(6. Kapitel aus den Memoiren eines Münsterländer Mastschweins, die 2012 im freiraum-verlag Greifswald erschienen.)

Egli, sia lodato Iddio, non ha punto quel sozzo
vizio che voi mi diceste, anzi n‘è molto lontano.

Er hat, Gottlob, das abscheuliche Laster
nicht, von dem Ihr mir spracht, sondern ist
weit von demselben entfernt.

Matteo Bandello, Novelle. Il Porcellio si prende
trastullo di beffar il frate confessandosi.
Meister Schweindel treibt zur Kurzweil bei
der Beichte Spott mit dem Pfaffen (1554)

Der ciceronianische Bombast, mit dem mir mein Oheim den Vorzug des Schweins vor dem Menschen zu erweisen versuchte, hatte auf mich die entgegengesetzte Wirkung. Das lag weniger an der kannibalischen Note seiner Beweisführung, die unter Schweinen auf eine gewisse Ehrwürdigkeit rechnen durfte, als an einem Umstand, den ich aus Furcht vor einem erneuten Ikarusflug nicht wagte ihm vorzuhalten. Denn wie man den Wert unseres heimischen Platts auf Hochdeutsch und nicht auf Platt zu beschwören pflegt, so hatte mein Oheim sein Plädoyer für das Schwein wie selbstverständlich auf Deutsch, nicht auf Schweinisch, vorgetragen. Das Schweinische, schien mir der unvermeidliche Schluss, war auf Stall und Weide beschränkt; suchte ich Geltung als Autor, so würde ich mich des Deutschen zu bedienen haben: Ich musste Deutscher unter Deutschen, musste Mensch unter Menschen werden. Wie aber Deutscher werden, wenn mich mein Oheim in die Suhle beförderte? Wie aber Mensch, wenn mich der Stich des Schweinesken durchbohrte?

Angesichts dieses Dilemmas verfiel ich auf die Auskunft, den Rat unseres Pfarrers einzuholen, welcher im Ruf eines ebenso frommen wie weltklugen Mannes stand, der sich in Rheda oder Rietberg mit gleicher Ungezwungenheit zu bewegen verstand wie in Mastholte. Jeden Mittwoch nach dem Firmungsunterricht pflegte Pater Emmeran in St. Jakobus die Beichte abzunehmen und zwischen drei und vier Uhr nachmittags seine Pfarrkinder zu erwarten. Eine Folge wolkenloser Sommertage, die den Quecksilberfaden des Thermometers neben der Stalltür in ungekannte Höhen trieben, hatte mir jedoch glaubhaft gemacht, dass an diesem Mittwoch selbst der sündenbeschwerteste Mastholter den Besuch einer Badeanstalt dem eines Beichtstuhls vorziehen musste. Mein Plan war gefasst.

Schon hatten, nach glücklich geendigter Katechisierung, die Firmlinge das Gotteshaus verlassen, um ihre Räder zu besteigen und mit schwirrenden Speichen dem nächsten Freibad entgegenzustreben. Sobald die Pforte sich hinter ihnen geschlossen hatte, zwängte ich mich durch ein vorbereitetes Loch im Zaun, nicht ohne es sorgsam wieder zu schließen, um dem Gefolge einer
massenhaften, ungelegenen Neugier vorzubeugen, und schlüpfte über den menschenleeren, vor Hitze flimmernden Platz in die Kirche, wo ich mein Versteck im Vorraum hinter den strahlenden Kinderaugen einer ökumenischen Stellwand bezog. Inzwischen tauchte in der Tiefe des Schiffs eine Schar von Putzfrauen auf; das Heulen eines Staubsaugers, der in Abständen polternd gegen Stufen und Bänke stieß, und das Scheppern eines Eimers war zu vernehmen. In meine Nüstern drang die Witterung von Bohnerwachs wie das Korn eines sinnverwirrenden, ketzerischen Weihrauchs; und in dem Schweigen des Nachmittags, dem grünen Licht der Fenster, das auf dem Kalk der Wände schlief, und dem verzweigten Gefunkel der Messingleuchter war mir in meinem Refugium zumute, als müsse die Geschäftigkeit der Frauen der Vorbereitung eines geheimnisvollen Festes gelten, einer Messe ohne Worte, die in der stummen Sprache der Dinge stattfand.
Mysterien des Schweinesken! Ohnmacht des Wortes! Mit Ungeduld sah ich der Unterredung mit dem Pater entgegen, die mir die Siegel dieser Rätsel lösen sollte. Kaum hatte die Putzkolonne
die Kirche verlassen, als ich quer durch das Hauptschiff huschte und meinen Platz im Beichtstuhl einnahm. Die Gewölbe lagen in tiefem Schweigen; Sonnenstrahlen fielen schräg durch die Fenster; unter den Kreuzrippen flatterte eine verflogene Taube hin und her wie ein nervöser, zu früh erschienener Heiliger Geist. Aber jetzt repetierte der Viertelschlag vom Turme von St. Jakobus, und ihm folgte der Basslaut der vollen Stunde.

