Predigt zum Open-Air-Gottesdienst am 20. Juli 2008 vor der "Linie 1" über 1. Petrus 4,7-11

1. Petr 4, 7-11
4,7 Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet.
4,8 Vor allen Dingen habt untereinander beständige Liebe; denn »die Liebe deckt auch der Sünden Menge« (Sprüche 10,12).
4,9 Seid gastfrei untereinander ohne Murren.

4,10 Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
4,11 wenn jemand predigt, daß er's rede als Gottes Wort; wenn jemand dient, daß er's tue aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allen Dingen Gott gepriesen werde durch Jesus Christus. Sein ist die Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Ihr Lieben,
als wir vor drei Jahren mit dem Drachenbootfahren begonnen haben, wollte ich eigentlich einen anderen Kampfschrei etablieren: Tut Buße! Das klingt brutal und bezieht sich gleichzeitig auf die Predigt von Jesus und auch von seinem Vorläufer Johannes dem Täufer. Jesu erste Predigten – so wie sie Markus am Beginn seines Evangeliums überliefert – ließen sich in dem Satz zusammenfassen:
„Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an die frohe Botschaft!"
Doch das tut Buße klingt einfach nur plakativ. Und so bin ich im Nachhinein froh, dass sich der andere Spruch „Ryckwärts im Namen des Herrn" durchgesetzt hat. Das zeigt: wir sind nicht alleine unterwegs. Wir sind auch nicht nur aus Freundschaft und Spaß am gemeinsamen Sport auf dem Wasser. Nein: wir sind im Namen und im Auftrag Gottes bei der Sache. Und wir wollen den anderen Mannschaften genau das schmackhaft machen. Und sie nicht niedermachen als sündige oder irgendwie veränderungsbedürftige Personen. Denn genau das sind wir ja genauso.
In diese Falle der Arroganz bin ich in den letzten Wochen hineingetappt. Und es hat ne Menge Gespräche gebraucht, bis ich das wirklich kapiert hab. Nicht anderen vorwerfen, was man selbst nicht wirklich und immer richtig macht. Balken und Splitter – um die letzte Predigt in Erinnerung zu rufen.
Das Ende ist nahe – brauchen wir eigentlich noch so einen Spruch?
„Die Welt geht bald unter", verkünden noch heute Jehovas Zeugen an unserer Haustür. „Christus wird dann wiederkommen", ergänzen Neuapostolische und streng Evangelikale Christen. „Alle Toten werden aus ihren Gräbern auferstehen", fügen manche fundamentalistisch gesonnene Christen hinzu.
Weltuntergang, Wiederkunft Christi, Allgemeine Totenauferstehung, Jüngstes Gericht, Anbruch des Reiches Gottes – das alles verbinden Christen mit dem Satz unseres Predigt – Textes „Das Ende aller Dinge ist nahe gekommen!" Wie gehen wir mit diesen Szenarien um? Schieben wir sie als überholte Vorstellungen bei Seite? Oder halten wir an ihnen fest, – sei es im direkten oder im übertragenen Sinn? Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich uns vier Szenen vom Weltende vor Augen führen:

1. Szene: 1963 Mont Blanc: Tausende von Jehovas Zeugen drängen in die Seilbahnen zum Mont Blanc. Sie wollen den genau datierten Weltuntergang von der Mont Blanc – Spitze aus kniend und betend erleben. Steinreiche Manager und Ärzte haben all' ihren Besitz verkauft oder verschenkt, weil sie Jehova entgegen schweben wollen. Die Seilbahnschaffner werden verrückt von der Ekstase und Psychose der Endzeit-Pilger. Drei Tage verharren sie in der Kälte auf der Bergspitze. Dann kehren sie deprimiert zurück. Ihr Glaube an das Weltende hat sie abgehalten, weiterhin sich in der Welt einzurichten und Gutes zu tun.
