Matthäus 06,25-34 – Sorgen und Vertrauen – Predigt am 31.09.2008 in Stralsund
6,25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
6,26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
6,27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
6,28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
6,29 Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
6,30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
6,31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
6,32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen bedürft.
6,33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
6,34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.
Ach Jesus,
das sagt sich so einfach: Sorgt nicht! Weißt du denn eigentlich, was mir jetzt so alles durch den Kopf geht? Wird das Geld reichen für den nächsten Monat? Wird der Auftrag kommen, um den wir uns beworben haben? Wie soll das neue Schuljahr werden? Werde ich alles schaffen, was von mir verlangt wird?
Es sagt sich so einfach: Sorgt nicht. Doch in mir ist oft vor Sorgen nichts mehr anderes zu spüren.
Es gibt, wenn man über Sorgen nachdenkt, drei grobe Positionen, die man einnehmen kann – und das will ich nun tun!
Sorgenvoll
Können Sie einfach mal spaßeshalber eine sorgenvolle Miene machen? Oder eine Geste, die ausdrückt, wie es einem geht, der sorgenvoll ist. Sie wissen, was die Kunst von Schachspielern ist? Sie grübeln darüber nach, was passieren kann – wenn ich das mache, welche Möglichkeiten hat der Gegner, was ist dann wenn der anders reagiert, als ich gedacht habe, dann kann ich dies und das tun?
Menschen, die sorgenvoll sind, tun das ständig. Sie grübeln, was passieren kann, und was man dann noch tun kann, wenn dies und das und jenes doch passiert, auch das unwahrscheinlichste. Das kann noch 8 Spielzüge entfernt sein, so weit wie die Pubertät von der letzten Windel, aber – was wird nur werden.
So wie Schachspieler! Schach ist Sport, Denksport und Leistungssport und kostet viel geistige Energie und Kraft. Ebenso viel Kraft und Energie kostet es, sorgenvoll zu sein. Das grübeln über das, was geschehen kann, bindet meine Kraft und Energie, bindet meine Konzentration weg vom Heute auf den morgigen und übermorgigen Tag – weg vom Menschen der vor mir steht, zum Menschen, der mir heute Nachmittag begegnen wird. Sorgenvolle Menschen schauen einen meistens nicht an, sondern an einem vorbei oder merkwürdig durch einen durch.
Sorgenvolle Menschen sind in Gedanken meistens woanders und deshalb passieren ihnen im heute und jetzt Flüchtigkeitsfehler und eben diese Erfahrung – mir muss das immer passieren! bestätigt sie in der Gewissheit, dass viel in die Hose und daneben gehen kann und sie werden umso sorgenvoller in den nächsten Tag gehen.
Sorgenvoll zu sein ist ein Teufelskreis der Ängste und Sorgen, die meine Konzentration und Ruhe raubt. Meine Möglichkeit der Begegnung und der Liebe raubt.
Stell dir vor, dass du sehr traurig oder besorgt bist… So in der Situation gefangen, dass schwer zu sehen ist, wie sie sich ändern könnte. Je mehr du unternimmst, damit es dir besser geht, desto mehr wächst das Gefühl in dir, dass es dir schlecht geht. Du kannst dir selbst vorwerfen, dass du niedergeschlagen bist, und du kannst mit Hilfe deiner Vernunft dafür argumentieren, was du tun müsstest. Aber es hilft nichts.
Da kommt dann eine wohlmeinende Person und hört, wie es einem geht. "Du brauchst nicht traurig zu sein!" sagt die Person. "Denk daran, wieviel Grund du hast, froh zu sein. – Du brauchst dich nicht zu sorgen. Es wird schon alles gut gehen." Manchmal hilft das ein wenig, besonders wenn man sich irgendeiner andern Sache annimmt als der Besorgnis und Trauer. Aber in der Regel sind derlei Bemerkungen genauso verstörend wie unbrauchbar, wie sie wohlgemeint sind. Denn wie kann man anders sein, wenn genau das das Problem ist, dass man nicht anders sein kann als so, wie man offenbar nicht sein darf. Der gute Rat ändert selten etwas, weil er ja nicht anerkennt, wie es einem geht.
Es ist schwer, sorgenvoll zu sein. Ich weiß es, weil ich selbst viel zu oft zu den sorgenvollen Menschen gehöre.
