Was Neil Stephenson in seinem Roman „Diamond Age“ versucht, ist das klassische Genre des Bildungsromans mit Elementen von Science Fiction und Cyberpunk zu vereinen. Ein großartiges Lesevergnügen, wenn man sich von den vielschichtigen Handlungssträngen nicht abschrecken lässt.
Welche Macht haben Bücher? Können sie wirklich dazu beitragen, die Menschen zu erziehen, ihnen auf dem Weg durch ihr Leben zu helfen, gar Fehler des Gesellschafts- und Schulsystems zu überlisten? Nell, ein Mädchen aus den armen Vierteln bekommt eines Tages ein Buch in die Hände, das genau das vorhat: Das Buch bringt ihr – unterstützt von einer Schauspielerin, die sich dessen erst nicht bewußt ist – bei, nicht nur zu lernen, sondern auch in der gefährlichen Umwelt zu überleben.
Das „diamantene Zeitalter“, von dem Stephenson schreibt, ist die Zeit, wo dank Nanotechnologie eigentlich der Hunger und die Armut besiegt sein könnten in der Welt. Doch statt in Staaten ist die Welt in zahllose Stämme zerfallen, die sich auf unterschiedliche kulturelle oder religiöse Regeln berufen. Da sind einerseits die Neovictorianer, die die ästhetischen und moralischen Regeln zu Zeiten des britischen Empire neu beleben. Oder es gibt maoistische, jüdische, konfuzianische,… und es gibt die, die einfach am Rande der Gegend in den Leasing-Parzellen ihr Dasein fristen. Dank Materiekompiler hat jeder zu Essen. Doch eine Chance aus der Armut und Umweltverschmutzung heraus zu kommen, hat dort eigentlich nieman.
Nell allerdings, unterstützt von ihrer Fibel, schafft den Aufstieg in die viktorianischen Kreise einerseits aber lernt auch, die falschen Fassaden zu durchschauen und letztlich ihren eigenen Weg zu gehen und damit der nächsten gesellschaftlichen Revolution zum Durchbruch zu verhelfen. Denn neben dem klassischen Bildungsroman um Nell und ihren Bruder enthält – wie man das von Romanen Stephensons schon gewohnt ist – das Buch zahlreiche andere, zunächst scheinbar beziehungslos einherlaufende Handlungsstränge, die erst im Finale miteinander wirklich verknüpft werden. Da lernen wir die absonderlichen Kreise der Trommler kennen, die die Informationsweitergabe per Sexorgien pflegen, es gibt Diskussionen über Konfuzianismus, über Theater und über Moral oder Intofrmationstheorien. Diesen Strängen ist nicht immer leicht zu folgen – und manche etwa über Tourings Maschinen sind auch nicht wirklich wichtig. Doch in all seiner Vielfältigkeit ist Diamond Age ein wundervolles sommerliches Lesevergnügen.
Neil Stephenson: Diamond Age – Die Grenzwelt
- Verlag: Goldmann Verlag 2001
- ISBN-10: 344245154X
- ISBN-13: 978-3442451548
- Originaltitel: The Diamond Age or, A Young Lady’s Illustrated Primer