2. Szene: 1525 (Ein Sprung zurück ins 16. Jahrhundert) Mühlhausen / Frankenhausen: Thomas Müntzer und seine Anhänger wollen mit Lanzen und Hellebarden für ihre berechtigten Bauern-Rechte kämpfen. Völlig unterlegen rücken sie gegen die gut geharnischten Truppen der Fürsten vor. Plötzlich sehen sie einen riesigen Regenbogen: das Zeichen für den Anbruch der Endzeit und für ihren unweigerlichen Sieg. Sie rücken vor. Das Resultat kennen wir: Tausende Bauern werden durchstochen und ermordet. – Thomas Müntzers Glaube an den Anbruch der Endzeit hat seine Revolution beflügelt und ihn abgehalten, Frieden und Versöhnung zu suchen.
3. Szene: 1525, gleiches Jahr, Wittenberg: Albrecht Dürer hat einen eindrucksvollen Kupferstich geschaffen „Die apokalyptischen Reiter". (Einige von uns kennen das Bild!) Er war, wie viele seiner Zeitgenossen überzeugt, dass 1526 das Weltende anbrechen wird. Viele (natürlich nicht alle) glaubten an eine Feuersbrunst und an ein Verglühen alles Lebendigen. Dürer ließ sich dadurch von seiner Arbeit nicht abhalten. Er schuf weiterhin großartige Bilder und er betätigte sich, wie wir wissen, sehr sozial. – Martin Luther wusste ebenfalls vom Weltuntergangs-Datum 1526. Wie ernst er es nahm, wissen wir nicht. Aber sein Verhalten war typisch: Er heiratete im Herbst 1525 – trotz Weltuntergang. Und er äußerte „Und wenn ich sicher wüsste, dass morgen die Welt untergehen wird, so würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen." Gut, es ist nicht ganz sicher, ob dieser Satz von ihm stammt. Aber er passt zu seiner Einstellung!
4. Szene: Anno 90 nach Christus (ich schreite also noch weiter zurück), Palästina: Junge Christen werden brutal angegriffen, weil sie das Kaiser-Bild nicht anbeten, weil sie dem gekreuzigten Verbrecher Jesus von Nazareth als auferstandenem Christus mehr vertrauen und weil sie an ein bevorstehendes Weltende glauben. Sie erhalten in ihrem Leiden Trost durch einen Brief, den sog. 1. Petrus-Brief. Darin wird ihnen bestätigt, dass die Endzeit irgendwann anbricht und Christus wieder kommen wird. Aber auf eine terminliche Festlegung verzichtet der Briefautor. Und noch deutlicher: Er verbietet jegliche Weltflucht, z.B. auf einen Mont Blanc; und er verbietet jegliche Revolution im Angesicht des Weltendes (wie in Frankenhausen). Im Gegenteil: Er fordert die Christen auf, Liebe üben, zum Dienst bereit zu sein und Gäste aufzunehmen (was aufwendig war und viel kostete), so als ob kein Weltende bevorstünde. Ja, er fordert sie auf, auch ihren Peinigern mit Liebe und nicht mit Gewalt zu begegnen. – Das bevorstehende „Ende aller Dinge", so der Briefautor, sollten sie als Grundlage sehen, Gutes zu tun und nicht zu fliehen. „Übt Liebe!", ruft er ihnen zu, „so wie auch Christus vor seinem Ende Liebe geübt hat. Ihr habt schon Gottes Versöhnung und Liebe erlebt. Nun versöhnt auch ihr euch und übt Liebe, – bis Gottes Reich der Liebe endgültig anbricht."

Petrus geht es nicht um unsere vorläufigen und zweitrangigen Ziele. Es geht ihm nicht um unsere familiären, wirtschaftlichen, nationalen und globalen Ziele. Nicht einmal kirchliche Ziele hat er hier im Blick. Es geht ihm um die Ziele Gottes, um das Ziel, das Gott mit dieser Welt und uns Menschen hat. Und das Hauptziel Gottes ist, dass Gott und Menschen in einer liebevollen Gemeinschaft zusammen sind. Gott liebt die Menschen – und daher (so bitten wir im Vater unser): Dein Reich komme. Und daher predigen und paddeln wir, um möglichst viele Menschen darauf hinzuweisen. Diese Welt wird an ein Ziel kommen. Sie soll an ein Ziel kommen. Vielleicht nicht heute und morgen früh.
