Es ist eine Zeit des Zorns in dieser Welt. Überall wenden sich Menschen gegen diejenigen, die sie regieren. Oder gegen die Unternehmen, die sie beherrschen. Es muss sich endlich was ändern. Besetzt alles, was als Symbol für diese Welt gilt. Macht deutlich: Wir sind das Volk, wir sind die 99 Prozent – und wir wollen nicht bestimmt werden von denen, die so scheinbar das Glück und die Zuwendung der Politik gepachtet haben.
Es ist eine Zeit des Zorns und des Nachdenkens über eine bessere Welt. Ähnlich für manche vielleicht mit der Zeit Jesu.
11,2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger
11,3 und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
11,4 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:
11,5 Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt;
11,6 und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
11,7 Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht?
11,8 Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige.
11,9 Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet.
11,10 Dieser ist's, von dem geschrieben steht (Maleachi 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
Bist Du es? Johannes der Täufer hatte einen Auftrag. Er wusste sich von Gott berufen, die Menschen zur Besinnung zu rufen. Was er machte, war keine Kuschelrunde zum allgemeinen Wohlfühlen. Nein: Er stieß den Leuten den Kopf zurecht. Er machte vor allen klar, was an dieser Welt in den Augen Gottes alles falsch lief: Gier, Korruption, Bestechlichkeit. Aber auch Heuchelei und vorgespielte Frömmigkeit. Das alles prangerte er an. Er predigte den Leuten ins Gewissen. Machte klar, dass sie so in Gottes Augen nicht bestehen könnten.
Aber er ging weiter: Er taufte die Menschen. Ein Zeichen dafür, dass man neu anfangen will, dass das Alte und Schlechte hinter einem liegen soll. Ein Symbol dafür, dass man seine Fehler einsieht und sie los werden will. Eines weiß Johannes ganz gewiss: Diese Welt, wie sie ist, wird sich gewaltig ändern. Gott wird sich einmischen. Und darauf sollte man vorbereitet sein, wenn es kein böses Erwachen geben soll.
Doch wer so predigt, der macht sich unbeliebt. Besonders wenn man sich allein von den unbestechlichen Maßstäben von Gottes Geboten leiten lässt. Das erregt den Zorn der Mächtigen, wenn sie sich öffentlich bloßgestellt sehen. Johannes landet folgerichtig im Gefängnis. Und dort hat er Zeit zum Grübeln: Ist es wirklich richtig gewesen, was ich getan habe? Mischt sich Gott wirklich ein? Gibt es die große Umwälzung in dieser Welt? Oder war das bloß meine Sehnsucht nach Veränderung?
Und dann hört er die Geschichten von Jesus, der durchs Land zieht. „Bist Du es? Oder müssen wir noch weiter warten?“ So lässt er Jesus fragen. Bist Du der, ist unsere Hoffnung berechtigt? Oder bleibt wieder nur Enttäuschung? Und das meint eben auch: Mein ganzes Engagement, die Risiken, die ich eingegangen bin – waren die berchtigt? Oder bin ich bloß einer, mit dem die Phantasie durchgegangen ist? Bist du es, oder müssen wir auf einen anderen warten? Bist du der Messias, der von Gott geschickte große König, der für Gerechtigkeit sorgen wird? Hab ich die Leute zu Recht auf Dich hingewiesen? Ist mein Gefängnisaufenthalt also nicht umsonst?
Auf der einen Seite ist das Engagement und die Hoffnung, auf der anderen der Zorn. Der Täufer Johannes ist geprägt von einem heiligen Zorn, der auch bei Jesus manchmal durchscheint. Es gibt diese Johannes-Zeiten, in denen der Zorn über Verlogenheit und Ungerechtigkeit sich breite Bahn bricht. Dann gehen Menschen auf die Straße und wollen nicht hinnehmen, dass die einen bürgerliche Normalität leben, während die anderen um ihr Leben betrogen werden. Da sind selbst die finanziell abgesichertn Menschen plötzlich bereit, Wochen lang in Zelten zu leben und Plätze zu besetzen. Da betonieren sich Leute an Eisenbahnschinen fest.
Verlogenheit und Gerechtigkeit fallen plötzlich wieder auf als das Krebsgeschwür, das unsere Gesellschaft befallen hat. Denn des wird den Menschen immer deutlicher, dass sich nie etwas ändert, wenn sie selbst nicht den Mund aufmachen. Es wird keine Veränderung geben, wenn alle nur satt und zufrieden sind. Und der Zorn wächst. Denn immer mehr Menschen überall fühlen sich um ihren Anteil an einem schönen Leben betrogen. Die fetten Jahre sind vorbei, in denen die Ungleichheit auszuahlten war.
"Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige." Jesus erinnert an die Zeiten des Zorns, an Johannes den Täufer. Es war eine Zeit, als die Verlogenheit offen beim Namen genannt wurde. Irgendwie hatten alle gespürt, dass Johannes Recht hatte. Deswegen sind sie zu ihm an den Jordan hinausgegangen. Jetzt sitzen sie wieder in ihren Häusern, haben Karriere gemacht und sich so gut es geht eingerichtet. Nur Johannes sitzt im Gefängnis. Und seine Freunde sind verunsichert.
War das Engagement des Johannes vergeblich? War es vergeblich? Es ist eine Antwort, die Johannes auf eine ganz andere Alternative hinweisen soll in seinen Gedanken: Es war nicht vergeblich, doch gleichzeitig hast Du Dich doch geirrt mit deinen Vorstellungen von der Zukunft. Gott greift ein, er verändert die Welt. Doch der Messias, der große Erlöser, der ist ganz anders als vermutet.
Es geht nicht um die gewaltsame Vertreibung der Römer, um die gerechte Umverteilung des Reichtums. Jedenfalls nicht vordergründig. Nein, das was Jesus ausmacht, das deutet auf eine ganz andere Zielrichtung Gottes hin: Es geschehen Wunder. Die Menschen, die Hilfe nötig haben, finden diese. Kranke werden geheilt. Die Armen finden wieder Hoffnung. Der Weg des Johannes war der eines heiligen Zorns. Jesus aber geht einen Weg der liebevollen Zuwendung: Es werden nicht die Reichen ihres Reichtums beraubt und die Gewaltigen ihrer Macht. Sondern Jesus macht die Schwachen stark, holt die vom Rande der Gesellschaft und stellt sie uns als Vorbilder vor Augen. Jesus verkündet den Armen die frohe Botschaft. Aber er organisiert keine Zwangsbeglückung, die zu aller erst doch wieder nur das eine wäre: Zwang. Es ist unendlich viel schwieriger, einen Menschen zu lieben, als nur einfach und effektiv sein Glück zu organisieren. Der Weg der Liebe braucht das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht. Darin unterscheidet sich das Reich Gottes Jesu vom prophetischen Zorn des Johannes, der ihm den Weg bereitet hatte.
Deswegen kann Jesus sagen "Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er." Das Evangelium verkündet, dass es sich lohnt, sich zu engagieren. Wer nicht daran Anstoß nimmt, dass Gott den mühseligen Weg durch die Geschichte gewählt hat statt dreinzuschlagen, der kann sich an die Seite dieses Gottes stellen. Wir müssen nicht mitsingen im Chor derer, die schweigen über das, was Menschen angetan wird. Wir können uns festhalten an Gott, wenn wir die eigenen Widersprüche aushalten und in kleinen Schritten mit bauen an dem Werk, das im Stall von Bethlehem begonnen hat. Wie es Jesaja verheißen hatte "Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!"