Geschenk und Aufgabe – Predigt über 1. Joh. 5,11-13 am 3. Januar 2010 in Lüdershagen und Schlemmin

Ihr Lieben,

wenn ich was in der Zeit nach der Wende nicht kapiert habe, dann ist das die Manie, Geschenke umzutauschen. So was passt nicht in meine Erziehung: Wenn mir jemand was schenkt, so meine Überzeugung, dann hat er sich was dabei gedacht. Dann will er mir etwas geben, was ich brauche, etwas was mir seiner Meinung nach Freude macht. Was anderes sollte man gar nicht verschenken, hab ich als Kind gelernt. Da macht das Schenken wirklich Arbeit, weil man versuchen muss, sich in das Gegenüber einzudenken: Was braucht er wirklich? Womit kann ich ihm eine echte Freude machen?

Heute scheint es, dass man einfach irgendwas schenkt – bei Nichtgefallen kann man ja umtauschen…

Um ein Geschenk, um das Geschenk geht es auch in den Texten, die wir in den Tagen nach Weihnachten bedenken sollen. So schreibt etwa der Verfasser des 1. Johnannesbriefes im 5. Kapitel:

(11) Und dies ist das Zeugnis: daß Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.
(12) Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.
(13) Dies habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr ewiges Leben habt, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt. Zuversicht im Gebet und in der Bewahrung vor der Sünde.

Ihr habt ein Geschenk erhalten, betont der Apostel – das Geschenk ewigen Lebens in Jesus Christus.

Ewiges Leben? Nützt mir das was? Ist das nicht etwas, was mir eventuell erst nach meinem Tode hilfreich ist? Ewiges Leben? Kann ich das umtauschen?

Falsch verstanden – ewiges Leben meint nicht was, was erst nach der Auferstehung der Toten beginnt, etwas in möglichst ferner Zukunft also. Nein: ewiges Leben meint, wenn man sich den Text genauer anschaut, Leben mit andauernder Bedeutung. Leben, wo kein Tag einfach so ohne Sinn dahinrauscht. Leben wo kein Tag vergebens ist.

Im Glauben an Jesus habt ihr heute schon ewiges Leben, betont der Apostel. Seine Leser lebten in einer Zeit, wo sie als Christen von ihrer Umwelt angefeindet wurden. Wo sich daher viele nicht sicher waren: sollen wir an diesem Glauben festhalten?

Ihr habt ewiges Leben – wenn ihr glaubt! Das ist das Wichtigste, was der Schreiber in der Zusammenfassung seines Briefes betont. Ihr habt ein Geschenk erhalten – doch so richtig zur Entfaltung kommt es nur, wenn wir uns an bestimmte Spielregeln halten. Oder zumindest an eine:

Alles liegt in diesem Wort daran, dass wir "den Sohn haben". Wir müssen also den Sohn finden – oder er uns. Und dazu wieder müssen wir wissen, wo wir zu suchen haben – oder wie wir ihn bei uns aufnehmen.

Ich will uns eine Geschichte erzählen:

Es war einmal eine alte Frau, der hatte der Herr versprochen, sie heute zu besuchen. Darauf war sie natürlich nicht wenig stolz. Sie scheuerte und putzte, buk und tischte auf. Und dann fing sie an, auf den Herrn zu warten. Auf einmal klopfte es an der Tür. Geschwind öffnete die Alte, aber als sie sah, dass draußen nur ein armer Bettler stand, sagte sie: "Nein, in Gottes Namen, geh heute deiner Wege! Ich warte eben gerade auf meinen lieben Herrn, ich kann dich nicht aufnehmen!" Und damit ließ sie den Bettler gehen und warf die Tür hinter ihm zu. Nach einer Weile klopfte es von neuem. Die Alte öffnete diesmal noch geschwinder als beim ersten Mal. Aber wen sah sie draußen stehen?

Nur einen armen alten Mann. "Ich warte heute auf meinen lieben Herrn. Wahrhaftig, ich kann mich nicht um dich kümmern!" Sprach's und machte dem Alten die Tür vor der Nase zu. Ein weiterer Besuch ließ nicht lange auf sich warten. Die Bitte um ein Dach über dem Kopf für die Nacht schlug sie ab. Der Bittsteller musste weiterwandern, und die Alte fing aufs neue an zu warten. Die Zeit ging hin, Stunde um Stunde. Es ging schon auf den Abend zu, und immer noch war der Herr nicht zu sehen. Die Alte wurde immer bekümmerter. Wo mochte der liebe Herr geblieben sein? Zu guter Letzt musste sie betrübt zu Bett gehen. Bald schlief sie ein. Im Traum erschien ihr der Herr. Er sprach zu ihr: "Dreimal habe ich dich aufgesucht, und dreimal hast du mich hinausgewiesen!"

Erst macht uns die Geschichte eher mutlos: Verpasste Chancen, Jesus zu begegnen. Er war da – die Alte hat ihn nicht erkannt. Wird er noch einmal kommen? – Aber sehen wir doch auch das: Er war da! Er hat sich ihr zugewandt. Er hat Wort gehalten! Sie hatte sich so gefreut – er ließ sie nicht im Stich! Das kann Hoffnung geben! Wir warten doch auch, jede und jeder hier: Dass einer meine Einsamkeit durchbricht. Dass ich wieder ein bisschen Lebensfreude gewinne. Dass ich mehr Sinn und Farbe in mein tägliches Einerlei bekomme. Dass sich mein Gesundheitszustand bessert, oder ich ihn wenigstens leichter ertragen kann. Dass ich die Liebe eines Menschen finde. Dass ich einem anderen meine Zuneigung schenken kann. Und so viele Menschen hier zusammen sind, so viele Erwartungen sind es auch! Und da möchte es uns diese Erzählung zusagen:

Der Herr kommt! Er will, dass wir ihn "haben" und mit ihm das volle, runde Leben. Der, vor dem all unsere Wünsche offenbar sind, wird Wort halten! Und der Herr will mir ja auch meine Lebenswünsche erfüllen.

