ich schaffte es, vor die tür zu gehen, irgendwie, fuhr nach wieck, schleppte mich auf die hölzerne brücke, alles schwankte, und ich rauchte mit brennenden und zittrigen beinen eine zigarette, schmiß den kippen ins wasser und unter wildem geschrei und gekreische stürzten sich möwen und enten auf den kippen, nur um ihn auf die schnelle in der nächsten sekunde zerflettert wieder auszuspeien, den rest ab und an noch mal mit dem schnabel anzustupsen, um gleich darauf wieder abzudrehen. doch dieses geschrei zog unmengen von weiterem federvieh an, und plötzlich hockten 16 möwen neben mir auf dem brückengeländer, warteten darauf, daß ich mir was neues, nächstes in den mund stecke und es im anschluß ins wasser werfe, um sich dann mit geschrei auf etwas hinabzustürzen, das ihnen nicht bekommt. 

bescheuert wie wir menschen, dachte ich.
ein rotweißgestreifter kater lag kopfabgewandt auf einem nebenbalken der brücke und schaute mich nach dem klacken meines feuerzeuges jedesmal an, um mir kurz darauf wieder seinen dicken nacken herzuzeigen. ich klackte ein paarmal einfach so, solange bis er nicht mehr reagierte. den nächsten kippen drückte ich mir unter meiner schuhsohle aus, schaute zu den möwen, immer noch 16 mösen. ich korrigierte mich sofort in meinem kopf: quatsch. möwen. möwen, die darauf warten… wie kommt mein gehirn automatisch in gedankenwortbildung auf mösen? möwen! möwen! aber es bringt ja in letzter zeit ständig was durcheinander, in der zeitung steht was in der überschrift von einem neuen spielplatz und ich lese im ersten moment neuer striptease… krieg erst viel später mit, daß striptease spielplatz ist, mein gehirn erkennt und liest statt spielplatz striptease, übersetzt mir spielplatz in striptease…was ist bloß mit mir? 
mit meinem verschwommenen schleierblick schaute ich noch einmal zu den möwen, sah zwar alles irgendwie deutlich aber doch auf eine merkwürdig verschleierte art.16 stück, die mit einem auge auf mich schauten, die mir jeweils ein auge hinterherdrehten. 16 möwen, die ein auge auf mich warfen.
als ich vorhin auf der brücke angekommen war, leistete mir nur eine möve auf einem der stützbalken gesellschaft, und sie hatte ihr sichtbares auge nach dem gedreht was ich tat, und irgendwie schien es, als könnte sie so ohne weiteres auch nach hinten schauen. jedesmal wenn ich zur katerseite wechselte, nahm sie mit stierem einäugigem blick alles an mir wahr, und noch bevor ich aufgeraucht hatte, überkam mich die angst, sie würde mir, während des ziehens an der zigarette, den kippen schon beim rauchen klauen. 
16 möwen, die mir jeweils ein auge hinterherdrehten, die mir alle mit nur einem ihrer augen hinterherblickten, aufgereiht auf dem geländer, von vorne bis hinten, und die letzte blickte auch. ich machte, daß ich wieder zurück in meine bude kam.
ich wußte, vor die tür zu gehen, sollte einem menschen gut tun, doch ich schaffte es in den nächsten wochen nicht, las überschriften in der zeitung und meine frau übersetzte sie mir später nach ihrer heimkehr am abend. die von mir gelesene ’Expertenschlampe’ wurde so stunden später zu ’expert Schauer’, ’Ochsenlose Hetze zwergt im Schlaf’ wechselte zu ’Kostenlose Parkplätze direkt vor dem Markt’, ’Pöbel im Schand nicht in den Schmant’ wurde zu ’Möbel nicht direkt an die Wand…’, ’gröliches Feilen!’ zu ’Auf zum fröhlichen Teilen!’, ’Joker um das Volksernst Bording kniet im Euro’ zu ’Poker um die Volkswerft: Nordic bietet nur 1 Euro’. 
am nächsten abend wurde aus ’In Klinken in der Wüste werden Monumente schlapp’, ’In Kliniken an der Küste wird lebenswichtige Medizin knapp’ und meine frau zeigte mir das zum text gehörige schräg hineinmontierte foto, auf dem eine mit hellgrüner flüssigkeit gefüllte spritze abgelichtet war. ich sah sogar einen dicken tropfen oben aus der nadel quellen.