Aber es gilt, sein Leben diesem Ziel gemäß auszurichten. Nicht Untergangspredigt, nicht völlige Flucht aus der Welt in die heilige Einsamkeit (der Wink war jetzt für mich selbst bestimmt) – nein: Liebe und Gemeinschaft und Dienst sollen ganz im Mittelpunkt stehen.
Liebe als eine Laune des Augenblicks, Liebe als vergängliche Stimmung und vorübergehendes Gefühl, Liebe als schnell gekränkte Eitelkeit, die sich nach ernsthaften Belastungsproben bald zurückzieht, das ist nicht die Liebe, die von Gott kommt und in seinem Sinne ist. Das ist nicht mehr als eine Zerrform göttlicher Liebe.
Unsere Liebe ist herausgefordert, an Gottes Liebe Maß zu nehmen.
In Jesu Leben und Wirken entdecken wir, dass seine Liebe nicht lediglich die ohnehin Glänzenden, Gesunden, Erfolgreichen und Strahlenden umfasst, sondern bevorzugt die Schwachen, Kranken, Behinderten, Ausgestoßenen, Gescheiterten, ja sogar seine eigenen Gegner, die seinen schmachvollen und schmerzlichen Tod am Kreuz gefordert und veranlasst haben. In Jesu Tun sehen wir, wie Gottes Liebe nicht das ohnehin Bewundernswerte liebt, sondern das Liebenswerte durch seine Zuwendung gar erst schafft.
SEID GASTFREI UNTEREINANDER OHNE MURREN!
Jesus war auf seinen Wanderungen durch Palästina zusammen mit seinen Jüngern auf die Gastfreundschaft von Menschen angewiesen, ebenfalls die Christenheit der ersten Jahrhunderte, in denen es noch keine Kirchbauten gab, sondern Gottesdienste in den Privatwohnungen stattfanden.
Gastfreiheit gehörte damals und gehört auch heute noch in den Gegenden der ersten Gemeinden zur grundlegenden Kultur. Wenn Menschen unterwegs sind, dann sollen sie nicht draußen vor der Tür bleiben, den Gefahren und der Witterung ausgesetzt, dann sollen sie ohne Vorbedingungen Schutz und Unterkunft finden. Murrt nicht – macht einfach die Tür auf, wenn jemand klingelt.
Und dann die anvertrauten Gaben, die Perlen, die Ingo in dem Motto angesprochen hat. Das muss nix außergewöhnliches sein, kein Jahrhunderttalent ist gefordert. Sondern ganz alltägliche Dinge, auf die wir vielleicht gar nicht immer achten. Petrus nennt das Predigen. Das kann nicht jeder. Nicht weil er zu dumm wäre. Aber manche finden so leicht nicht die richtigen Worte, trauen sich nicht, vor einer größeren Gruppe zu sprechen. Aber der Apostel weist genauso auf dem Dienst am Mitmenschen hin. Und der kann vielfältig sein. Hier findet jeder seine passende Ecke.
J.F. Kennedy hat einmal gesagt: "Frage nicht, was der Staat für dich machen kann. Frage, was du für den Staat tun kannst." Diesen Satz können wir im Sinn des Petrus so abwandeln: "Frage nicht, was die Gemeinschaft, die Freibeuter, die Gemeinde der Gläubigen für dich machen kann. Frage, was du mit deinen Gaben für die anderen tun kannst." Das wirkt anziehender als jeder noch so gute Flyer. Doch das geht eben nur, wenn man sich für die Probleme der anderen öffnet und sich nicht zurückzieht.
AMEN