An der Auferstehung entscheidet sich alles
Predigt vom 17.September 2006 im "Kontorkeller am Markt"
Text: 1. Brief an die Korinther 15, 1-20
Okay Jungs, die fünf besten Songs über den Tod."
„Zauberhaft", sagt Barry. „Eine Lauras-Dad-Tribute-Liste. Okay, okay. ‚Leader of the Pack'. Der Kerl stirbt auf seinem Motorrad, oder? Und dann haben wir ‚Dead Man's Curve' von Jan and Dean, und ‚Terry' von Twinkle. Hmmmmmmm der da von Bobby Goldsboro, ‚and honey, I miss you …'" Er singt falsch, sogar noch mehr, als er es normalerweise tun würde, und Dick lacht. „Und was ist mit ‚Tell Laura I Love Her'. Das würde den Saal zum Kochen bringen." Ich bin froh, dass Laura nicht hier ist, um mit anzusehen, wie viel Laune uns der Tod ihres Dads macht.
… Wir haben ungefähr sieben Phantastilliarden Stunden Musik auf Platten hier im Laden, und nicht eine Minute davon beschreibt, wie sich Laura jetzt fühlt.
Wenn jemand vom Tod eines Angehörigen oder Freundes betroffen ist, dann werden wir unsicher. Was sagt man in der Situation? Gibt es überhaupt etwas zu sagen, was bei dem Menschen ankommt?
„Die nächste Leiche ist deine", meinte meine Mentorin im Vikariat flachsigerweise. Und meinte: Die nächsten Menschen, die mit einem Todesfall ins Pfarramt kommen, denen wirst Du als Vikar, als studierter und examinierter Theologe zur Seite stehen. Du wirst mit ihnen reden. Du wirst die Predigt für die Beerdigung nach dem Gespräch schreiben. Du wirst sie auf dem Weg zum Grab begleiten mit Wort und Gebet. Ich hatte Angst davor – ich hab jedes Mal wieder Angst gehabt: Finde ich die richtigen Worte? Werden die Menschen in ihrer Trauer meine eigene Unsicherheit mit dem Tod spüren – oder schaffe ich es, ihnen überzeugend die Hoffnung der Christen über den Tod hinaus vorzuleben?
Oft genug hatte ich das (wohl nicht ganz falsche) Gefühl, die Trauernden waren wesentlich fester im Glauben als ich.
Und ich erinnere mich jedes Mal daran, wie es mir gegangen ist bei der Beerdigung meines Großvaters. Es war mein 20. Geburtstag. Die ganze Familie mit allen Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen und überhaupt war gekommen. In der Friedhofskapelle stand der Sarg – darin sollte er liegen? Und dann die Musik: ein Harmonium (ich hasse den wimmernden Klang dieser Pseudo-Orgeln) und ein Geiger, der mit schluchzenden Melodien feierliche Stimmung hervorrufen wollte. Wenn ich nicht traurig gewesen wäre, hätte ich einen Lachanfall bekommen. So war ich nur noch wütend: Was soll dieses Schauspiel? Wo sind hier die guten Erinnerungen an das Leben meines Großvaters? Wo ist das alles hin? Was der Pfarrer gepredigt hat, bekam ich in meiner Wut gar nicht mit. Erst das Treffen in einem schicken Restaurant der Stadt hinterher weckte mich wieder halbwegs auf. Denn plötzlich – der Sarg war noch kaum unter der Erde, ging der Streit los. Die Töchter von Großpapa, das meint meine Mutter und ihre Schwestern begannen damit, sich über die Aufteilung des Erbes in die Haare zu bekommen. Ein Streit, der noch Jahre dauerte. Mit meiner Trauer und meinen Erinnerungen blieb ich allein.
Was ist das mit dem Tod – wie gehen wir damit um? Und wie ist das mit der Auferstehung? Ist das wirklich denkbar? Tommasch hat sich Verse aus dem 15. Kapitel des 1. Korintherbriefs herausgesucht. Ein Kapitel, das komplett sich nur um dieses Thema dreht. Tod und Auferstehung – für die griechischen Christen war das schwer vorstellbar. Auferstehung – das gibt's in den Religionen im Römischen Reich eigentlich fast nur bei Göttern – und bei Kaisern, die nach ihrem Tod zu Göttern erhoben wurden. Von denen erzählt man auch solche Geschichten, dass sie nach ihrem Tod Anhängern erschienen sind, dass sie dann aufgefahren gen Himmel sind.
