Zeit für ein Interview! (Prinzip verkehrte Welt: Ey Lou Flynn befragt die, deren Job es eigentlich wäre, Ey Lou Flynn zu befragen) Ursprünglich wollte ich heute ein Gespräch mit dem Rolling Stone präsentieren, habe mich dann aber doch für die Wasser-Prawda entschieden, die mir alles in allem etwas subversiver erschien. Lag vielleicht am Namen Es antwortet Nathan Nörgel, der oberste und aktivsten Prawda-Redakteur.
Ey Lou Flynn: Hi Nathan Nörgel! Klär die Genossen doch bitte mal auf – was hat es mit der Wasser-Prawda auf sich und wer sollte sie unbedingt lesen?
Nathan Nörgel: Hallo Ey Lou – ne für mich ungewöhnliche Situation ist das schon. Normalerweise stelle ich ja die Fragen…
Die Wasser-Prawda ist ein Online-Magazin aus Greifswald, das hauptsächlich über Musik schreibt. Entstanden ist die Seite vor etwas mehr als zwei Jahren, um eine Plattform zu haben, um Texte über die Geschichte des Blues zu veröffentlichen, die ich hier als Vorträge gehalten habe. Inzwischen ist daraus eine elektronische Zeitung geworden, wo über die Musik geschrieben wird, die wir (meine Wenigkeit und mein Webmaster) gut finden. Und das geht von Blues, Soul und Swing bis hin zu Liedermachern und Punk und was uns sonst noch vor die Ohren kommt. Wer also mit unserer Musikauswahl was anfangen kann, wird ne Menge zu lesen, sehen und hören bekommen. Wer der Meinung ist, hier fehlen noch Beiträge zu Hiphop, Electronic, Indie,… – schickt mir ruhig Vorschläge und (noch besser) eigene Artikel und Rezensionen…
Lou: …Schreib doch mal über die Tonträger aus Berlin…
…und dann gibt es noch andere Ecken zu entdecken: Im Aufbau befindet sich zur Zeit die Literatur-Ecke, wo befreundete Schreiber Rezensionen verfassen. Und auch im Bereich Kunst und Geschichte soll es demnächst noch mehr Beiträge von anderen geben. Und in den nächsten Wochen wollen wir endlich unseren literarischen Podcast fortsetzen, wo wir das “Waldröschen” von Karl May lesen.
Lou: Was motiviert Dich eigentlich, Dir so wahnsinnig viel Mühe zu machen? Die Wasser-Prawda läuft vor Beiträgen ja fast über! Hast Du einen Tipp für Neuleser, wo sie anfangen können, um nicht gleich in der Flut von Artikeln zu ertrinken?
Nathan: Seit ich mein erstes eigenes Radio habe, bin ich ein exzessiver Musikhörer. Und wenn ich mich für eine Musik begeistern kann, dann will ich mich auch mit anderen drüber austauschen. Irgendwann fing ich also nicht nur an, meine Musik aufzulegen, sondern auch Vorträge zu halten. Wenn ich jetzt ziemlich viel schreibe, dann hängt das mit meiner Musikverrücktheit ebenso zusammen wie mit der Tatsache, dass ich mein journalistisches Handwerkszeug auch in schweren Zeiten nicht einrosten lassen will.
Für Neuleser hilfreich ist die erweiterte Suchfunktion der Seite, wo man gezielt einzelne Bereiche durchforsten kann – also sich meinen ganzen Blues auch ersparen kann. Auch das Archiv bringt eine strukturierte Inhaltsangabe der Seite. Und wer “seine” Ecke gefunden hat, die ihn interessiert, kann sich genau diese auch als RSS abonnieren, so dass er nur noch darüber informiert wird.
Lou: Die Wasser-Prawda hat neulich “Mann mit Hund” verrissen, völlig zu Unrecht, wie ich finde! Für meinen superguten Kumpel Friedlich Chiller, den ihr übrigens sehr konsequent falsch geschrieben habt, hattet ihr auch wenig nette Worte übrig. Ich bin absolut für Pressefreiheit, aber das interessiert mich jetzt doch: Warum schreiben so viele Musikblogs und Fanzines immer wieder über unbekannte Bands und Musiker, die es ihrer Meinung nach eh nicht wert sind, gehört zu werden? Macht das Spaß?
Nathan: Ok, für die Falschschreibung muss ich mich hier in aller Form und deutlich entschuldigen. Sowas darf mir nicht passieren – und ich werde das auch noch korrigieren. Ansonsten: Ich hab das nicht als Verriss gemeint. Ich bin durchaus ein Fan von Nonsens und völligem Blödsinn. Aber wahrscheinlich ist meine Lust an blöden Formulierungen mit mir durchgegangen.
