Ihr Lieben,

zur Zeit bin ich mal wieder in meiner „Superman“-Phase. Alle paar Jahre wieder schaue ich mir die Filme über diesen aus dem Weltall auf einer Farm in Kansas gelandeten Außerirdischen an. In anderen Jahren greife ich zu Karl May oder Tolkiens Fantasiewelten. So was ist wie eine Auszeit, um sich vom Stress zu erholen. Um abzulenken. Um letztlich auch einen neuen und kritischeren Blick auf mich selbst zu finden.

Ein Wesen, voller Gerechtigkeitsempfinden, voller Liebe zu seiner Familie – und mit Fähigkeiten, die ihn für fast jede Gefahr eine Lösung finden lassen. Riesenkräfte, hitzestrahlende Augen, Röntgenblick, und natürlich die Fähigkeit zu fliegen oder in irrsinniger Geschwindigkeit zu rennen sind dabei natürlich von Vorteil. Und die Schwäche mit dem Kryptonit, dass ihn seiner Kräfte beraubt, ist eigentlich fast zu vernachlässigen. Ein Held, ein Superheld, wäre ich gern. Einer, der sich in seinen Entscheidungen nicht von seinen Schwächen, höchstens von seiner Liebe lenken lässt. Einer, der seine strahlenden Fähigkeiten hinter albernen Strumpfhosen und einem Cape maskiert und im Alltag zufrieden ist, der harmlose Dorftrottel in der Redaktion des Daily Planet zu sein, dessen Verliebtheit in Lois Lane niemals wirklich eine Antwort findet.

Ein Superheld – oder zumindest vielleicht: ein Superprediger? Wäre ich gerne. Einer, der immer die Worte, findet, die ein Nachdenken auslösen. Die trösten, Kraft geben, zum Glauben einladen. Ich – ein Superprediger? Bin ich wirklich so eitel? Ja, immer öfter ertappe ich mich bei dieser Erkenntnis. Und so brachte mich der Predigttext für diesen Sonntag zu der Frage: Ist es wichtig, warum jemand predigt? Was ist wirklich wichtig bei einer Predigt?

Phil 1, 15-21

1,15 Einige zwar predigen Christus aus Neid und , einige aber auch in guter Absicht:

1,16 diese aus Liebe, denn sie wissen, daß ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege;

1,17 jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft.

1,18 Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen;

1,19 denn ich weiß, daß mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi,

1,20 wie ich sehnlich warte und hoffe, daß ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern daß frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.

1,21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

Ich hab lange überlegt, ob ich diesen Text überhaupt predigen soll. Ich hab andere Möglichkeiten in Betracht gezogen. Etwa mal wieder was zu Jeremia, meinem Lieblingspropheten zum Beispiel. Der, der sich bei Gott beklagt, dass er immer predigen muss, was den Leuten nicht gefällt. Oder ein Text über Hiob, der Gott für sein Leid verantwortlich macht. Ein wenig die Selbstmitleidspose einnehmen? Macht sicher Eindruck. Aber es wäre verlogen. Woran hätte ich schon zu leiden?

Ich hätte auch Texte nehmen können über die Wittwe, die ihr gesamtes Geld in die Kollekte wirft ohne Rücksicht auf das Frühstück am nächsten Morgen. Opferbereitschaft – noch sowas heroisches. Und bei mir: noch was verlogenes. Ich spiele meist auf Sicherheit.

Was macht eine Predigt aus? Worauf kommt es beim Prediger an? Das fragte ich gestern einen Freund, als wir durch die Stadt liefen. Der Freund meinte spontan: Auf seinen Glauben. Und das von einem, der immer deutlich macht, nicht zu glauben. Ok, ein Anfangspunkt. Ein ganz wichtiger. Aber sonst? Ist es wichtig, warum man hier steht?

In vielen Predigten ging es in den letzten Jahren um politische Fragen. Um Gerechtigkeit, um Frieden, um Umwelt. Viele Prediger sind überzeugt davon, dass der Glauben Frucht zu tragen hat. Dass diese Welt durch uns verändert werden muss. Ich kann ihnen nicht widersprechen. Besonders, da ich selbst oft ihre Ziele teile. Doch immer wieder merke ich, dass solche politischen Predigten immer wieder auch nach hinten losgehen können. Da stellt man das Ziel über den Glauben. Versucht, mit der Bibel die Gegenargumente tot zu schlagen. Und treibt damit einige Hörer geradewegs aus der Kirche. Nein: So wichtig oft auch politische Themem sind. Im Zentrum der Bibel muss immer was anderes stehen.

