Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs – Predigt über Matthäus 28,16-20 am 19. Juli 2009 im Café Comix (Greifswald)
Ihr Lieben,
Unterwegs hab ich in irgendeiner Laune als Thema für den Gottesdienst gewählt. Und wenn ich so überlege, war das nicht ganz die falscheste Entscheidung. Denn wenn man sich im Sommer auf was verlassen kann, dann dass alle irgendwohin unterwegs sind. Hier bleiben wollen die wenigsten. Raus aus dem Alltag, rein in den Urlaub. Und wenn nicht Urlaub, dann wenigstens an den Strand. Oder trotz Hitze ins Drachenboot, um mal wieder Muskeln zu spüren, von deren Existenz man bestenfalls eine Ahnung hat. Wobei das Paddeln auch schon wieder eine andere Komponente hat: Man ist nicht alleine unterwegs, sondern mit Freunden und Bekannten.
Unterwegs sein – gemeinsam unterwegs sein, das ist auch für Christen ein Dauerthema. Wenn man in der Theologie nach Bildern für die Kirche sucht, dann kommt garantiert die Rede auch auf „das wandernde Gottesvolk" in Erinnerung an das Volk Israel, das mit Gott buchstäblich auf der Reise ins gelobte Land war, in Erinnerung an Abraham und seine Nachkommen, die auf Gottes Befehl aus der sicheren Existenz aufgebrochen sind und in der Verheißung auf ein neues Leben in einem neuen Land jahrelanges Unterwegssein mit all seinen Unsicherheiten und Gefahren auf sich genommen haben.
Unterwegs sein ganz räumlich gesehen – aber auch als inneren Zustand.
Denn wenn man unterwegs ist, wenn man sich nicht in der Gegenwart häuslich einrichtet, dann verändern sich Blickweisen, dann lernt man neue Dinge und neue Menschen kennen, dann ändern sich Vorstellungen.
Wer rastet, rostet. Steine, die nicht rollen, setzen Moos an. Nur tote Fische schwimmen immer mit dem Strom,… Sprichwörter und Redensarten wie diese gibt's ne Menge. Und alle wollen sagen: Krieg endlich deinen Arsch aus dem Sessel hoch, und setz dich in Bewegung! Ich höre sowas nicht immer gern. Denn ich sitze ganz gerne mal faul mit irgendeinem Buch bei guter Musik rum und faulenze.
Doch sowas ist ein Zustand, der irgendwann gefährlich werden kann, das hab ich selbst immer wieder erfahren. Wenn ich mich weigere, an meinem Leben Dinge zu ändern, bleibt eben doch nicht alles beim Alten. Da kommt irgendwann der Tag, wo das so arg gehütete Weltbild einfach zusammenbricht. Eben weil ich keine Änderungen wollte. Da ist dann mal das Konto leer wie der Kühlschrank, da fehlt es an einer Versicherung genauso wie an Lebensperspektiven.
Stillstand, Stagnation sind auch beim Glauben und in der Kirche fehl am Platz. Letztens saßen wir abends bei meinem Freund Klaus zusammen am Grill. Es waren noch ne Menge Bekannter anwesend. Irgendwie kamen wir im Gespräch auf das Thema „Mission". Und prompt waren die Fronten klar: Alle waren dagegen. Wie kann man Menschen denn einen Glauben aufzwingen? Was hat die Kirche in ihrer Geschichte nicht alles falsch gemacht, wenn sie versucht hat, ihre Botschaft an andere Völker zu bringen,… Kreuzzüge, Inquisition, Ermordung der Indianer,… Es ist eigentlich immer das gleiche Repertoire, was abgespult wird, wenn man Mission irgendwie nur erwähnt.
Und dann meinte ich: Wenn ich ehrlich bin – was wir mit unseren Kneipengottesdiensten machen, ist doch nichts anderes als Mission. Lange Gesichter. Leichtes Grübeln. Dann: das kann man doch nicht so absolut sehen. Das ist doch was ganz anderes.
Ich: das ist eben nichts anderes. Wir versuchen, anderen Menschen unseren Glauben nahe zu bringen. Natürlich fehlt uns die Unterstützung durch Feuer und Schwert – und darauf können wir gut verzichten. Denn damit erreicht man keinen. Damit bringt man Menschen nicht zum Glauben, schon gar nicht zum Nachdenken.
Aber ansonsten: Wir Freibeuter sind im Namen des Herrn unterwegs. Zu Fuß oder auf dem Wasser, sitztend am Kneipentresen, beim Treffen auf der Straße oder im Drachenboot. Eigentlich ist jeder von uns – ob nun schon im Glauben, ob zweifelnd, ob auf dem Weg hin zum glauben – mit uns unterwegs in Sachen Mission.
Das meint jedenfalls das Evangelium für den heutigen Sonntag, aufgeschrieben von Matthäus im 28, Kapitel:
16 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.
