Hörempfehlungen

My Dusty Roads
Zahllos sind mittlerweile die Zusammenstellungen von Guthrie-Songs. Wenn man eine umfassende und für ihr Alter unwahrscheinlich gut klingende Sammlung sucht, dann sollte man zu der 2009 veröffentlichten Box „My Dusty Road“ greifen. Grundlage dieser Sammlung bilden – und daher klingen sie derartig frisch und klar – Metallmaster von Aufnahmen, die Guthrie ab 1944 für Herbert Harris und Moses Asch gemacht hat und die 60 Jahre ungestört in einem Keller von Brooklyn überlebt haben. Gegliedert in vier Kapitel kann man so einerseits die „Greatest Hits“ von Guthrie (zwischen „This Land“, „The Sinking of the Reuben James“  und „Pretty Boy Floyd“) hören, als auch auf den anderen drei Scheiben thematische Sammlungen. CD 2 etwa ist zu Recht mit „Woodys Roots“ betitelt, enthält es doch Songs die zu den Klassikern der Folkmusik auch dadurch wurden, dass Guthrie und andere seiner Zeitgenossen sie interpretierten. Die dritte CD („The Agitator“) bringt nicht nur einige der Gewerkschaftslieder, die er auch mit den Almanac Singers aufgeführt hat sondern auch einige seiner antifaschistischen Kriegslieder. Für Bluesfans ist dann besonders Teil 4 interessant. Denn hier spielt Guthrie zusammen mit Sonny Terry und dem Folksänger Cisco Houston. Etliche der Titel sind spontane Bluessjams und lassen einen Guthrie erkennen, der wohl nie wieder so meisterhaft als Gitarrist zu hören war. (Rounder)

Woody at 100: The Woody Guthrie Centennial Collection‘
Pünktlich zum 100. Geburtstag erschien im Sommer 2012 eine weitere Box mit drei CDs. Smithonian/Folkways hat – mit einem umfassenden und großzügig illustrierten Buch versehen – ein luxuriöses Paket zusammengestellt, dessen besonderer Kaufanreiz in 21 bislang unveröffentlichten Aufnahmen besteht. Dabei sind vier erst kürzlich entdeckte Nummern aus dem Jahr 1939, die aufgenommen wurden in der Zeit, als er für den Sender KFVD in Los Angeles arbeitete.  Die Texte im Begleitbuch stammen unter anderem von Robert Santelli,  Direktor des Grammy Museums (und Autor des noch immer unversichtbaren „Big Book of The Blues“. (Smithonian/Folkways)

Woodies Erben oder: Neue Songs aus alten Texten
Dass seine Texte heute noch immer bewegen können, wurde Ende des Jahrhunderts deutlich, als Billy Bragg gemeinsam mit Wilco „Mermaid Avenue“ veröffentlichte: Hier treffen gleich zwei Traditionslinien aufeinander, die von Guthrie in die Gegenwart reichen. Auf der einen Seite der vom Punk herkommende britische Songwriter – groß geworden in der britischen Gewerkschaftsbewegung der 80er Jahre. Und dann eine Band, die versucht, den Country von sämtlichen historischen Staubschichten zu befreien und als Musik des späten 20. Jahrhunderts auch für das Rockpublikum zu spielen.  Inzwischen ist „Mermaid Avenue“ auf drei CDs angewachsen. Und 2012 erschien zum Record Store Day dann die wahrscheinlich definitive Variante der Sessions. Zu den CDs enthält die Box noch einen Dokumentarfilm, in dem Norah Guthrie und Billy Bragg auf den Spuren von Woody durch die Gegend fahren und mit Leuten in der Region ins Gespräch kommen.
Mindestens ebenso anregend – wenn auch musikalisch ganz anders gelagert – fiel das zweite Albumprojekt mit unveröffentlichten Guthrie-Songs aus: Hans-Eckardt Wenzel hat für Ticky Tock nicht nur politische Texte, sondern auch Kinderlieder ausgewählt und daraus eine eigentlich typisch deutsche Liedermacherscheibe gemacht.  (Allerdings gibt‘s das Album auch in englischer Fassung unter gleichem Titel…)
Als bislang letztes der Archiv-Projekte erschien 2012 das Album „New Multitudes“ mit dem Amrericana-Stars Jay Farrar, Will Johnson, Anders Parker und Yim Yames.  Ausgewählt haben sie vor allem Liebeslieder und andere Texte, die Guthrie in den 30er Jahren in Kalifornien schrieb. Da finden sich der „Talkin Empty Bed Blues“ oder „Careless Reckless Love“ mit ihrer Sehnsucht nach einer passenden Begleiterin. Und die soll dann – schließlich ist auch das Private politisch – des Sängers revolutionären Sinn erleichtern.
Außerdem finden sich unter den zwölf Stücken (je drei von jedem als Leadsänger vorgetragen) Lieder, mit denen Guthrie die Menschen damals ermutigen wollte und die auch heute noch ihre Kraft behalten haben – auch wenn man Metaphern wie die einer „Hoping Machine“ gnadenlos kitschig finden mag. Doch ohne Hoffnung ist es ja nicht möglich, an den Verhältnissen etwas zu ändern. Und das war damals schon eines der wichtigsten Ziele des Dichters. Und damit ist er erschreckenderweise heute immer noch so aktuell wie damals.