dann wurde aus ’Streichelliste der Stadt: …’ ’Streichliste der Stadt: Wie viele Einschnitte verkraftet die Kultur?’, und meine frau erklärte mir, worum es ging. aus ’Fenster Splint’ wurde ’Der Rentner-Prinz’, und statt ’Ab in die Tüte!’ übersetzte meine frau für mich ’Ab in die Hütte!’, aus ’Neujahrsimpfung der Unimedizin’ wurde ’Neujahrsempfang der Unimedizin’, aus ’Strafanaziege: Edathy will Auflösung der Ermittler…’ wurde ’Strafanzeige: Edathy will Ablösung der Ermittler – Die SPD leitete ein Verfahren zum Parteiausschluss des früheren Bundestagsabgeordneten ein.’ 
dann, am nächsten tag, las ich: ’42 Führerscheine zogen sie ein. Überraschend: 38 Jahre ohne Führerschein…, das gibt doch gar keinen sinn, stöhnte ich verwundert, doch richtig hieß es ’38 Fahrer waren unterwegs ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein.’, ’10 000 Soldaten bei Brand in Asylbewerberheim’, wechselte unter der hilfe meiner frau zu ’10 000 Euro Schaden bei Brand in Asylbewerberheim’ und aus ’Alle vier Wochen fehlt jeder zweite Zug!’ wurde ’Vier Wochen fehlt jeder zweite Zug: Bahn streicht IC Rostock-Stralsund’ und ’Ohne Mohn kein Lohn’, blieb ’Ohne Mohn kein Lohn’ mit dem unterzeiligen headbanger: Opium-Anbaufläche in Afghanistan auf neuem Rekordhoch. Einst war Afghanistan berühmt für seine roten Granatäpfel und den strahlend blauen Schmuckstein Lapislazuli. Heute nennt man das Land in einem Atemzug mit „schwarzer Afghane“ und weiß blühendem Schlafmohn, aus dem…
auf dem tisch lag seit tagen ein buch mit dem fett gedruckten titel: Biodrama abgrenzen und meine anbei sitzende frau fragte mich: „hast du denn nun die stelle schon gelesen?“
„welche stelle, was meinst du?“
„wo ich den zettel reingelegt habe ins buch.“
„welches buch?“
„psychopharmaka absetzen“ und sie gab mir das buch mit dem blauen, etwas herausschauenden zettel in die hand. das buch war schwer, und ich korrigierte mit ihrer hilfe Biodrama abgrenzen zu: Psychopharmaka absetzen
Erfolgreiches Absetzen von Neuroleptika,
Antidepressiva, Phasenprophylaktika,
Ritalin und Tranquilizern
4., aktualisierte und erweiterte Auflage
und oben drüber stand: Peter Lehmann und in klammern hinter dem namen (Hg.)
„nein, hab ich mich noch nicht getraut, aber in den nächsten tagen mach ich das, ich trau mich irgendwann ran.“ und auf dem cover war ein seitliches schattenkopfprofil, das den mund aufspitzte und aus einem dunklen haufen flogen bunte pillen zu dem auf-gespitzten, oder war es doch ein zu-gespitzter, mund. aber wenn er zu gewesen wäre, wäre der haufen doch vor seiner brust, ein haufen, ganz neu aufgehäuft und dunkel vor seiner brust. zwei haufen, die sich gegenseitig aufwarfen, sich je nach spitze richtig spitzten… 
„süße, hier steht fettgedruckt ’Edward Snowden soll Ehrendoktor der Universität Rostock werden’ und da drunter steht unfett ’Fakultät prüft Verleihung des Titel an den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter.’ kannst du mir das auch mal übersetzen, ich les hier einen scheiß zusammen.“
meine frau schaute. „ist richtig, mein schatz, steht da so, hast du richtig gelesen.“
„der snowden? der die ganzen überwachungsdaten vom amerikanischen geheimdienst und so verraten hat?“
„ja, der.“
„der kommt dann auf eine liste und in reihe mit dem bundespräsidenten gauck, albert einstein, max planck und fritz reuter und dem flugzeugingenieur heinkel? ernst, glaub ich, hieß er, der flugzeugbauer, der heißt mit vornamen ernst. meinen die das im ernst mit dem snowden?“
„jedenfalls hast du richtig gelesen, genauso steht es hier“, sagte meine frau.
„fritz reuter hat auch mal im knast gesessen“, sagte ich.
„edward snowden sitzt aber nicht im knast“, antwortete meine frau.
