Matthäus 11, 02-06 – 14.12.2008 -Advent: Aufräumen und Ärgern
Großes Reinemachen? Ich hab es immer gehasst, wenn meine Mutter mit solchen Plänen kam vor Feiertagen oder wenn sich seltener Besuch angekündigt hat. Alles wegräumen, jeden Winkel durchsuchen, ob noch was nicht an seinem Platz liegt. Und das alles möglichst schnell und in absoluter Topqualität. Die Stunden gehen dahin und man sieht kein Ende der Arbeit kommen. Zu viele Bücher liegen einfach in Stapeln in der Ecke statt sortiert im Regal, die Hemden müssten gebügelt werden, die Fenster könnten eine Wäsche vertragen.
Großes Reinemachen? Zu so was hat Johannes der Täufer aufgerufen, zu radikalem Ausmisten im politischen und vor allem auch im persönlichen Bereich: Wenn Gott eingreift, wenn er den Retter schickt, dann könnt ihr nicht so bleiben, wie ihr seid. Dann müsst ihr ausmisten in euren Verhaltensweisen. Dann muss Schluss sein mit dem alltäglichen Schlendrian und den kleinen Betrugsversuchen. Räumt auf!
Zugleich hatte er Gottes Gericht über die Unbußfertigen angekündigt mit den Worten: "Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen" (Lukas 3, 9).
Der König Herodes hat ihn einsperren lassen. Er wurde ihm mit seinen Bußpredigten lästig. Er wurde ihm mit seinen Aufrufen nach Veränderung gefährlich. "Kehrt um, tut Buße". Er hat ihn politisch missverstanden. Darum sitzt Johannes ein. Darum wird er letztlich gewaltsam ums Leben kommen.
Was schon wieder Johannes?, könntet ihr jetzt fragen. Habt Ihr da nicht schon vor zwei Jahren im Adventsgottesdienst drüber gepredigt? Doch ich glaube, das Thema ist noch immer aktuell.
Matthäus 11, 2 – 6
(2) Als aber Johannes im Gefängnis die Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger
(3) und ließ ihm sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?
(4) Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht:
(5) Blinde werden sehend, und Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt.
(6) Und glückselig ist, wer sich nicht an mir ärgern wird!
Jesus fragen können – Johannes hat uns gegenüber einen großen Vorteil. Ich würde es gerne mal machen, Jesus paar Fragen zu stellen. Ein Interview mit Jesus – das wäre der Knüller in jeder Talkshow und jeder Zeitung. Sag mal Jesus, wie siehst Du das eigentlich, was wir Menschen so treiben? Wie ist deine Meinung zu den Kirchen, die sich alle auf dich berufen?
Jesus als Interviewpartner, möglicherweise noch in einer der zahllosen Talkshows? Für manche ist allein die Vorstellung ärgerlich. So kann man mit Jesus doch nicht umgehen! Als wir im Predigerseminar mal eine Jesusgeschichte mit den Mitteln des Journalismus darstellen sollten, da hab ich aus der Heilung des Gelähmten, der von seinen Freunden durchs Dach eines Hauses runtergelassen wurde, einen BILD-Artikel gemacht. Aber ich bin davor zurück geschreckt, Jesus selbst als Befragten auftreten zu lassen. Das schien mir denn doch zu heikel, zu gefährlich – wer bin ich, der ich Jesus Antworten in den Mund legen könnte? Jesus als Interviewpartner – eher nicht. Oder doch? Denn der Predigttext selbst ist wie eine Art Interview aufgebaut: Auf die Frage Johannes' des Täufers gibt Jesus von Nazareth eine Antwort. Johannes der Täufer ist gleichsam der erste Interviewer in der christlichen Geschichte. Über seine Jünger lässt er Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
In der Todeszelle hört er von den Werken Christi. Er hört von der Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31), eines Gelähmten (Mt 9,2-8), eines Aussätzigen (Mt 8,1-4), eines Tauben (Mt 9,32-34); zu guter Letzt hört er von der Totenauferweckung eines Mädchens (Mt 9,18-26). Durch alle Ritzen des bedrückten Landes dringt die Kunde von einem Retter und Visionär. Die Menschen strömen herbei und hören seine Rede: Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden (Mt 5,3-4.6).