Vorstellbar ist das auch für uns eigentlich kaum – wie soll das gehen? Jegliche logische Herangehensweise sperrt sich dagegen. Wenn der Tod eintritt, dann kommt das ganze fein aufeinandergestimmte Netzwerk von Nerven, Muskeln, Blutgefäßen,…, was einen menschlichen Körper ausmacht, zum Stillstand. Und danach beginnt der unaufhaltsame Zerfall.
Und doch: Christlicher Glaube und die Kirche insgesamt beginnt mit diesem Bekenntnis: Christus ist vom Tode auferstanden. Gott hat ihn auferweckt. Damit beginnt die christliche Predigt – und daran entscheidet sich es, ob das, was Christen durch die Jahrhunderte erzählt haben, sinnvoll ist, oder ob's nur Verdummung der Massen ist. Meint jedenfalls Paulus. Paar Verse vor Tommaschs Textabschnitt steht folgendes:
1. Kor 15, 12-20
12 Wenn aber Christus gepredigt wird, daß er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten?
13 Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden.
14 Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.
15 Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen.
16 Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden.
17 Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden;
18 so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren.
19 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.
20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.
An der Auferstehung entscheidet sich alles – Nur wenn mit dem Tod nicht alles aus ist, nur wenn danach noch was ist, dann ist der Glaube an Gott und das Leben im Sinne Jesu sinnvoll, meint Paulus. Wenn Jesus nicht auferstanden ist, wenn es keine Auferstehung gibt – dann ist alles eine Lüge, dann brauchen wir uns damit nicht zu befassen, dann können wir leben, wies uns passt ohne Angst vor Konsequenzen danach. Wenn Jesus nicht auferstanden ist – dann war auch sein Tod am Kreuz eine riesige und extrem brutale Sinnlosigkeit. Erst von Ostern her, erst von der Auferstehung her, ergibt es einen Sinn. Und es gibt für unser Leben von diesem Ereignis her eine Hoffnung, die weiter reicht, als der nächste Morgen oder der nächste Urlaub oder die nächste Freundin.
Es ist einer der härtesten Sätze von Paulus, dieses: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen." Dieses Leben ist wichtig – doch es ist wichtig darum, weil eben der Tod nicht der letzte Vorhang ist, mit dem alles zu Ende ist. – sondern darum, weil wir darauf vertrauen dürfen und sollen, dass der Tod ein Übergang zu etwas völlig Neuem ist, was sich mit unseren Vorstellungen bestenfalls bildhaft umschreiben läßt.
Paulus weiß genau, dass es schwer ist, dies einem Menschen klar zu machen, in dessen Gedankenwelt Auferstehung noch keine Rolle gespielt hat. Am Anfang dieses großen und wichtigen Kapitels liefert er seiner Gemeinde eine ganze Liste von Zeugen für seine Predigt:
1. Kor 15, 1-11
01 Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,
02 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, daß ihr umsonst gläubig geworden wärt.
03 Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Daß Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
04 und daß er begraben worden ist; und daß er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift;
05 und daß er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
06 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.
07 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
08 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.
Tod und Auferstehung Jesu – das ist die frohe Botschaft, die Christen von Anfang an weitergesagt haben. Das ist der Inhalt der allerersten Predigten gewesen: Jesus ist gestorben – doch der Tod ist für ihn nicht das Ende gewesen. Fragt diejenigen, die ihn gesehen haben, ruft Paulus den Korinthern zu. Wir heute haben es in der Beziehung nicht so einfach. Von denen, die ihn damals gesehen haben, lebt heute längst keiner mehr. Wie also damit umgehen?
Dass Menschen heute noch immer zum Glauben kommen, dass es Gemeinden gibt, die sich auf diesen Jesus berufen, die in seiner Nachfolge leben – das ist für mich mindestens ein ebensolches Wahrheitszeugnis wie der Bericht eines Augenzeugen. Der Tod, das Ende meines Lebens, das ist nicht der große Schlussvorhang – sondern bestenfalls das Zeichen für die Pause vor dem entscheidenden dritten Akt. Auch wenn das dem rationalen Denken vielleicht widerspricht, auch wenn es letztlich trotz aller Nahtodberichte in diversen Büchern und Fernsehsendungen keinen Beweis für ein Leben nach dem Tod, für eine Auferstehung gibt – es ist eine große Hoffnung, an die ich mich halten kann und darf. Eine Hoffnung, die mich tröstet in meiner Trauer – die mich aber nicht vertröstet auf ein „Eiapopeia vom Himmel". Sondern die mir eben auch deutlich macht, was ich hier und heute tun und sagen soll. Damit auch morgen noch Menschen sagen können: Ich glaube an Jesus, der gestorben und vom Tode auferstanden ist. Und damit auch morgen noch Menschen nicht nur mit Worten sondern auch mit Taten der Liebe andere auf diesen Jesus neugierig machen.
Amen.