Liebe als Verlegenheitslösung? Predigt vom 18. Februar 2007

Text: 1. Korintherbrief 13, 1-13

Ihr Lieben,

neben den „normalen" Gedenktagen gibt es für mich ein paar besondere im Laufe des Jahres. Einer ist der Murmeltiertag, der 2. Februar. Für mich ist das immer ein Tag, um über die Liebe nachzudenken.

Wahrscheinlich kennen die meisten von Euch diesen Film:

Ein absolut egozentrischer und aufgeblasener Fernsehansager fährt in eine Kleinstadt, um von dort über das Murmeltierfest zu berichten. Er haßt diesen Auftrag, er verachtet die Leute in der Kleinstadt und die Leute, mit denen er zusammenarbeiten muß. Es ist in seinen Augen ein verlorener Tag. Und genau diesen Tag erlebt er immer wieder: Jeden Morgen pünktlich um sechs schaltet sich das Radio ein mit exakt dem gleichen Lied „I got You Babe" mit Sonny und Cher, den gleichen dämlichen Ansagern – immer wieder ist Murmeltiertag. Und keiner außer ihm merkt es. Immer wieder muß er den gleichen Tag neu durchleben: den bettelnden Obdachlosen an der Ecke, den ehemaligen Klassenkameraden Ned, der ihm Versicherungen aufschwatzen will und sich köstlich amüsiert, wenn Phil in eine tiefe Pfütze tritt. Und die Feierlichkeiten zum Murmeltiertag: die singenden Menschen, die „Obermurmler", die in Frack und Zylinder mit Phil, dem Murmeltier reden Auch Selbstmord in den verschiedensten Varianten bringt keine Erlösung. Immer wieder um sechs Uhr wacht er auf und es ist Murmeltiertag.

Erst mit der Zeit lernt er die Menschen um sich herum mit anderen Augen zu sehen. Er verliebt sich in Rita, die Produzentin, und versucht erfolglos, sie zu verführen. Jeden Tag lernt er sie ein Stück mehr kennen, wie sie ihren Wermut trinkt, welche Gedichte sie gut findet, … und plant, wie er bei ihr landen kann. Es endet regelmäßig mit einer Ohrfeige. Klatsch – Klasch – und noch ein Schlag ins Gesicht. Er lernt die Menschen der Stadt mit ihren Nöten und Träumen kennen, weiß, wer wann Hilfe braucht und fängt an, den Tag immer mehr zu nutzen, der Junge, der vom Baum fällt, die alten Damen mit dem platten Reifen, einer, der fast erstickt im Restaurant – und er verzweifelt fast daran, daß er einem alten Mann nicht helfen kann, der an diesem Tag stirbt.

Und erst dann, als er gemerkt hat, wie wichtig und wie liebenswert diese normalen Menschen sind, als er lernt, daß sich nicht bloß alles um ihn dreht, erst dann kann er aus diesem ewigen Kreislauf entkommen. Er mußte die Lektion lernen, daß ohne die Liebe das ganze Leben sinnlos und leer ist. Er muß lernen zu lieben – zuerst sich selbst. Und weil er sich liebt, dann kann er auch die anderen Menschen von Punxatawney, die er erst so verachtet hat, lieben. Dann erst kann er versuchen, diesen Menschen zu helfen. Und erst dann schließlich kommt der Punkt, an dem er selbst liebenswert für Rita wird. Erst so wird der ewige Kreislauf durchbrochen, wird er wieder sterblich und kommt in den normalen Lauf der Zeit zurück. Dies fiel mir ein, als mich hinsetzte, um die Predigt zu schreiben. Und mir fiel auch ein, daß ich in diesem Jahr den Murmeltiertag gar nicht begangen habe. Und so mußte ich mich erst mal hinsetzen, und den Film zum xten Mal anschauen. Und wieder kamen mir fast die Tränen – und der Neid am Ende. Denn was soll ich groß von der Liebe sagen? Rede ich da nicht fast wie der Blinde von der Farbe?

Es gab Jahre, wo ich mir den Film gemeinsam mit einer Freundin angeschaut hab – ich irgendwo in Sachsen, sie in Bremen. Und am Telefon redeten wir darüber, welchen Tag wir am liebsten immer wieder aufs Neue erleben wollten. Doch letztlich war das, was wir beide über ne ganze Zeit miteinander teilten, nicht die echte Liebe – keiner von uns beiden war bereit, sich völlig und bedingungslos auf ein gemeinsames Leben einzulassen. Aus Angst vor einer ungewissen Zukunft, aus Angst davor, daß wir beide uns dafür hätten gewaltig verändern müssen. Ich hatte Irgendwann war dann einfach Schluß. Ein Jahr lang war mein Rechner, mit dem wir nächtelang gechattet hatten, nicht mehr am Netz. Ich selbst war nicht mehr erreichbar. Die Liebe – sie ist eben mehr als romantisches Gerede. Sie ist ernst und nimmt mich komplett in Beschlag, wenn ich mich auf sie einlasse.