Wenn ich tagsüber beim Musikhören sitze, kommt mir ne Menge Zeug vor die Ohren, was ich entweder schlecht oder einfach nur langweilig finde. Darüber schreibe ich eigentlich nie. Wenn ich mir die Zeit nehme, über jemanden eine Rezension oder einen Artikel zu schreiben, dann deshalb, weil ich der Meinung bin, das er das verdient hat. Verrisse machen Spaß – aber eigentlich nur bei Leuten, die die Leute schon kennen, die schon bessere Werke vorgelegt haben. Wenn Du also Verrisse auf der Wasser-Prawda findest (es sind nicht so viele glaub ich), dann hör trotzdem in die Sachen rein – dafür bau ich ja (wenn möglich) Player oder Videos in die Artikel mit ein.
Lou: Wo wir gerade von Qualität sprechen – was hältst Du eigentlich von “freier Musik” unter Creative Commons Lizenzen? Ist das für Dich eine Idee mit echtem Zukunftspotential, oder doch eher ein trauriger Zufluchtshafen für No-Name-Bands mit chancenlosen Songs?
Nathan: Seit nem Jahr oder so höre ich verstärkt Bands aus der “freien Musik”. Und ich hab da schon jede Menge entdeckt, was ich für absolut großartig halte. Das war auch der Grund, weshalb wir eine extra Kategorie für “Freie Musik” in die Seite eingebaut haben. Und da geht es quer durch alle Stile von der Klassik bis hin zu Rock und Ska. Ich finde, das Prinzip der Creative Commons Lizenzen ist eine der wirklich zukunftsfähigen Entwicklungen in der Kunst überhaupt. Wenn ich mir Musik anhören kann, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben, dann bin ich auch bereit, Geld für Konzerte der Band auszugeben und mir dann auch “echte” Tonträger zu kaufen. Es ist schade, dass es kaum noch “wirkliche” Plattenläden gibt, die ein breites Angebot jenseits der Charts vorrätig haben, wo man einfach mal hören kann, was sonst so neues erschienen ist. Plattformen wie Jamendo haben das für mich ein wenig ausgeglichen. Da erscheint so viel Musik, dass man wirklich nur nen kleinen Teil wirklich anhören kann. Aber immer wieder stößt man da auf Schätze, wo man sich fragt, warum man die eigentlich noch nicht im Radio hören kann.
Der Anteil an chancenlosen Musikern dürfte hier etwas höher sein als im Vorzimmer von Dieter Bohlen. Aber ich halte das Prinzip für wirklich zukunftsweisend und unterstütze es gerne.
[Nathan Nörgel empfiehlt: Killing Jazz, Southern Yankee & Castigroove]
Lou: Mich interessiert wahnsinnig, auf welche Weise sich Leute Musik reintun! Wie sieht Deine Musiksammlung aus? Vinyl, CDs, mp3s, komplette Alben oder bunt zusammen gewürfelte Playlists? Beschallung im Hintergrund oder aktives Zuhören? Last.fm, Radio, Konzerte, Festivals – wie hörst Du so?
Nathan: Meine Musiksammlung geht quer durch alle Medien (ach nein, MCs hab ich keine mehr): Vinyl, CDs (viel mehr) und in rein digitaler Form auf der Festplatte. Eigentlich bin ich ein Sammler, der am liebsten alles in sein Regal einsortieren möchte, was er so findet. Aber gerade bei meinem Archiv zur Geschichte des Blues bin ich froh, dass das auf der Festplatte ist – so groß ist meine Wohnung nicht.
Singles hab ich kaum – ich bin eher der Albumtyp, der eine Platte normalerweise auch immer von Anfang bis Ende durchhört. Die Kunst des Albums ist trotz des Internets und iTunes zum Glück noch nicht ausgestorben.
Während ich das hier allerdings schreibe, höre ich eine selbstzusammengestellte Playlist – das ist zur Zeit bequemer und dient außerdem dazu, für meinen nächsten Auftritt als DJ paar neue Sachen vorzuhören.
Leider ist die live-Musik-Szene hier im Norden relativ mies. So komme ich viel weniger zu Konzerten, als ich eigentlich möchte. Fest eingeplant ist daher in meinem Festivalkalender bislang nur das erste Juli-Wochenende. Da sind hier die 30. Jazz-Evenings in der Klosterruine Eldena, wo unter anderem Al Di Meola und Klaus Doldinger auftreten werden.
Lou: Ach, Klaus Doldinger? Der lebt noch? Phänomenal! Und danke für das Interview!
Hier geht es zur Homepage von Ey Lou Flynn, bei dem ich mich auch herzlich für das Interview bedanke. Demnächst folgt dann die Revanche mit umgekehrten Rollen!