Literaturwissenschaftler, Rezensenten und Leser neigen dazu, mit Superlativen zu operieren: Dieser oder jener Schriftsteller sei der Größte seiner Zunft, dieser oder jene Roman das Sinnbild einer Epoche. Bei David Foster Wallace wäre jede dieser Zuschreibungen unzutreffend: David Foster Wallace nämlich ist der Superlativ! Anlässlich seines Geburtstages setzt sich Erik Münnich in Form von Fortsetzungsbeiträgen mit dem Werk des Autors, seiner Wallace-Lektüre und den damit verbundenen Eindrücken auseinander.

 

I: Meine erste Begegnung mit David Foster Wallace

 

Am 21. Februar wäre der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace fünfzig Jahre alt geworden, wenn er sich nicht am 12. September 2008 das Leben genommen hätte. Für mich als Leser wäre das Leben im Konjunktiv ein schönes, dann könnte ich mich auf weitere Neuerscheinungen von ihm freuen, diese verschlingen, begeistert wie sprachlos sein, wie ich es immer war, seitdem ich ihn zum ersten Mal vor vier Jahren gelesen habe. Damals – ich muss gestehen, von ihm bis dahin noch nie etwas gehört zu haben – habe ich seinen Erfahrungsbericht über eine Kreuzfahrt – Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich – geschenkt bekommen.

Schon dieser für Wallace Verhältnisse schmale, in seiner Konzeption recht einfach zu überschauende Band hat das vereint, was für ihn typisch ist und für mich in jedem weiteren Band offen zu Tage trat: eine genaue Beobachtungsgabe, der keine noch so vermeintlich nebensächliche Banalität entgeht, und die Fähigkeit, all diese Beobachtungen präzise, mit einer gewissen Ironie und auf eine schwer zu beschreibende, aber immer spielerische Weise – im Sinne von: im Spiel mit dem Gegenstand, den dazugehörigen Motiven, Einstellungen, Vorurteilen, Sichtweisen usw. – umzusetzen. Dieses Buch hat bei mir eingeschlagen wie eine Bombe, weil ich – auch wenn das sehr kitschig klingen mag – immer auf der Suche nach solch einem Ton, solch einer Sprache, solch perfektem Zusammenspiel zwischen Inhalt und Form war. Ein Autor, der den Auftrag, eine Kreuzfahrt zu unternehmen und darüber zu schreiben, annahm und dann genau das Gegenteil davon tat, was Auftraggeber und Leser erwarten (könnten): ein Bericht, der die Gewohnheit, Kreuzfahrten zu unternehmen und die Welt darüber zu entdecken, spitzfündig, ironisch, sarkastisch und fernab der üblichen Konventionen des Genres auf´s Korn nimmt. Der darüber hinaus die Vermarktung – die dezidierte Auseinandersetzung mit dem Werbeprospekt der Reederei, die einige Kapitel in Anspruch nimmt und die damit verbundenen Absurditäten darstellt und mit der „Wirklichkeit“ abgleicht – den Service – das permanente Erstaunen über die Unsichtbarkeit des Servicepersonals, das es immer wieder schaffte, seine Kabine zu reinigen, auch wenn er eigentlich immer anwesend war – die eigenen emotionalen Dispositionen – DFW, wie er von Fans liebevoll genannt wird, war depressiv und hatte große Probleme, unter Menschen „zu gehen“, was sicher nicht gerade vorteilshaft für eine Unternehmung wie diese ist – seine Ein- oder Ausfälle – ich muss hier sofort an das Captain´s Dinner denken, wo Wallace anstelle des geforderten Fracks ein T-Shirt mit aufgedrucktem Schlips trug und (nicht beabsichtigte) Aufmerksamkeit auf sich zog, was ihn so peinlich berührte, dass er sich sofort sicher war, solch einen Foppend nie wieder zu begehen – die im Rahmen einer solchen Kreuzfahrt angebotenen Freizeitaktivitäten – die Tischtennis-Duelle mit einem Mitglied des Bord-Personals, die von einem sportlichen Ehrgeiz geprägt waren und zu verbalen Auseinandersetzungen führten, wie sie von, vor allem, Tennisspielern bekannt sind; der Umstand, dass DFW in seiner Jugend als hoffnungsvolles Tennisnachwuchstalent galt, spielt hier sicher eine Rolle – verschiedene Gespräche mit anderen Reisenden – vor allem die Dialoge, die sich im Rahmen der abendlichen, teils zwanghaften, teils aber auch spontanen Tischkonversation ergeben haben, treiben einem die Tränen in die Augen und deuten das an, was für Wallace als typisch gelten kann: die Wiedergabe tatsächlicher, nicht fingierter Gespräche, die Unterbrechungen, Denkpausen, Miss- und Unverständnisse usw. übersetzen und niemals begradigen, was allerdings in diesem Buch noch lange nicht so ausgeprägt ist, wie in seinen anderen Werken – präzise wie detailverliebt – und das ist ganz bestimmt nicht negativ gemeint, sondern grundlegende Bedingung für Erzähltexte – beschreibt, reflektiert, resümiert, übertreibt, bricht und dabei eine sprachliche Brillanz aufweist, die nicht oft anzutreffen ist. Anmerkungen will ich an dieser Stelle, dass der Übersetzer etwas zu weit über das Ziel hinausgeschossen ist: ein Markenzeichen von David Foster Wallace ist die Fußnote, welche Handlungen, Aussagen, Begriffe und dergleichen kommentiert, einordnet, erklärt usw. und so weitere Handlungsebenen eröffnet. Die Gefahr, dass der Lesefluss unterbrochen wird – man ist geneigt, die Lektüre zu unterbrechen, weil man Angst hat, wichtige Anmerkungen oder Erläuterungen zu verpassen – ist natürlich gegeben, spielt aber, hat man sich daran gewöhnt – was schnell geschieht – nur eine untergeordnete Rolle. Und hier kommt der Übersetzer ins Spiel: er hat eine Fußnote, die im Originaltext nicht angelegt ist, hinzugefügt. Ich finde, dies ist ein unnötiger, weil für den Text in keiner Weise erforderlicher, Eingriff. Das aber nur am Rande.