Doch ohne eine solche Liebe ist alles nichts wert, was wir denken und tun. Der Apostel Paulus hat dies in seinem ersten Brief nach Korinth auch auf das Leben der Gemeinde bezogen:

1. Kor 13
13,1 Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
13,2 Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.
13,3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
13,4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,
13,5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
13,6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;
13,7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
13,8 Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.
13,9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.
13,10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.
13,11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.
13,12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
13,13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Ihr Lieben,
die Korinther, an die Paulus schrieb, das war in gewisser Weise eine besondere Gemeinde – zumindest sahen sie selbst sich so. Nicht nur waren sie Großstädter mit ner Menge kultureller Bildung. Nein, sie hatten – so sahen sie es jedenfalls – den Glauben völlig verstanden. Wir haben kapiert, woraufs ankommt. Und wer was anderes denkt oder sagt, der hat sie nicht mehr alle. Unsere Gottesdienste – wenn nicht daran deutlich wird, daß der Heilige Geist unter uns wirkt, wenn die Menschen anfangen in Zungen zu beten, dann weiß ich auch nicht. Und da wir den Glauben mit Löffeln gefressen haben – und den Löffel gleich mit – dann müssen wir uns eigentlich kaum noch um was anderes kümmern. Uns kann nichts passieren. Wir sind auf der sicheren Seite.

Doch Paulus kratzt mit seinem Brief am glänzenden Lack der Supergemeinde: Ihr wollt eine vorbildliche Gemeinde sein? Warum gibt's dann bei Euch Streitereien? Warum achtet ihr nicht darauf, daß die Armen in Eurer Gemeinde nicht hungrig wieder von den Treffen weggehen müssen? Und wenn ihr ansonsten keine Rücksicht nehmen müsst: Es gibt Menschen, denen ihr zum Ärgernis, zur Anfechtung werdet mit Eurer Art. Und Eure Zungenreden – auch auf die kommts nicht wirklich an. Wichtig ist allein – die Liebe.

Es hatten sich nachdem Paulus die Gemeinde gegründet hatte verschiedene „Fraktionen" gebildet, die sich jeweils auf andere Autoritäten beriefen. Paulus, der Gründer, war unter den Autoritäten plötzlich nur noch einer – und noch dazu einer, auf den man nicht mehr so viel gab. Zu unsicher war er als Prediger, zu wenig intellektuell für die gebildeten Gemeindemitglieder. Doch Paulus läßt sich nicht einfach an den Rand drängen. Er versucht, die Perspektiven mit seinen Briefen nach Korinth wieder zurecht zu rücken. Wichtig ist allein – die Liebe, meint er nach endlosen Argumentationen für die Form der Gottesdienste, über das Leben in der Gemeinde und ähnliche Probleme. Darin läßt sich alles, worauf es wirklich ankommt, zusammen fassen.

Und es ist ein großartiges, ja ein einschüchterndes Bild von Liebe, was Paulus hier in diesem Kapitel malt:
13,4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,
13,5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
13,6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;
13,7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Was können wir ertragen, wenn wir mit Menschen zusammen leben und arbeiten? Wo sind unsere Grenzen von Toleranz und Leidensfähigkeit? Alles ertragen? Alles glauben egal wie oft man enttäuscht wurde? Alles erdulden? Na prima! Wovon redet Paulus denn eigentlich? Nimmt der das auch ernst, was er hier von sich gibt? Ist denn das überhaupt möglich?

Vor etlichen Monaten habe ich mal eine Vorlesung erwähnt, die ein schwedischer Bischof über Paulus und die Gemeinde in Korinth gehalten hat. Der hat dieses 13. Kapitel, das andere „Hoheslied der Liebe" nennen, als die große Verlegenheitslösung bezeichnet. In dem Moment, wo Paulus mit seinen Argumenten nicht mehr weiterkommt, dann holt er die Liebe raus, um jegliche Debatte abzuwürgen.

Ich fand das damals Klasse. Liebe als Verlegenheitslösung! Doch je länger ich lebe, desto größer wird bei mir die Sehnsucht danach, wirklich so bedingungslos lieben zu können, mich selbst und dann auch andere. Immer wieder ertappe ich mich dabei, in Beziehungen immer wieder die gleichen Fehler zu machen wie früher schon. Immer mehr komme ich mir vor wie Phil der Wetterfrosch in einem immer wieder kehrenden Kreislauf von Wiederholungen der wiederholten Wiederholungen. Doch es ist schwer, den Ausweg draus zu finden. Und wahrscheinlich liegt es eben daran, daß ich im Umgang mit anderen Menschen und mit mir selbst eben doch nicht alles erdulde und glaube, sondern daß das angeborene Mißtrauen mich immer wieder Dinge hinterfragen läßt, die dessen gar nicht bedürfen. Und immer wieder versuche ich mich eben auch besser darzustellen, als ich wirklich bin, blähe ich mich auf zu etwas, was nur einem Zerrbild von mir entspricht.

Am Ende, so meint Paulus, wenn wir mit unserer Schauspielkunst, mit unserem Wissen, mit unseren glänzenden Fähigkeiten an die Grenzen stoßen, dann bleiben eigentlich nur drei Dinge übrig, die uns halten können: Glaub, Hoffnung und Liebe. Der Glaube, daß mein Leben in all seiner Unvollkommenheit, in all seiner Schäbigkeit eben doch gut und sinnvoll ist, weil Gott mich so angenommen hat und liebt. Die Hoffnung darauf, daß dieses Leben und unsere ganze Welt sich zum besseren ändern wird. Und eben die Liebe. Die Liebe, die mich die Schwächen anderer etragen läßt und die andere dazu bringt, mich selbst mit meinen Macken anzunehmen. Die Liebe, die mich gegen jede Vernunft auf das Gute im anderen vertrauen läßt. Die Liebe, die mich dazu antreibt, Menschen zu helfen und ihnen nahe zu sein, auch wenn ich selbst mich oft einsam und verlassen fühle.

Und das ist in dieser Welt das Wichtigste und Größte meint Paulus. Und das ist wirklich nicht das theologischen Totschlagargument oder die große Verlegenheitslösung – das ist eine Erfahrung aus langen Lebensjahren, die Paulus hier ausspricht.

Amen.