Schon die Boogie-Virtuosen wie Albert Ammons oder Meade Lux Lewis spielten vor allem für ein städtisches Publikum der gehobeneren Kreise. Besonders nachdem durch die zwei Konzerte „From Spirituals To Swing“ der Boogie Woogie zur Modeerscheinung geworden war, traten sie vor allem in recht feinen Cafes und Nachtclubs auf. Den Schritt vom rauen Blues des ländlichen Deltas hin zur Musik der großen Stadt hatte allerdings vorher schon Leroy Carr vorbereitet.
Zusammen mit seinem Partner Scrapper Blackwell gehörte der Sänger und Pianist Leroy Carr (1905-1935) zu den erfolgreichsten Bluesmusikern der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Mit seinem lyrischen Stil prägte er den urbanen Blues und wurde Vorbild etwa für Nat King Cole und zahllose andere Pianisten. Eigentlich war er am Klavier nicht wirklich aufregend. Doch seine mit sehnsuchtsvoller Stimme vorgetragenen Lieder, effektiv an der Gitarre von Scrapper Blackwell begleitet, wurden zu den größten Blueshits zwischen den beiden Weltkriegen. „Blues before Sunrise“ oder „How Long How Long Blues“ sind nur die größten von ihnen. Der raue Deltablues war in diesen Nummern nicht mehr zu hören. Hier war ein Blues entstanden, der hervorragend in die großen Städte und in die neue Zeit passte: Es geht nicht um die Arbeit auf den Baumwollfeldern sondern vor allem um die Frauen, bzw. die Probleme mit oder auch ohne sie. Hier war der Blues ganz im Bereich der populären Musik der Zeit angekommen. Carrs Texte waren clever geschrieben und hatten einen oft trockenen Humor. Und seine Kompositionen hatten eine gehörige Portion Swing und waren oft kurz davor, in einen treibenden Boogie auszubrechen. Aber niemals verließen sie die gepflegte und polierte Basis gehobener Untrhaltungsmusik.
Leroy Carr, geboren 1905 in Nashville, brachte sich selbst das Klavierspiel bei und verließ die Schule, um sich einem Wanderzirkus als Musiker anzuschließen. Doch als er 16 war, ging er erstmal zur Armee. Danach lebte er als Klavierspieler bei House Rent Partys, bei Tanzveranstaltungen oder als Begleiter von Sängern. Und wenn da das Geld nicht reichte, brannte er schwarz Whiskey und brachte ihn unter die Leute. Wobei er bald hier zu einem seiner besten Kunden wurde.
Mitte der 20er Jahre schloss er sich mit Scrapper Blackwell zusammen und machte so das Duospiel von Klavier und Gitarre populär. Zahllose Aufnahmen des Duos entstanden trotz der Wirtschaftskrise bis 1935. Doch dann starb Carr an den Folgen seines Alkoholkonsums. Wahrscheinlich hatte er sich eine Nierenentzündung zugezogen. Scrapper Blackwell wurde allein nie wieder so erfolgreich. Er wurde 1962 in Indianapolis in den Rücken geschossen und starb.
Das lyrische Spiel, der zurückgehaltene, ja manchmal schmalzige Gesang – das wurde für viele Nachfolger bis in die Gegenwart zum Vorbild. Etwa für den später als Popsänger zu einem der ersten farbigen Superstars gewordenen Nat King Cole. Auch wenn der sich eigentlich eher als Jazzpianist sah, konnte er seine Wurzeln im Blues nie ganz verleugnen. Und mit seinem lyrischen Spiel auf den Tasten verknüpfte er gekonnt den Blues a la Carr mit dem Jazz und dem Swing der Großstadt.
Auch Swinggigant Count Basie, der auch mit seinem Orchester immer die Herkunft vom Blues deutlich machte, orientierte sich in seinem Klavierspiel an Carrs reduziertem Klavierstil.
Mindestens ebenso sehr wie von Carr wurde Charles Brown direkt von Cole beeinflusst. Mit seinem jazzigen Barblues wurde er zum Inbegriff des kalifornischen Westküstenblues. Und Cole und Brown wurden wiederum zu den großen Vorbildern für die ersten Schritte von Ray Charles am Klavier…