Ein einzelner prüfender Quietscher ertönte, die Tür der Sakristei schlug ermutigt ihren knarrenden Fächer auf und entließ den schwarzpolierten, lederknirschenden Schritt des Paters Emmeran, begleitet vom Froufrou seiner Kutte. Vor dem Beichtstuhl blieb der Pater stehen, zog mit klirrendem Griff die Ringe des Vorhangs beiseite und trat auf die Stufe, deren Eichenholz krachte. Pater Emmeran stieß einen Seufzer aus, und während der Faltenwurf der Soutane gedämpft an ihm niederglitt, rückte er sich auf der Bank zurecht, die jede seiner Bewegungen mit devotem Geflüster quittierte. Der Pater räusperte sich und schlug sein Brevier auf, dessen Bibelpapier raschelte. Einen Augenblick war es vollkommen still.

„Ich bin gekommen, um Ihren Rat zu suchen, Ehrwürdiger Vater“, sagte ich.

„Hast du Frauen auf den Hintern oder den Busen gestarrt und dabei unkeuschen Gedanken gehuldigt? Macht drei Ave, mein Sohn.“

„Das ist nicht der Grund meines Kommens, Ehrwürdiger Vater“, sagte ich.

„Hast du die Sünde der Selbstbefleckung begangen, mein Sohn? Das macht dann fünf Ave und fünf Vaterunser. Und nimm dir vor, es künftig zu unterlassen.“

Offenbar war der Pater mit den Verfehlungen seiner Firmlinge derart bekannt, dass er gar nicht mehr hinhörte, sondern sie summarisch vorwegnahm. Wie sollte ich ihm erklären, dass es sein Rat in puncto des Schweinesken war, auf den ich hoffte? Kurz entschlossen steckte ich meine Pfote durch das Gitter, das uns trennte.

Einen Augenblick herrschte völliges Schweigen. Es folgte ein Räuspern, das Rascheln von Bibelpapier und das Raffen eines Gewandes, begleitet vom Wispern der Bank und einem Schnaufer, dem sich das Klirren des Vorhangs und das Krachen von Eichenholz anschloss. Im Kirchenschiff klangen schwarzknirschende, kuttenumflatterte Schritte \auf, die sich hastig entfernten. Der Quietschton verstörter Angeln erscholl, die Sakristeitür brach in zeterndes Geschnatter aus und fiel entrüstet ins Schloss. In der Kirche lag der Geruch von Bohnerwachs, das Sonnenlicht fiel schräg durch das Bleiglas der Fenster. Es war vollkommen still.

Stimmen aus dem Stall & Kommentare des Kobens

´n dach inn Juli was dat, dao ha he de toun kaputt maket un iss rüöwer in de kiärken. Met de pastauer ha he köüern wullt, wie he dat anstellt to studäiern. He vostiäkt sick also inn bichtstaoul un de pastauer glaiwt, dat iss de lejwhaftige döüwel, os he de paoten von dat schwejn säien harre. Ganß rammdäösich iss de paoter worn, un ´n pa wieken läter iss he vo de tejt in rente gaon.

(Ein Tag im Juli war das, da hat er den Zaun kaputt gemacht und ist rüber in die Kirche. Mit dem Pfarrer hat er sprechen wollen, wie er das anstellt zu studieren. Er schleicht sich also in den Beichtstuhl und der Pastor glaubt, das ist der Teufel leibhaftig, wie er die Pfote von dem Schwein gesehen hat. Ganz rammdösig ist der Pater geworden, ein paar Wochen später ist er vor der Zeit um die Rente eingekommen.)

Das Buch kann hier bestellt werden
{source}

{module Jürgen Buchmann}