Man nannte ihn den „Honeydripper“ wegen der Art, wie er mit Frauen sprach. Doch wenn Roosevelt Sykes am Klavier saß, dann war da von Süßholzraspelei nichts zu spüren. Hier spielte einer, der sein Handwerk in den billigen Kneipen in der Region von St. Louis und Arkansas erlernt hatte. Und da kam es auf Tanzbarkeit und den typisch anzüglichen Humor der Barrelhouses an.
Geboren wurde Rossevelt Sykes am 31. Januar 1906 in Elmar (Arkansas). Als Kind lernte er in der Kirche das Orgelspiel. Und das bot ihm schon als Teenager die Möglichkeit, als Klavierspieler Geld zu verdienen. Als die Familie Anfang der 20er Jahre nach St. Louis zog, hatte er schon bald den Ruf als einer der besten Pianisten der Stadt. 1929 schickte ihn ein Talentsucher für Aufnahmen nach New York. Und schon sein „Forty Four Blues“ war so erfolgreich, dass er nicht nur für OKeh sondern auch als Dobby Bragg, Willie Kelly oder Easy Papa Johnson für andere Label Platten produzierte. 1935 ging Sykes zu Decca Records, was seine Popularität noch weiter steigerte. Von St. Louis zog er weiter nach Chicago, wo er mit seiner Band The Honeydrippers auch für Bluebird im Studio stand. Inzwischen war er so beliebt. dass er einer der wenigen Bluesmusiker war, die auch während der Schellakrationierung im Zweiten Weltkrieg regelmäßig neue Songs veröffentlichen konnte.
Als nach dem Krieg in Chicago der Blues immer lauter und elektrischer wurde, hat sich Sykes nach New Orleans verzogen. Dort war seine akustische Musik noch lange ebenso gefragt wie beispielsweise auf den europäischen Bühnen. Nicht nur mit dem American Folkblues Festival sondern auch unabhängig davon war der Pianist einer der eifrigsten Bluesbotschafter hierzulande.
Verpackt in hämmernden Boogie sang Sykes Blues, die zu den unterhaltsamsten überhaupt gehörten. Er verpackte eindeutige sexuelle Anspielungen in Texte wie „Dirty Mother To You“. Und er hat absolut zeitlose Klassiker wie „Night Time Is The Right Time“ verfasst.
Mit wieviel Humor und Energie Sykes live auch in späten Lebensjahren noch das Haus gerockt hat, zeigt jetzt eine Wiederveröffentlichung einer 1977 entstandenen Live-Aufnahme. "The Real Honeydripper“ bietet quasi einen Überblick über die lange Karriere des Pianisten. Von Cow Cow Davenports „Cow Cow Blues“ aus dem Jahre 1928 oder dem Bluesklassiker „St. James Infirmary“ bis hin zu seiner ganz eigenen Interpretation von Ray Charles „What‘d I Say“, vom Sound aus New Orleans bis hin zu den Swingclubs aus Harlem reichen die Anspielungen. Und Sykes bringt - auch das gehörte bei im immer zum Programm jede Menge humorvoller Lieder unter. Bei „I‘m A Nut“ nimmt er sich selbst absolut auf die Schippe. Und „Don‘t Talk Me To Death“ möchte man selbst immer mal wieder ausrufen. Und dann gibt es noch alte Jazz-Klassiker wie „Please Don‘t Talk About Me“ und Evergreens wie „Honeysuckle Rose“.
Bei den Aufnahmen im Blind Pig in Ann Arbor (Michigan) waren einige Besucher übrigens ganz schön schwatzhaft. Die gröbsten Störer wurden bei der Wiederveröffentlichung entfernt. Und außerdem wurden mit „St. James Infirmary“ und „Don‘t Talk Me To Death“ zwei ursprünglich nicht auf LP gepresste Stücke des Konzertes mit aufgenommen. Damit ist „The Real Honeydripper“ ein Paradestück eines der wichtigsten Bluespianisten des 20. Jahrhunderts. Und es ist eine äußerst unterhaltsame Unterrichtsstunde für die verschiedensten Spielweisen zwischen klassischem Barrelhouse, Boogie Woogie, Jazz und Stride-Piano.