Wenn man sich mit Woody Guthrie beschäftigen will, ist die Auswahl an deutschsprachigen Büchern nicht sehr groß. Pünktlich zum 100. Geburtstag des Songwriters erschien im Verlag Neues Leben eine faktenreiche Biografie der Journalistin Barbara Mürdter.
Wenn man heute Woody Guthrie als Vater der amerikanischen Folkmusik betrachtet, gar als ersten Punker, dann haben Musiker daran Anteil, die sich noch heute auf ihn berufen. Dylan, Joe Strummer, Billy Bragg,… Die Generation der Nachfahren des Songwriters zieht sich quer durch alle Musikstile. Und mittlerweile sind es nicht nur seine politischen Songs, für die man ihn verehrt. Gerade durch Projekte wie die „Mermaid Avenue“-Alben von Billy Bragg und Wilco oder „Tic Toc“ von Wenzel ist klar geworden, wie vielseitig Guthrie als Lyriker war. Von gesellschaftskritischen Songs bis hin zu schwelgerischer Liebeslyrik, von Kinderliedern bis hin zu jüdischen Liedern reicht das Spektrum. Woody Guthries Werk ist mindestens ebenso komplex wie sein Leben.
Das wirklich Wichtigste an Barbara Mürdters Biografie, ist es die Tatsache, dass sie (trotz des plakativen Untertitels) vor den Widersprüchen und Brüchen in Guthries Biografie nicht zurückschreckt. Aus den verschiedensten Quellen (leider meist aus schon veröffentlichten Büchern) hat sie Guthries Leben rekonstruiert und dabei besonderen Wert auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA seinerzeit gelegt. Denn ohne diese wäre kaum zu verstehen, wie Guthrie zu einem Liedermacher wurde, der sich ganz bewusst politisch engagierte. Doch Mürdter geht eben auch auf das turbulente Privatleben Guthries ein und schildert das musikalische Umfeld um Pete Seeger, die Almanac Singers oder die Arbeit der Lomax-Familie. Von Oklahoma über Kalifornien nach New York, von der Weltwirtschaftskrise über die Zeit des New Deal bis nach dem Zweiten Weltkrieg entsteht so nicht nur das Bild eines unangepassten Lebens sondern auch das einer sich verändernden Gesellschaft in den Vereinigten Staaten. Und damit ist Mürdters Biografie zur Zeit wahrscheinlich das Beste, was man in deutscher Sprache zu Guthrie finden kann.
Wenn ich von einer Biografie etwas erwarte, dann sind es aber nicht allein die Fakten eines Lebens. Viel mehr will ich auch verstehen, wie ein Mensch gedacht hat, wie er zu seinen Werken wirklich gekommen ist. Und hier versagt leider die Herangehensweise der Autorin. Es fehlt eine wirklich engagierte und persönliche Auseinandersetzung mit seinen Songs, mit seiner Musik. Es fehlt der Mut, persönliche Motive in die Darstellung mit einzubringen. Immer wenn es um Kunst, um Musik oder Literatur geht, ist die klassische Herangehensweise der nüchternen Betrachtung für mich letztlich unbefriedigend. Bei allen Fakten bleibt Guthrie so seltsam unnahbar und hölzern. Das ist wirklich schade.
Doch man kann als Ergänzung Bücher wie „Prophet Singer. The Voice and Vision of Woody Guthrie“ von Mark allan Jackson heranziehen. Wo Mürdter die vollständigen Fakten eines Lebens zusammenträgt, widmet sich dieser ganz gezielt seiner Art des Songwritings und wie genau seine Lieder von der Politik beeinflusst wurden und selbst politische Änderungen anregten. Leider gibt es dieses Buch noch nicht in deutscher Übersetzung. Was allerdings anlässlich des 100. Geburtstages von Guthrie in einer Neuauflage herausgekommen ist, ist Guthries austobiografischer Roman „Bound For Glory“ – in Deutschland als „Dies Land ist mein Land“. Und auch wenn man Guthrie nicht wie manche Kritiker mit James Joyce vergleichen kann: Auf jeden Fall ist das eine anregende Lektüre und eine Einführung in das wilde Denken des Songwriters.