Zweiter Standpunkt in dieser Frage: Sorglos
Wie wunderbar wäre es doch da, sorglos zu sein! Sorglosigkeit – ist es nicht das, was Jesus meinte, als er sagte: Sorgt euch um nichts! Ich sage es unumwunden – nicht nur nach den aktuellen Eindrücken der Unglücke in Bayern und im Emsland: Sorglosigkeit ist nichts als ein Zustand der Dummheit und dreister Selbstüberschätzung.
Liebe Seele, sei unbesorgt, ich habe ausgesorgt, das sagte der reiche Kornbauer zu sich selbst am letzten Abend seines Lebens. Scheunen voll und Herzen leer – ausgesorgt? Sorglosigkeit ist der Zustand der Dummheit und dumm redet die Sorglosigkeit auf andere ein: Don't worry, be happy – mach dir doch keine Sorgen, sei ganz unbesorgt.
Das Gehirn kann so einen negativen Befehl gar nicht verarbeiten – der sorgenvolle Mensch hat die Sorgen ja, er kann nicht einfach aufhören, sie sich zu machen. Das Gehirn kann negative Befehle nicht verarbeiten, sonst könnte man wirklich nicht an rosa Elefanten denken, aber gerade denken Sie daran.
Wir denken in Bildern und Vorstellungen von dem, was geschehen kann. Wir "malen" uns aus, was passieren kann und die Sorglosigkeit ist offensichtlich nur eine weiße Leinwand, während der Sorgenvolle in düsteren Farben sich schon längst alles ausgemalt hat.
Sorglosigkeit ist nicht das Ziel der Dinge!
Der dritte Weg: Sorgfältig!
Man kann kaum etwas mehr genießen, als bei einem Gastgeber eingeladen zu sein, der oder die alles sorgfältig vorbereitet hat – und dabei einige Lücken gelassen hat für all das, was man nicht planen kann. Ein Gastgeber, der Zeit für Gäste hat und nicht nur Angst um den Braten und dass eine Flasche leer auf dem Tisch steht. Einer, der weiß, worauf es ankommt: Sorgfältig das Nötige tun und sich von dem, was kommt, überraschen lassen.
Um was es geht?
Um eine Gelassenheit des Glaubens, die mich sorgfältig das Nötige gut tun lässt und die offen bleibt für Geschenke! Die Zeit hat für Gäste, die immer in Erwartung ist für die Zufälle Gottes.
Zufälle Gottes?
Gibt es das?
Ist das nicht ein Widerspruch? Entweder – so sagen viele, lenkt Gott jeden Schritt, was mich zu einem sorgenvollen Leben veranlassen könnte, hoffentlich nichts falsch zu machen, nicht aus der Spur zu geraten.
Oder alles ist Zufall, dann ist alles egal, das treibt mich in die Sorglosigkeit, der völlig unbekümmert alles egal ist, was ich – sagte ich schon – für ziemlich dumm halte.
Ich wünsche mir, ich wünsche uns eine Gelassenheit des Glaubens, dass es Zufälle Gottes gibt.
Nicht Gottes festen Plan, der steif und unflexibel ist.
Nicht die planlose Welt der Zufälle, die nur den stärksten überleben lässt.
Sondern Zufälle Gottes.
Jesus hat gesagt:
Es wird euch alles zufallen!
Matthäus 6, 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
Jesus breitet ein Stück lebendige Natur vor uns aus. Die Vögel am Himmel, die Blumen- und bunte Blätterpracht. "Sorget Euch nicht – habt Vertrauen", sagt Jesus. Er führt uns das Beispiel der Vögel und der Blumen vor Augen.
Bei dem Beispiel mit den Vögeln liegt der Gedanke an Fliegen nahe. "Nur Fliegen ist schöner", lautet ein Werbespruch, der zum Fliegen einlädt. Fliegen ist Vertrauenssache. Das fordert uns heraus: Sein Leben für einige Flugstunden dem Piloten und der Mannschaft anzuvertrauen, nicht selber am Steuer sitzen, ohne Einfluss und Kotrolle ausgeliefert zu sein, sich den Wolken und dem Himmel zu überlassen.