Wenn auch nicht alle, so doch diese: Er will ja doch, dass ich in guter Gemeinschaft mit anderen lebe, dass ich jeden Tag ein wenig Freude habe, dass ich Sinn erfahre, dass ich nicht unter meinen Lasten zusammenbreche, dass ich Liebe gebe und empfange… Was anderes zeigt mir denn sein Leben in dieser Welt?: Daran lag ihm doch, dem Heiland, dass alle durch ihn froh würden, frei von Schuld und Gebrechen, und befreit zu einem neuen Leben. Dafür ist er dann gestorben und das hat er mit seiner Auferstehung besiegelt: Er will mein Glück, meine Freude, mein Heil! Und er setzt das ins Werk! Er verheißt nicht nur, er tut's auch. Er will sich mir schenken, ich soll ihn "haben".

Aber nun will er auch, dass ich mich ihm öffne! Aber er ist vielleicht anders als erwartet. Er begegnet mir nicht in der Gestalt, wie ich meine: Die Alte in der Geschichte hatte sich ihr Bild gemacht von ihrem "lieben Herrn": Als ein wohlgekleideter Besucher sollte er zu ihr kommen, nicht als ein bettelnder Landstreicher. Als ein Reicher, angetan mit einem Stück seiner himmlischen Herrlichkeit sollte er pünktlich auf ihrer Schwelle stehen, nicht als ein armer Schlucker zur Unzeit. Und er sollte selbst ein paar Gaben mitbringen und nicht als ein Streuner um ein Nachtlager bitten. Nein, sie konnte ihn nicht erkennen – er war so anders als erwartet. Und – genau genommen – sie hätte ihn so auch gar nicht gewollt.

Ja, und jetzt geht uns wohl durch den Kopf: Ob er denn bei mir war in den vergangenen 12 Monaten des gerade zu Ende gegangenen Jahres? Ob ich ihn etwa auch nicht erkannt habe? Ob ich ihn wohl auch abgewiesen habe, weil er mir zu arm, zu unbedeutend, zu hilflos, zu schwach und vor allem zu ungelegen kam? Vielleicht war er der Nachbar von nebenan, den ich – als es ihm so schlecht ging – hätte besuchen müssen. Vielleicht war er auch der Mitmensch, der mich vor einiger Zeit um Verzeihung bitten wollte und den ich so kalt habe abblitzen lassen. Oder – war er etwa gar der gottlose Zeitgenosse, der immer über den christlichen Glauben herzieht und dem ich nichts erwidert habe und den ich auch gar nicht begreifen wollte…

Wir haben ewiges Leben, wenn wir den Glauben an den Sohn haben, der in diese Welt gekommen ist. So werden wir, liebe Gemeinde, auch heute an das eigentliche Fundament unseres christlichen Glaubens erinnert und dadurch zum Leben, mit allen Lasten und Herausforderungen, die es bringt, ermutigt. Wir werden dabei wie die jungen Gemeinden im ersten Jahrhundert n. Chr. mit Widerständen und Zweifeln gegenüber der christlichen Botschaft und unserem Leben als Christen konfrontiert – mit Widerständen und Zweifeln, die heute allerdings noch andere als damals sind, ich nenne exemplarisch drei Bereiche:

– zum einen: den Zweifel am Sinn des christlichen Ritus, konkret: eines Gottesdienstes, zu dem wir uns heute morgen hier versammelt haben, – wenn ich in Greifswald mit Menschen zum Gottesdienst zusammen komme, dann ist mir wichtig, dass sie sich bei Gott zu Hause fühlen können – nicht dass sie erst mal Regeln lernen müssen, ehe sie willkommen sind.

– zum anderen: Wir spüren in unserem Land eine verbreitete Ablehnung der Institution Kirche. Religion und Glaube werden als Privatsache verstanden; der Gedanke der Kirche als Gemeinschaft von Menschen, die diese Welt durch ihren Glauben verändert, wird kaum noch öffentlich verkündigt.

– und schließlich: Wir erfahren eine durch alle gesellschaftlichen Schichten unseres Landes gehende Vergessenheit, aber auch Ablehnung der christlichen Tradition, die unsere Kultur geprägt hat. Die Werte des Lebens und des menschlichen Zusammenlebens, der Lebensqualität, werden oft in anderen Religionen und Kulturen gesucht; die Chance, sie in der eigenen Tradition wieder zu entdecken, wird nicht gesehen, scheint auch nicht mehr der Mühe wert zu sein.

Das wir heute schon ewiges, bedeutendes und dauerndes Leben haben, das können wir den Mitmenschen kaum noch deutlich vermitteln. Und kaum noch Menschen trauen der christlichen Kirche zu, dass sie die Lösung für unsere persönlichen Ängste und Unsicherheiten sein könnte.

So sind wir heute wie damals aufgerufen, unsere Erfahrungen mit dem Wissen unserer christlichen Religion und Kultur in unsere Begegnungen im persönlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Bereich einzubringen und immer wieder unsere eigene Tradition zu reflektieren. Das ist ne gewaltige – und immer wieder anstrengende und überraschende Aufgabe. Aber das gehört zu dem Geschenk dazu, das wir in der Weihnachtsgeschichte immer wieder verkünden. Ohne das funktioniert Weihnachten nicht. So wie die Hirten und die Weisen losgezogen sind, so wie Maria die Worte in ihrem Herzen bewegte – so sollen auch wir jetzt die Geschichte weitertragen mit Worten und eben auch mit Taten der Liebe.

AMEN

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