Angst Schuld Versöhnung – Predigt über 1. Mose 50, 15-21 am 27. Juni 2010 

(15) Und als Josephs Brüder sahen, dass ihr Vater gestorben war, sagten sie: Wenn nun Joseph uns anfeindet und uns gar all das Böse vergilt, das wir ihm angetan haben!
(16) So entboten sie dem Joseph und ließen sagen: Dein Vater hat vor seinem Tod befohlen und gesagt:
(17) `So sollt ihr zu Joseph sagen: Ach, vergib doch das Verbrechen deiner Brüder und ihre Sünde, dass sie dir Böses angetan haben!“ Und nun vergib doch das Verbrechen der Knechte des Gottes deines Vaters! Da weinte Joseph, als sie zu ihm redeten.
(18) Und auch seine Brüder gingen und fielen vor ihm nieder und sagten: Siehe, da hast du uns als Knechte.
(19) Joseph aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa an Gottes Stelle?
(20) Ihr zwar, ihr hattet Böses gegen mich beabsichtigt; Gott [aber] hatte beabsichtigt, es zum Guten [zu wenden], damit er tue, wie es an diesem Tag ist, ein großes Volk am Leben zu erhalten.
(21) Und nun, fürchtet euch nicht! Ich werde euch und eure Kinder versorgen. So tröstete er sie und redete zu ihrem Herzen.
Ihr Lieben,

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als ich anfangen wollte, meine Predigt zu schreiben, machte mir Kauvieh Angst: Da kommt doch niemand wegen des Fußballs. Schnell musste ich in den Spielplan schauen: Mist! Achtelfinale. Und noch dazu Deutschland gegen England. Wo hatte ich meine Gedanken, als ich den Termin für den Gottesdienst festlegte? Auf jeden Fall nicht beim Spielplan. Der war mir da noch überhaupt nicht wichtig im Mai.

Aber dafür in den letzten Wochen: mittags oder abends irgendwohin zum Fußball. Nicht auf den Markt, da ist’s mir zu blöd. Aber die Kneipen überall waren Treffpunkte. Gemeinsam mitfiebern und bei sinnlosen Aktionen stöhnen… Oder dann der befreite Jubel, als doch endlich das entscheidende Tor fällt. Nicht groß denken muss man dabei. Nur einfach Spaß haben. Vergessen, was einen sonst belastet all die Tage. Brot und Spiele wirken prima. Doch der Alltag kommt immer wieder zurück. Und mit ihm oft auch die Angst.

Der Alltag hat sie wieder, die Brüder von Joseph. Plötzlich haben sie Angst, die Brüder von Josef. Angst, weil sie Scheiße gebaut hatten. Angst, weil der Bruder plötzlich mächtiger war als sie. Angst, weil Vater nicht mehr da war, der den Streit bislang verhindert hatte.

Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern ist eine der schönsten im ganzen Alten Testament. Denn sie erzählt aus der Vergangenheit heraus von Dingen, wie wir sie heute noch jeden Tag erleben. Hass, Neid und Missgunst sind der Ausgangspunkt der Geschichte. Dazu gibt’s später noch Sex & Crime – aber auch Mitgefühl und jede Menge Liebe.

Aber am Anfang steht Daddies Liebling. Joseph, der Lieblingssohn. Der Schnösel, der immer allen sagen muss, dass er was Besonderes ist. Irgendwann haben seine anderen Brüder die Nase voll von dem ganzen Getue. Sie verkaufen ihn als Sklaven nach Ägypten und erzählen dem Vater, dass ein wildes Tier Joseph umgebracht hätte. Joseph macht in Ägypten eine steile Karriere. Schließlich wird er zum Chefminister des Pharaos, zum höchsten Beamten des Landes.

Jahre der Trockenheit kamen und damit Hungersnot, auch über Jakob und seine Familie. Die Söhne zogen nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Nur Benjamin, der jüngste, blieb beim Vater. Sie kamen vor Joseph, der inzwischen Wesir des Pharaos geworden war. Er erkannte seine Brüder, sie ihn nicht. Als die Trockenheit andauerte und das Getreide aufgezehrt war, zogen sie wieder nach Ägypten. Diesmal gab Joseph sich zu erkennen. Er ließ den Vater mit der ganzen Familie nach Ägypten kommen und gab ihnen Weideland. Alles war wieder im Lot. Joseph hegte keine Rachegefühle, sondern sorgte für seine Familie.