Jesus sagt: Schön, wer das kann: Sich Gott und seinem Himmel zu überlassen, ganz und gar, mit Leib und Leben ihm vertrauen. "Seht die Vögel unter dem Himmel an, sie sorgen sich nicht". Sie vertrauen instinktiv, mit ihrer ganzen Natur, ihren Flügeln, der Luft, der Strömung. "Trau Dich", sagt Jesus. Hebe ab wie ein Vogel. Schwinge Dich in die Lüfte, leicht und schwerelos. Gott gibt Dir Luft unter Deine Flügel, er gibt Dir Auftrieb, er gibt Dir Schwung und Kraft. Vertraue Dich Gott auf dem Flug Deines Lebens an. Er wird Dich tragen.
Vielleicht haben Sie Angst vorm Fliegen. Dann ist das Beispiel der Vögel alles andere als vertrauenserweckend. Wenn Ihnen ein fester Boden unter den Füßen lieber ist, dann kommt Ihnen das Beispiel der Lilien entgegen.
Auch das schafft Vertrauen: Sich fest und sicher wie eine Pflanze in Mutter Erde verwurzelt fühlen, seine Kraft aus dem Nährboden ziehen, sich entwickeln, entfalten zu voller Schönheit, wachsen, reif werden und Früchte tragen.
"Seid wie Lilien auf dem Felde". Voller Vertrauen in die Kraft ihrer Wurzeln und Stängel entwickeln sie, frei von Sorge, ihre Schönheit. Gott sorgt für sie. Mit den Vögeln und den Blumen steigt Jesus in das Thema "Vertrauen" ein. Vertrauen ist ein anderes Wort für Glauben.
Beim Glauben denken viele zuerst an Dogmen, Bekenntnisse, Gebote und Verbote. Wenn Jesus uns ermutigt, Gott zu vertrauen, dann beschreitet er einen anderen Weg. Vertrauen wird nicht vom Kopf gesteuert. Es bildet sich in unseren Herzen. Es kommt aus dem Bauch, aus unserer Mitte. Es ist dort verankert, wo in unserem zentralen Inneren viel zusammenkommt: Unsere Körpermitte, unser Schwerpunkt, all´ unsere Gefühle, Freude und Schmerz, Wut und Liebe, Himmel und Erde. Dort, in unserer Mitte, will Gott uns tragen und unser Leben wieder ins Gleichgewicht bringen.
"Habt Vertrauen". Jesus spricht eine tiefe Sehnsucht in uns an, nämlich den Wunsch, das Gefängnis der eigenen Angst zu verlassen und zu vertrauen wie ein Kind in den Armen seiner Eltern. Sich geborgen fühlen, getragen werden, die Sorgen loslassen. Alles, was uns belastet, abzulegen.
Vertrauen zu können ist ein Geschenk. Es bringt alle anderen Kräfte in Bewegung, die wir zum Leben brauchen:
Ich entdecke, dass ich einen anderen Menschen liebe. Ich entdecke, dass er meine Liebe erwidert. Ich entdecke, dass ich mutig werde und die "Traute" habe, auf einen anderen zuzugehen. Ich entdecke, dass er auch davon lebt, dass ich ihm vertraue, ihn wertschätze und liebe.
Die tiefste Schicht, in der unser Vertrauen wurzelt, ist Gott vertrauen. "Gott weiß, was Ihr braucht", sagt Jesus. Gott weiß, was ich brauche, sagen Sie das einmal zu sich selbst: Gott, Du weißt, was ich suche- Du weißt, was mir fehlt. – Lass mich tiefer Vertrauen zu Dir finden, meine Lieben, mein Leben, meine Sorgen und Ängste ganz in Deine Hände legen, mich ganz und gar bei Dir geborgen fühlen.
Am Ende soll ein Gedicht des Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch stehen. Er hat es "Psalm" genannt:
Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit
Was macht dass ich so fröhlich bin
In meinem kleinen Reich
Ich sing und tanze her und hin
Vom Kindbett bis zur Leich
Was macht dass ich so furchtlos bin
An vielen dunklen Tagen
Es kommt ein Geist in meinen Sinn
Will mich durchs Leben tragen
Was macht dass ich so unbeschwert
Und mich kein Trübsinn hält
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
Wohlüber alle Welt
(aus: Das Schwere leicht gesagt, Düsseldorf 3/1993, S.45)
AMEN