Paulus schrieb seinen Brief im Gefängnis. Und er war nicht nur persönlich in einer mehr als prekären Lage. Auch die von ihm gegründete Gemeinde stand nicht gut da: Es gab Streit. Verschiedene Prediger tauchten auf und machten sich gegenseitig madig.

Paulus war eigentlich ein harter und kompromissloser Missionar. Einer, dem die Integrität über alles ging. Einer, der lieber Freunde verlor, als dass er von seiner Überzeugung abrückte. Doch im Gefängnis: Plötzlich hatte er Zeit zum Nachdenken. Plötzlich rückten sich die Maßstäbe gerade. Endlich sah er ein: Eigentlich bin ich nicht wichtig. Sondern das, was gepredigt wird. Nicht Paulus ist wichtig, nicht Raimund. Christus ist wichtig.

Es klingt paradox, aber: Paulus mutiert hinter seinen Gefängnismauern vom gestrengen Völkerapostel zum gelassenen, entspannten Christenmenschen: Was tut`s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.

Also ehrlich: Das ist eine Zumutung. Sich freuen, wenn andere Erfolg haben. Zustimmen, wo man selbst keine Chancen gehabt hat. Ja selbst sich zu freuen, wenn andere einen bewußt ärgern wollen. Ich bin egal? Bitte, nicht sowas. Das hält doch keiner aus. Paulus, du übertreibst.

Oder?

Warum also predige ich? Die Frage stelle ich mir immer wieder. Und gestern stellte sie mir mein Freund schließlich auch. Und ich blieb erstmal stumm. Denn in den letzten Wochen war das immer genau die Frage, die mich umtrieb. Warum mache ich das noch? Nach all den Jahren? Ohne wirkliche Erfolge. Doch jedes mal ist dann wieder so ein Sonntag, wo einer oder zwei mit ihren Fragen klar machen: Die Predigt war wichtig, hat mich zum Nachdenken gebracht.

Einige predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch aus guter Absicht; diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft.

Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.

Es geht um Christus. Um das Zentrum. Nicht um den Prediger. Ob ich hier stehe – oder wie Paulus im Gefängnis sitze. Völlig egal. So lange es eine Predigt gibt.

Völlig egal, ob ich hier mir jeden Monat versuche, ein paar sinnvolle Sätze zu finden. So lange nur Jesus im Mittelpunkt steht. Völlig egal, wie viele Leute kommen. So lange nur immer wieder jemand etwas zu hören bekommt, was sein Leben ändert, seine Seele berührt.

Was Paulus danach schreibt, ist für ihn ein Trost. Er hat die Zuversicht, dass egal was ist, alles zum Heil ausgeht. Gott will nicht, dass unser Leben scheitert. Er will nicht, das wir verzweifeln im Gefängnis. Worauf es eigentlich ankommt, ist schon längst erledigt.

Christus ist mein Leben – Sterben mein Gewinn. Ein Spruch, der bei zahllosen Beerdigungen gepredigt wird. Der aber eigentlich ein Trost für die Lebenden ist. Ehrlich Raimund: Worum sorgst Du dich eigentlich? Wenn es Dir ernst ist mit dem Glauben, dann ist eigentlich alles schon erledigt. Dann ist selbst der Tod kein Schrecken mehr.

Oder ist es etwa genau das, was dir eigentlich zu schaffen macht? Ist dein Glaube daran, hinter all den verschiedenen Arbeiten, hinter den Sorgen und Überlegungen und Ablenkungen zu verschwinden? Dann brauchst du es gerade, so einen Gottesdienst.Um dich an das wichtige zu Erinnern.

Worauf kommt es bei einer Predigt an? Eigentlich nur auf den Inhalt. Auf die Botschaft: Gott liebt diese Menschen trotz ihrer Fehler. Er will nicht die Verzweiflung. Er will Zuversicht bei aller Unklarheit. Er will unser Leben sein, unser Gewinn.

AMEN.