Jakob, der schon als alter Mann nach Ägypten gekommen war, starb nach einigen Jahren. Seine Söhne begruben ihn in seiner Heimat und kehrten nach Ägypten zurück. Doch dann bekamen Josephs Brüder es mit der Angst zu tun. Zwischen ihnen und dem Bruder, der einst wehrlos und nun übermächtig war, stand noch die unbewältigte Vergangenheit. Sie war alt und anscheinend längst vergessen, aber unterschwellig immer gegenwärtig. Die verdrängte Schuld brach wieder auf. Sie wurden unsicher. Wie würde sich Joseph verhalten? Ihr schlechtes Gewissen ließ sie die Zukunft fürchten. Ihr Bruder könnte sich an ihnen für das rächen, was sie ihm einst angetan hatten, jetzt, da ihnen der sichere Schutz des Vaters fehlte. Doch sie weigerten sich, ihre neue Rolle zu übernehmen und damit die Verantwortung für ihr einstiges Tun. Sie sahen sich vor einem schier unlösbaren Konflikt. Wie sollten sie ihre Vergangenheit bewältigen?

Und wir? Wie gehen wir mit unserer Schuld, unserem Scheitern um? Wie oft bleiben wir stumm, anstatt zu sagen: Ich hab Mist gebaut. Es tut mir leid – gib mir eine neue Chance. Lass das nicht auf Dauer zwischen uns stehen. Das kostet Mut, das kostet Überwindung. Das tut weh, wenn man seinen Stolz herunter schlucken muss.

Die Feiglinge. Nur versteckt hinter der Autorität des Vaters, von der sie sich Schutz versprachen wagten sie es, Joseph anzusprechen. Und sie waren noch nicht mal mutig genug, direkt zu ihm zu gehen.

Und sie gehen in ihrer Feigheit noch weiter: Gott als Totschlagargument. Nur an einer Stelle sind sie wirklich mutig: Sie geben – wenn auch nicht direkt ins Angesicht des Bruders – ihre Schuld zu.

Joseph sagt nichts und weint: Enttäuschung? Seine Brüder wollten ihn täuschen, wollten ihn zwingen, ihnen zu vergeben. Das war noch schmerzlicher als der feige Hass, aus dem heraus sie ihn in einen Brunnen geworfen und dann verkauft hatten. Das war der Ausverkauf der Menschlichkeit, die Heiligung jeder Form von Gewalt: Erst wird jemandem Gewalt angetan, dann wird er gezwungen zu vergeben – und alles ist wieder im Lot.

Joseph war am Ende. Was blieb ihm außer Tränen? Diese Tränen ließen den Brüdern das Versöhnungsmanöver im Halse stecken bleiben. Sie verschlugen ihnen die Rede vom Testament des gemeinsamen Vaters und von der eigenen Frömmigkeit. Josephs Wehrlosigkeit hatte die Brüder gleichfalls wehrlos gemacht. Jetzt waren auch sie am Ende, an dem Ende, das einen neuen Anfang ermöglicht. Sie kamen nun selbst zu Joseph, voll Angst und Furcht, und nun unversehens ganz auf sich selbst gestellt. Offen sprachen sie mit ihm, lieferten sich ihm bedingungslos aus: „Siehe, wir sind deine Knechte.“ Sollte Joseph tun, was gerecht war: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Doch Joseph antwortete: „Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?“ Er verzichtet auf seine Rache. Er nutzte die Situation nicht aus, sondern nahm seine Brüder an. Schluss mit der Angst. Schluss mit dem Druck der Vergangenheit.

"Stehe ich denn an Gottes Statt?", hatte Joseph gesagt. Das meint: Es steht mir nicht zu, ein Urteil zu sprechen. Klar habt 
Ihr Mist gebaut - aber ich bin nicht der, der hier aufrechnen darf.  Die Brüder waren wieder versöhnt. Sie konnten
über ihre Vergangenheit reden.

Die Josepherzählung ist eine zutiefst menschliche Geschichte. In ihr begegnen sich Menschen in allem, dessen sie fähig sind: in abgrundtiefen Hass wie in Versöhnung und Vergebung. Und letztlich lässt sie uns auch erkennen, wo Gott in unserem Leben die Dinge zum Besseren kehrt. Wir stehen mitten in seiner Heilsgeschichte: da, wo uns vergeben wird, da, wo wir vergeben können. Überhaupt dort, wo wir von unserer eigenen Angst, unserem Stolz oder unseren Vorurteilen absehen und stattdessen auf die Menschen um uns herum anblicken zu können.

Diese Geschichte zeigt uns, dass wir als Menschen ohne Vergebung nicht leben können. Denn mit den Verhältnissen, die nicht so sind, können wir uns nicht entschuldigen, weil diese Verhältnisse immer ein Geflecht von eigener und fremder Verantwortung, von eigener und fremder Schuld sind. Dieses Geflecht gilt es zu erkennen, zu benennen, zu entwirren. Vergebung heißt: den Teufelskreis der Verhältnisse zu durchbrechen, miteinander neu anzufangen, ernst zu nehmen, dass uns vergeben wird.

Wir werden oft neu anfangen müssen. "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen
lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen ... Ich glaube auch,
dass unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten." So hat es Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis formuliert, nur kurze Zeit bevor
die Nazis ihn hinrichten ließen.

Amen.