen dann wiederum noch die Einstürzenden Neubauten, Slime und Ton Steine Scherben hinzu – hervorragend geeignet, um die Mitbewohner aus dem Wohnheimzimmer zu jagen. Und passend, um das Außenseiter-Image zu pflegen.Dylan war da nur einer unter vielen. Und bei den mangelnden Englischkenntnissen war er sicher keiner der Helden.

Berlin – Die Massen sorgen dafür, dass man garantiert an der richtigen Stelle ankommt. Es sind zwar noch etliche Stunden bis zum Konzertbeginn, aber die Zugrichtung ist jetzt schon eindeutig. Schnell hat man eine Karte bekommen. Zehn Ostmark und die obligatorischen fünf Pfennige für die Kultur. Und jetzt wird erst so richtig klar, wer da alles spielen wird. Den Anfang macht Roger McGuinn, danach soll Tom Petty mit seinen Heartbreakers aufspielen. Und dann Dylan mit den Heartbreakers als Begleitband.

Auf der Wiese vor der Bühne sammeln sich so ziemlich alle Blueser, Kunden und Hippies der DDR. Ab und zu regnet es, doch es sind genügend Folien da, damit niemand nass wird. Zu trinken gibts auch genügend, ohne dass man die Getränkestände aufsuchen müsste.

Und dann: Das Konzert. McGuinn mit seiner zwölfseitigen Gitarre versucht Mitsingaktionen. Ich bin überfordert, weil ich noch nichtmal den Tambourin-Man auswendig kann. Aber nette Unterhaltung. Tom Petty rockt. Ich kenne kein Lied von ihm. Das geht aber den meisten so. Klasse Band, macht Lust auf Dylan.

Und dann his Bobness – zur Verstärkung noch mit paar Sängerinnen. Stur zieht er sein Konzert runter. Keine Ansagen, keine Kommunikation mit dem Publikum, nichts. Ich erkenne kein Lied wieder. Aber ich bin inmitten von Fans, die sich wohlfühlen, die mehr wollen von dem Mann, der da recht verloren vor der Band steht und singt. Ist er so betrunken, wie hinterher gemunkelt wird? Keine Ahnung. Dass er bei der Tour nirgendwo mit dem Publikum geredet hat, das wird schnell klar. Die DDR-Fans bekommen keine Sonderbehandlung, keinen Zonenbonus. Und kein Schulteklopfen. (Warum auch, wenn über der Bühne noch ein FDJ-Transparent hängt – das hat sich Springsteen später nicht bieten lassen. Doch der hat dann ja auch davon geredet, dass irgendwann mal alle Grenzen fallen sollten, und Dylans Chimes of Freedom angestimmt….) Gottfried Blumenstein spricht daher gar von einem inszenierten Selbstmord eines Idols. Das ist wohl gewaltig übertrieben. Aber wenn man Dylans Leben verfolgt, dann war diese Tour so ziemlich der Tiefpunkt seiner langen Karriere. Und es wird noch paar Jahre dauern, bis er wieder gute Platten macht. Und paar Jahre weniger, bis er wieder Spaß dran findet, seine alten Sachen immer wieder neu zu spielen.

Schließlich dann doch: Like a Rolling Stone und danach Blowin in the wind – ich erkenne zwei Lieder und kann mitsingen. Dann ist das Konzert auch schon wieder vorbei. Schade, es hätte noch endlos weitergehen können.

Am nächsten Morgen gehe ich zur Studentenärztin. Denn Zivilverteidigung kann man ja nicht einfach schwänzen. Aber einen Krankenschein kann man ja versuchen zu bekommen. Als ich abends zu Hause war, waren Cola und ein wenig Kuchen das einzige vorhandene Essen. Das rumpelt im Magen, als die Ärztin mich abhört. Prompt werde ich eine Woche krank geschrieben. Dylan hat mir echt geholfen…