Ihr Lieben, ich liebe es, zu reden. Am liebsten rede ich belanglose Dinge. Sachen, über die ich oder andere lachen können. Ich liebe es, sarkastische Bemerkungen zu machen. Auch wenn ich damit andere vielleicht verletzen könnte. Ich liebe es. Nur manchmal nicht. Dann nicht, wenn ich selbst betroffen bin. Dann, wenn ich merke: hier bin ich selbst als Mensch, als Freund gefragt.
Wenn von mir ehrliche Aussagen erwartet werden, nicht nur wohlfeile Ratschläge. Denn dann heißt es: Ehrlich sein, die richtigen und nicht nur die lustigen Formulierungen zu finden. Aber Ehrlichkeit, die zwar weh tut – doch nicht verletzt oder tötet.
In den letzten Tagen hab ich ne Menge Folgen von Dr. House gesehen. Ich weiß nicht, wer die Serie kennt. Dieser tablettensüchtige und völlig ungehobelte Typ, dessen Grundgesetz ist: Alle Menschen lügen. Der ist eigentlich ein Weichei, einer, dem es keine Ruhe lässt, den Patienten nicht zu helfen. Auch wenn er über Gott und glaubende Menschen lästert, wenn er den herpeskranken Prediger zusammenscheißt – er will eigentlich nur Recht behalten und damit dem Kranken Gesundheit zu geben.
Und dann lese ich einen Text wie den von Jesaja im 50. Kapitel:
50,4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören.
50,5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
50,6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
50,7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, daß ich nicht zuschanden werde.
Habe ich eine Zunge wie ein Jünger? Kann ich wirklich so reden zur rechten Zeit? Ab und zu sicherlich. Das merke ich hinterher. Dann, wenn mir Freunde sagen: Das war gut, was du gesagt hast. Oder: die Predigt hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht. Oder es gibt einen respektvollen Schulterklopfer am Tresen. Worte zur richtigen Zeit. Worte, die aufrichten und helfen. Dafür braucht es die richtige Zunge, die Zunge wie Jünger sie haben.
Es wäre hier einfach, zu einfach, einfach den Jüngerbegriff aus dem Neuen Testament zu hören. Da sind Jünger diejenigen, die sich von Jesus ansprechen und auf den Weg mitnehmen lassen. Das führt natürlich in die Irre – denn als der Prophet seine Worte sagte, war noch für etliche Zeit nicht an Jesus zu denken. Aber der Grundgedanke ist der Gleiche: Auch die Propheten sind Menschen, die sich von Gott in den Dienst nehmen lassen. Sie stellen das, was Gott sagt, über ihre eigenen Meinungen. Und ganz besonders derjenigen Unbekannte, den die Theologen den „dritten Jesaja“ nennen. Den sie für so wichtig hielten, dass sie seine Sprüche und Reden ins Buch des großen Jesaja einbauten. Auch wenn der zu der Zeit schon hunderte Jahre tot war. Hier ist einer, das spürten sie, der genauso sich völlig auf Gott eingelassen hat. Einer, der seine Gedanken und seine Worte und Taten hinter seinem Auftrag zurücktreten lässt. Und der damit die Worte findet, die zur richtigen Zeit Mut machen.
Nicht einfach: Das wird schon wieder. Reiß dich gefälligst zusammen. Sondern Worte, die nicht billigen Trost verheißen sondern Hilfe anbieten und Hilfe sind. Worte, die Prozesse in Gang setzen und neue Wege zeigen, die man sich auch traut zu gehen. Doch um das sagen zu können, braucht man Ohren. Ohren zu hören, was wichtig ist.
Als ich Konfirmation hatte – vor 29 Jahren fast genau – predigte mein Vater über den gleichen Text. Und als ich jetzt über den heutigen Gottesdienst nachdachte, fiel mir eines aus dieser Predigt wieder ein. Ich erinnerte mich dran, dass da von „Ohren eines Jägers“ die Rede war. Ein Jäger, der im Rascheln des Unterholzes mitbekommt, wenn sich was nähert. Ein Jäger, der aus den kleinsten Spuren eine Geschichte enthüllen kann. Ein Jäger, ein Scout wie bei Karl May. Vor vier Tagen sind die Bösen hier langgeritten, das Pferd hat was schlechtes gegessen und außerdem ist der Geier über dem Platz depressiv. Wundervoll so was. Fast so cool wie Sherlock Holmes. Ohren wie ein Jäger. Im Unbewussten hatte sich das so festgesetzt, dass ich jetzt mehrfach nachlesen musste. Nein – der Prophet redet nicht von Jägern. Er redet von den Ohren eines Jüngers. Aber eigentlich meint er was ähnliches. Wenn auch nicht so kalt wie Dr. House bei einer Diagnose. Nein, sondern eben mitfühlend, vorausschauend, liebevoll und voller Bereitschaft zur Vergebung.
Aber auch dabei muss der Prophet bereit sein, schlechte Neuigkeiten auszusprechen. Und er muss gewiss sein, dass er dafür auch angefeindet werden wird. Hier redet der Prophet davon, dass er sich ein hartes Pokerface zugelegt hat. Hart wie Kieselstein – daran prallen Anfeindungen ab. Schläge und Spott verletzen dann nicht, wenn man wirklich der Meinung ist, das Rechte zu tun. Oder nicht? Ist das, was der Prophet hier sagt wahr – oder ist es eine Schutzbehauptung? Es könnte beides sein. Bei mir wäre es das Letztere. Aber es ist auch egal, wenn es der Botschaft nicht schadet.