17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
18 Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
19 Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes
20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Vom „Missionsbefehl" Jesu reden die Theologen, wenn sie über diesen Text referieren. Inhaltlich korrekt, sicherlich. Doch so auch missverständlich, wie man an den erwähnten Fehlentwicklungen der Missionspraxis der Kirchen sehen kann. Klar: Es gibt einen deutlichen Auftrag Jesu an seine Jünger: Ihr dürft nicht einfach hier sitzen bleiben in euerm Leben. Es ist wichtig, dass ihr euch in Bewegung setzt – innerlich und äußerlich.
Wenn das, was ich euch gesagt und gezeigt habe, bei euch irgendwas ausgelöst hat, dann ist nix mit Rückzug in die innere Emigration! Das geht einfach nicht. Christ sein und werden geht nicht im stillen Kämmerlein jeder für sich alleine! Das geht nur, wenn man sich auf den Weg macht, wenn man bereit ist, seine Erfahrungen zu teilen – und auch in Frage stellen zu lassen.
Denn die Jünger – und das macht diese Texte für mich immer so hilfreich – sind ja selbst durch das Erlebnis der Auferstehung Jesu nicht automatisch Superhelden des Glaubens geworden. Noch hier auf dem Berg sind sie mit ihren Zweifeln voll dabei: Was soll das werden? Will Jesus uns etwa alleine lassen? Bin ich dem überhaupt gewachsen?
Wer bin ich denn eigentlich, dass ich hier mit Jesus bin? Da ist Petrus, der Typ, der aus Angst alles abgestritten hat. Da ist Thomas, der am liebsten vor einer Entscheidung erst mal alles genau betrachten will. Da ist Raimund, der immer wieder vor Angst fast erstarrt und gar nicht mehr weiß, wohin das Leben noch gehen wird.
All das nimmt Jesus ernst. Bis zu diesem Treffen hat er seine Jünger unterrichten können mit Worten und Taten. Jetzt kommt das an ein vorläufiges Ende. Jetzt müssen sie selbst sehen, wie sie weiterkommen.
Geht hin in alle Welt – hier vom Berg herab beginnt für Euch ein neues Kapitel. Ihr habt erst mal genug gehört. Ihr könnt jetzt selbst aktiv werden. Ihr schafft das! Ich vertraue auf Euch – macht andere Menschen zu Jüngern. Das meint nicht: zwingt sie zu etwas, wozu sie nicht bereit sind. Das meint: macht ihnen klar, wie ihr selbst zum Glauben gekommen seid. Wie es bei Euch gewesen ist, dass Jesus in euer Leben kam. Erzählt davon, wie euer Leben sich verändert hat durch Entscheidungen in der Nachahmung Jesu. Und sagt auch ehrlich, wo Eure Schwierigkeiten auf diesem Weg liegen.
Macht sie zu Jüngern heißt: ladet Menschen ein, so wie ich euch das vorgemacht habe: sprecht sie an, wenn sie bereit sind, zuzuhören. Und wenn ihr dafür ihnen erst paar Stunden zuhören müsst, damit sie ihren ganzen Frust von der Seele reden können – dann hat das auch seine Richtigkeit.
Macht sie zu Jüngern heißt: nehmt sie mit auf euerm Weg. Lasst die Menschen, denen ihr begegnet, nicht alleine weitergehen. Christ sein geht nun mal nicht ohne die Gemeinschaft von Freunden und Geschwistern. Lasst sie nicht alleine mit ihren Fragen, mit ihren Zweifeln. Und zeigt, dass dies eben dazu gehört, wenn man ein echter Jünger Jesu ist.
Und dann das mit der Taufe – irgendwann kommt der Punkt, wo ich als Prediger und Christ jemandem sage: Mein Lieber, wir sind jetzt ne lange Weile gemeinsam unterwegs. Du hast deine Fragen gestellt, ich hab versucht, drauf zu antworten. Aber jetzt wird's langsam Zeit für eine ehrliche und für alle sichtbare Entscheidung: Willst Du nun weiter auf diesem Weg unterwegs sein? Ist das der Richtige für dich? Dann bekenne Dich auch dazu. Vergiss die Hintertürchen – wenn Du glaubst, dass Gott bei uns und mit uns unterwegs ist: dann steh auch dazu!
Eigentlich ist die Anweisung Jesu ja sogar andersrum: Tauft die Leute – und unterrichtet sie später. Aber – und diese Ehrfurcht vor der Entscheidung zur Taufe kann ich gut verstehen – heute lässt sich ja niemand so einfach ins Weihwasser stippen. Noch dazu wenn man dann plötzlich feststellt, dass Christsein zwar nicht schlecht, aber, um mit Torfrock zu reden, auch ganz schön teuer sein kann…
Und zum Schluss: Auf eines könnt ihr euch sicher verlassen: Wir sind nicht nur im Namen des Herrn unterwegs. Er ist bei uns. Und das ohne Bedingungen und zeitliche Begrenzungen. Ich bin bei Euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Das ist ein Versprechen, eine Zusicherung, die uns bei allen Zweifeln und Ängsten tragen kann: Was wir tun, was wir sagen – er ist bei uns. Und daher: Fürchtet Euch nicht.
AMEN