UNTERM SAFT GEHT’S WEITER / 15

und wenn die neigung grellgeschminkt zu felde kriecht, und menschen ihre röcke heben, seelen sich verschlingen und unverträglich absorbieren, atem sich spielend geschielt hat zum sein als blindekuh, bindungen allein sich abseits an der kante fühlen, knotenbinden sich vom gemüt nicht selber lösen, haustiere sich über ihre herren lustigmachen, und schon kanarienvögel menschliche begegnungen beschimpfen, dann wird es zeit, dem vogel kommentarlos die käfigstreben zu verbiegen und die balkontür zu öffnen. der mann schaute auf die uhr, hängte ein bettlaken über den vogelkäfig und wartete auf die verabredung mit der frau. er fing an, an den fingern zu zählen. nicht einmal verdutzt mußte er wahrnehmen, zwei hände reichten ihm nicht aus. über zehn beziehungen hatte er hinter sich, war nach dem für ihn jedesmal plötzlichen verschwinden der frauen in dieser wohnung zurückgeblieben. „ABDECKER! KACKEMENSCH!“ zwitscherte sein vogel. er wußte, daß sie kommen würde. ihm war, als hätte er es an ihrem rock gesehen, ihr versprechen ging mit diesem stückchen stoff konform. „dreimal essen, einmal ficken!“ sagte der mann, „dann hätte ich mir ja gleich ’ne nutte leisten können!“ „FICKERMENSCH!“ kam es unter dem bettlaken hervor. wieder rannte der mann zum küchenfenster, und dann sah er unruhig, wie ihr auto vorfuhr, das auto einparkte, beine und der rock kamen heraus. „gleich geht’s los“, sagte der mann, „und nicht bloß ’ne stunde!“ er öffnete die tür. „hast‘ gedacht, ich komm‘ nicht?“ strahlte sie ihm kaltgeschminkt entgegen. „doch, ich hab’s dir angesehen, daß du kommst“, antwortete der mann. „willst‘ ’nen drink?“ fragte er nach. „gleich“, sagte sie, „laß mich erstmal sitzen.“ der mann bot ihr seinen sessel an, rührte zwei drinks und pflanzte sich auf die couch. „oh, den hast‘ aber stark gemacht!“, die frau verzog ihr gesicht, doch es wurde nicht wärmer. „TUSSY IM HAUS! AUS!“ schrie der abgedeckte vogel. „hast‘ noch besuch?“ fragte die frau, drehte sich nach hinten um und hörte etwas klimpern, ein bißchen so, als würden winzige küchenbleche aneinander gerieben. „nee, ist der da“, der mann deutete mit einem nicken in richtung abgehängtem vogelkäfig. „KACKEMENSCH! ABDECKER!“ kam es unter dem laken hervor. „ein vogel? ein bunter? was redet der denn für ’n mist? hast du ihm das beigebracht?“ fragte die frau, verzog schon vorher ein wenig ihr gesicht und nippte erst dann am glas. „nein. andere menschen. menschen, die hier so vorbeikamen. so richtig bunt ist er nicht. geht mehr so in den einfarbigen stich. gelb ist er“, sagte der mann. „was lädst du dir denn für leute ein? gelb vor neid, was?“, sie versuchte zu lachen, „deck ihn mal ab!“ „nischt is‘, der vogel bleibt zugedeckt! das biest muß nicht alles und jeden sehn, der klinkt aus!“ „STINKFOTZE!“ krächzte der vogel. „na sag mal, was ist denn das für ’n widerlicher scheißvogel!?“ entrüstete sich die frau. „wo er recht hat, hat er recht“, nuschelte der mann leise. „wie bitte, was hast du gesagt?“ fragte die frau und stellte den drink ab. „wo er licht hat, ist ihm schlecht!“ sagte der mann. „was bist du denn eigentlich, ein abdecker?“ fragte sie grinsend, neigte den kopf und winkte, das restliche eis schüttelnd, mit dem leeren glas. „schriftsteller“, antwortete der mann, „ich mach‘ dir gleich ’nen neuen drink.“ er trank sein glas aus und stand schwerfällig auf. „abdecker oder kaminreiniger würden eher zu dir passen“, meinte die frau und drückte ihm ihr glas in die hand. in beiden händen klingelte leise das eis. „MENSCHENFICKER!“ schrie der vogel dazwischen. „ich kann das irgendwie mit dir hier nicht machen!“ legte die frau ihm nahe, „der vogel da, und überhaupt! was hast du mir denn zu bieten?“ der mann stand hinter ihr und sie drehte sich vorsichtig zu ihm um. „drinks hab‘ ich“, sagte der mann. „drinks sind gut, und ein bißchen geld?“, die frau tätschelte ihn am hosenbein. „ein bißchen geld hab‘ ich auch“, antwortete der mann, verließ den raum und hörte: „MENSCHENFICKER! KACKEMENSCH!“ die frau stand auf, ging zum bettlaken und hob es an. erschrocken ließ sie es wieder fallen. sie glaubte nicht, was sie im bruchteil von sekunden gesehen hatte. genau diesen mann, mit einem winzigen kopf und abgebrochenem schnabel, ohne federn auf der brust, nur an den flügeln, auf der rückenpartie und an einem büschel, das wie ein schwanzende aussah, ein paar schmutziggelbe, angestoßene federn. und alles war voller eis gewesen im trinkgefäß des vogels. sie schnappte sich das zugehängte ding. stellte es auf den tisch, hob an einem ende erneut vorsichtig das bettlaken. der kahle vogelmann hackte mit seinem abgebrochenen schnabel auf die im wasser schwimmenden klumpen aus eis. der mann kam mit den drinks zurück, stellte sie ab und legte ein paar kleine scheine, wie immer, mit auf den tisch. „jetzt schon?“ fragte die frau. „zieh dich aus, bis auf den fummelrock!“ befahl der mann. „AUS!“ kreischte der vogelmann und ließ von der gefrorenen flüssigkeit ab. die frau griff sich die kleinen scheine und den großen drink. „na gut, dann hau doch einfach ab!“ schrie der mann sie an. er riß das laken vom käfig, zog zwei käfigstreben weit auseinander, öffnete die balkontür und schüttelte den käfig mit seinem kleinen ebenbild. der schmutziggelbe federmann hielt sich auf seinen dünnen beinen, verließ den käfig, tappste in richtung offener balkontür, flatterte ab und schaute sich nicht einmal mehr um. der mann blieb stehen und schaute sich nach. ihm war, als müßte er hinterherspringen. alles nur müll für die dreckabfuhr? „undankbarkeit ist der lohn für die eigene freiheit. freiheit nutzt den menschen aus!“ schrie er sich an. er verstand seine eigenen worte nicht mehr, hatte er sein ganzes leben nicht für die freiheit gedacht und gefühlt? „menschen fressen freiheit! menschen koitieren die lust!“ ein eiskalter windzug traf ihn im nacken. wieder standen ihm kleine federn bis zum hals, wieder rollte er sich zusammen, flog in gedanken seinem weggeflatterten sonnengelbverblichenen schatten hinterher, schloß die balkontür und krabbelte zurück in seinen verbogenen käfig.