Nun ist es also da, die angekündigte Neuausgabe des Stones-Meisterwerks Exile on Main Street, dessen wilde und verworrene Enstehungsgeschichte an dieser Stelle schon gewürdigt wurde. 10 Neue Songs waren angekündigt, letztendlich sind es dann doch etwas weniger, weil 2 Alternate Takes von Songs sich auf der Bonus-CD finden.
Die Verwirrung des Rezensenten nimmt zu, wenn man auf dem Cover liest, das der Produzent des Albums Jimmy Miller sei. Der ist aber 1994 gestorben, was die interessante Frage aufwirft, ob er schon früher , also vor seinem Ableben, diese Songs remastert hat. Das gab es in der Stones-Geschichte schon einmal: Das ganze Album Tattoo You ist aus übriggebliebenen Songs alter Alben entstanden, teilweise finden sich noch Gitarrenspuren von Mick Taylor auf diesem Album von 1981. Taylor verließ die Stones aber schon 1975.
Im Booklet findet sich dann der Hinweis, das Don Was als weiterer Produzent tätig war, was die Verwirrung etwas mindert, Was ist der Produzent der Stones seit dem Bridges To Babylon-Album, mit dem die Stones ihren Sound in die Neuzeit hieven wollten. Wahrscheinlich hat er die Arbeit Millers beendet oder sogar die 10 Bonus-Songs allein aufpoliert.
Nun, was hören wir? Zuerst, die Neugier ist zu stark, die Bonus-Cd in den Player. Der gute Sound ist das erste was mir auffällt, der Sound von Exile war immer eine Katastrophe, was mit den Enstehungsbedingungen des Albums zusammenhängt. Ich besitze zwei CD-Ausgaben und die Original-Vinyl-Pressung (die noch wieder anders klingt als die CDs), diese Ausgabe klingt definitiv am Besten. Der erste Song ist Pass the Wine, ein im Vergleich zu den späteren Songs ein fertiger Song, mit Background-Vocals und Bläsern. Der zweite Song ist das großartige Plunder my Soul, ebenfalls mit Background Vocals und Bobby Keys am Saxofon, eine tolle Hymne. Warum dieser Song nicht auf dem Album landete? Der dritte Song ist insofern ein Novum, weil Keith nicht mitspielt, eine Piano-getragene Nummer im Blues-Schema und Mick spielt Blues-Harp (was er normalerwiese sehr gut kann, hier aber nicht so rüberkommt. Blues-Stücke gibt es auf Exile viele und bessere (Ventilator Blues, Shake Your Hips), das dieser Song nicht mit raufgekommen ist, ist nach dem Hören verständlich. Die nächsten Songs sind ebenfalls neu, typische Stones-Nummern, die teilweise einen etwas unfertigen Eindruck machen. Ein Titel variiert das Lick von Paint it Black in rhythmisch abgewandelter Form, vielleicht hatte man hier Angst vor einem Selbstplagiat. Good Time Women (Titel 9) ist quasi musikalisch eine frühe Form von Tumbling Dice, identische Riffs, gleiche Songstruktur.
Interessant ist der Alternate Take von Loving Cup, im Tempo langsamer, die Band startet gleich, die Originalversion beginnt ja mit einem Intro des Pianos, dann startet eine Western-Gitarre, die Band setzt erst später ein. Die alternative Version ist gitarrenbetonter und rauher, nicht schlecht. Danach kommt der Alternate Take von Soul Survivor und, Überraschung, Keith singt! Die Background-Einwürfe der Originalversion fehlen, das Gitarrenriff ist aber identisch. Cool, aber man weiß jetzt, warum Mick der Sänger ist.
Das Bonus-Album schließt mit einem Instrumental, sehr kurz, fast psychodelisch, obwohl diese Phase der Stones doch damals schon lange vorbei war. Wenn die Stones so etwas auf die Scheibe packen, kann man sicher sein, dass nichts mehr da ist.
Fazit- nicht schlecht, aber auch nicht die Mega-Überraschung. Kein Titel außer Plunder my Soul hätte wirklich auf das Album gehört, die Alternativversionen sind interessant, einiges wie Titel 5 hätte man weglassen sollen.
Sonst noch was? Bestimmt werden nach mehrmaligen Hören noch Sachen auftauchen, aber die Geschichte der Stones muss wegen dieses Albums nicht neu geschrieben werden.