„der sitzt in moskau fest, und hier unten steht: Dass Snowden seine Urkunde selbst entgegennimmt, ist unwahrscheinlich. Das könnten ja Angehörige übernehmen, sagt Hans-Jürgen Wensierski. Einen Draht zu Snowden nach Moskau gibt es nicht. und weiter oben steht: …und hat mit der Universität Rostock bisher gar nichts zu tun. und der bildungsminister brodkorb meint dazu, daß der snowden unbestreitbar eine person mit einem außergewöhnlichen maß an zivilcourage sei, und ehrendoktorwürden würden gewöhnlich für wissenschaftliche verdienste vergeben, steht hier auch irgendwo, aber fritz reuter war doch kein wissenschaftler, der hat doch nur platt gedichtet, hier steht, die ehrenpromotion wird erst geprüft, ich hack das hier mal auseinander, kann mir das nicht alles durchlesen. aber das war doch kein wissenschaftler, der plattdeutschdichter, oder süße?“
„weiß nicht, glaub eher nicht.“
„der war im knast und gesoffen hat er auch. und in stolpe an der peene war doch sein saufsitzplatz, da in der kneipe an der fähre, ist auch beschriftet, ich weiß aber nicht mehr so genau ob auf der sitzbank oder auf dem tisch, das weiß ich jetzt nicht mehr, da haben wir doch damals, als wir dort waren, gesagt, guck mal, hier hat er auch gebechert.“
„ja, in stolpe war das“, bestätigte mir meine frau.
„hoffentlich bringen sie den nicht noch um.“
„wen?“
„na snowden.“
„warum sollten sie?“
„na, so aus rache, wegen geheimnisverrat innerhalb eines geheimdienstes, oder in dem fall außerhalb eines geheimdienstes wegen seiner flucht als ehemaliger geheimdienstmitarbeiter und geheimnisträger und verräter.“
„war doch keine schlechte sache.“
„sag ich doch gar nicht.“
„die stasi gibt’s nicht mehr“, hörte ich meine frau.
„stasi, das hat damit gar nichts mehr zu tun“, sagte ich und überflog vor mich hinsprechend weitere schlagzeilen: „Restspiele locken mehr als 10000 Konverter – Bohrverlauf verrinnt“, „falsch!“, schaute mir meine frau über die schulter, „Festspiele MV locken mit mehr als 100 Konzerten – Vorverkauf beginnt, steht da.“
ich blickte zur ablenkung meiner augen noch einmal zu dem buch, auf dem die bunten flecken auf dem cover wie kleine kugeln wirkten. zielten die pillen auf mich? sollte ich es deshalb lesen? 
ich blätterte die zeitung um.
„hör mal“, forderte ich, „Babuschki“-Oma mit Opiumfackel unterwegs, das kann ja hier wohl auch nicht stimmen, das ist ja wohl nicht wahr, oder? Babuschki-Oma mit Opiumfackel, kann doch nicht stimmen.“
meine frau schaute, „nein stimmt auch nicht, hast du falsch gelesen, hier steht Babuschki-Oma mit Olympiafackel unterwegs.“ 
„ach so, und ich dacht schon… und wie geht’s weiter? lies mal vor.“
„dann gib mal her, die zeitung“, und sie las:
„Ischewsk – Galina Konewa (75),
Mitglied der russischen Oma-
Band Buranowskije Babuschki
vom Eurovision Song Contest
2012, war als Fackelträgerin für
die Olympischen Spiele in Sotschi
unterwegs. Die Sängerin trug in ih-
rer Heimatregion Ischewsk das
Feuer für die Wettkämpfe einige
hundert Meter. „Ich habe täglich
trainiert“, sagte die Senorin stolz.“
es hörte auch in den folgenden wochen nicht auf. ich las:
„KATZOW: Pumpa pinkelte Mädchen an
Achtjährige leidet an Folgen“
stundenlang zerbrach ich mir den kopf darüber was pumpa bedeutet, was sollte das sein, ich kannte nur pumpernickel, aber die waren doch zum essen, erst viel später, kurz bevor meine frau nach hause kam, schnallte ich, daß dieses ’pumpa’ ein ’puma’ war. aber in katzow? in dem nest hier gleich um die ecke? in katzow im skulpturenpark? ein puma in katzow? oder doch auf der dort etwas außerhalb gelegenen, mehrere hektar großen wiese mit den kunstinstallationen?
„…wurde von einem Puma durch den Käfig hindurch anuriniert. Daraufhin bekam sie Ausschlag. Noch heute leidet sie an den Folgen“, las ich mir halblaut und langsam vor.
ich hangelte mich zur im artikel angekündigten seite 13 durch, sah auf einem foto ein mädchen mit plüschtier in einem bett des klinikums, las von ihrem fieber, hörte auf zu lesen, und mir war, als fieberte ich auch. hirnfieber? und sowieso war mir der artikel viel zu lang. 
stattdessen hieß ’DEUTSCHLANDHAFT IN DER KRITIK’ eigentlich ’DACHLANDSCHAFT IN DER KRITIK’, ’Weihnachtsmärkte scharf beschriftet’ hieß richtig ’Weihnachtsmärkte falsch beschriftet’, und als ich las: ’Rettung für Greifswalder Bandendenkmal’, wollte ich nicht mehr wissen, wie es wohl richtig heißen möge und was sich hinter meinem falschen lesen verbarg.
tage später setzte ich erneut an:
Toter am Woblitzsee: Radler reißt
Mann 62 Meter in die Tiefe
„wie soll das gehen? wie kann ein radler einen mann 62 meter tief in den see hinabreißen? wie ist das möglich?“ ich las noch einmal langsam und sorgfältig, so konzentriert in meinem zugestelltsein wie es mir nur möglich war, versuchte all meine konzentration in bestmögliche lesekraft zu bündeln:
Toter am Woblitzsee: Radler reißt
Mann 62 Meter in die Tiefe
ich schaute mir mit zusammengekniffenen augen das dazugehörige foto an und versuchte details zu erkennen, sah versammelte rettungskräfte am holzsteg zwischen den hochgewachsenen seegräsern am ufer.
„das geht doch gar nicht, radler reißt mann 62 meter in die tiefe! wie soll das gehen?“
ich las die zeilen unterm foto: Rettungskräfte können nicht mehr helfen… meine augen eilten in den artikel, überflogen ihn, entdeckten den satz: Bei dem Verunglückten handelt es sich um den erfahrenen Chef einer Wasserbaufirma…
„unglaublich, das geht doch gar nicht, und dann noch ein erfahrener wasserbaufirmachef, der boss der wasserbaufirma. und der läßt sich von einem radler in die tiefe des sees reißen?“
ich betrachtete abermals das foto, las erneut die zeilen unterm bild: Rettungskräfte können nicht mehr helfen: Ein Radlader rutschte in den See bei Neutstrelitz, der 62-jährige Fahrer starb. Foto: Susan Ebel
zwischen foto und artikel prangte die fette überschrift:
Toter am Woblitzsee: Radlader reißt
Mann (62) in die Tiefe
war das nun richtig? hatte ich das jetzt richtig gelesen? meine frau würde es mir sicherlich am abend sagen. vielleicht auch den artikel vorlesen, wenn ich sie darum bat. 
mir war als platzten mir kopf und gesicht einschließlich lippen und augen. der druck verstellte mir mein sehen und auch die zähne waren versucht, sich aus mir herauszusprengen. 
„ich bin kaputt“, presste ich aus mir hervor, war bemüht die zeitung loszuwerden, bemüht, an nächsten tagen keine neue aufzuschlagen, bemüht, sie weder anzuschauen noch anzufassen. am abend aber lauschte ich meiner frau:
Toter am Woblitzsee: Radlader reißt
Mann (62) in die Tiefe
Neustrelitz – Bei einem Arbeitsunfall auf dem Woblitzsee in Groß Quassow (Kreis Mecklenburgische Seenplatte) ist gestern ein 62-Jähriger ums Leben gekommen. Wie ein Polizeisprecher sagte, ereignete sich der Unfall bei Arbeiten an einem Bootsteg. Bei dem Verunglückten handelt es sich um den erfahrenen Chef einer Wasserbaufirma unweit von Neustrelitz. Das Unglück ereignete sich am Zeltplatz beim Einrammen von Pfählen. Dazu sei ein Radlader auf einem Ponton genutzt worden. Als das unbesetzte Fahrzeug drohte, von der Plattform zu rollen, sei der Mann aufgesprungen, um die Handbremse zu ziehen. Das Baufahrzeug sei aber in den See gestürzt und habe den Mann unter Wasser gerissen. Taucher bargen die Leiche. An der Unglücksstelle ist der See drei bis vier Meter tief.
in den nächsten jahren gab ich es auf, die zeitung lesen zu wollen, blätterte nur noch ein bißchen drin rum, keine überschrift ergab mehr einen sinn, ich sah falsche bilder und konnte nicht vergessen, daß ich das einmal konnte, lesen, bilder anschauen, und ich heulte in mein unerträgliches empfinden hinein, in die psychopharmakazerstörung meines hirns, in die durch neuroleptika und benzos verursachten rezeptorenveränderungen, und ich gab endgültig auf.

UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 106