Wenn ein neuer Präsident antritt, dann werden ihm auf allen Sendern und Kanälen Fragen gestellt: Wer bist du? Was ist dein Programm? Was lässt sich von dir erwarten? Ein Antrittsinterview jagt das nächste. Wenn wir auf unseren Predigttext blicken, dann hat scheinbar Johannes der Täufer diese Tradition des Antrittsinterviews begründet. Er führt gewissermaßen das exklusive Christus-Interview im Advent: Bist du es, der da kommen soll?
Die Frage im Interview
Verharren wir ein wenig bei den Fragen im Christus-Interview. Welche Fragen würden wir heute im Advent stellen, wenn wir dazu wie Johannes der Täufer die Gelegenheit hätten? Was wäre deine Frage?
Verehrter Jesus, wie hast Du das damals mit dem auferweckten Mädchen gemacht? Gilt die Seligpreisung der geistlich Armen auch für das Weiße Haus und andere Wohnsitze von Politikern? Lieber Jesus, kommst Du, wenn Du kommst, immer noch ökologisch vorbildlich auf einem Esel geritten?
Locker und aufgeräumt könnte solch ein Christus-Interview verlaufen – unter der Schlagzeile: BILD sprach noch vor seiner Ankunft mit dem Sohn Gottes! Aber an den Fragen merken wir, dass sich Jesus Christus nicht einfach am grünen Tisch interviewen lässt. Denn am grünen Tisch im Studio lassen sich Politiker und Prominente, Stars und Sternchen befragen – mit interessanten und weniger interessanten Fragen. Aber Christus lässt sich in diesen Fragen weder ergreifen noch begreifen.
Im Matthäusevangelium wird betont, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus seine Frage stellt. Wenn man im Dunkel sitzt, wenn es um das Ganze geht, wenn das Leben auf dem Spiel steht, dann kommt man zu Fragen, die Christus entsprechen. Das ist das Ärgernis, dass sich Christus nicht einfach an jedem Ort befragen lässt. Denn nur wenn man sich wirklich mit ganzem persönlichen Ernst auf ihn einzulassen bereit ist, wenn man sein Leben in seinem Sinne in Frage stellen lässt, dann werden die Antworten auch klar.
Die Antwort im Interview
Auf eine jede Frage in einem Interview wird eine Antwort erwartet. Als die Jünger des Täufers dessen Frage überbracht haben, antwortet Jesus und spricht: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Auch die Antwort Jesu lässt sich nicht einfach am grünen Tisch eines Interview-Studios verstehen. Wir hören kein direktes Ja oder Nein. Wir bekommen keine Antwort, die man bloß abzunicken bräuchte, um zur nächsten Frage zu kommen. Das ist das Ärgernis, dass man Christus allein dann begreift, wenn man selbst zum Ohren- und Augenzeugen seines Wirkens wird. Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht, antwortet Jesus. Das ist das Ärgernis, das man sich selbst mithineingeben muss in das Christusgeschehen. Hier gibt es keine Zuschauerplätze, auf denen man bequem gepolstert einem religiösem Schauspiel beiwohnen kann. Der, der da kommt in dem Namen des Herrn, der fordert unser Herz, unsere Entscheidung, unsere Traurigkeit und unsere Freude heraus.
Mit dem Einbruch des Neuen und Ungewohnten stehen wir vor dem letzten Ärgernis, das der Predigttext am 3. Advent auslöst. Denn der erwartete Retter bürstet unsere Erfahrungen gegen den Strich: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Es geschieht eine Umkehrung und Umwertung aller Dinge. Nichts bleibt beim alten. Wer die auf allen Nachrichtenkanälen verbreitete Finanzkrise verfolgt, hat erfahren, wovon ich spreche: Aktien sind auf einmal nichts mehr wert; sicher geglaubte Bankeinlagen bereiten Angst und Sorge; Finanzexperten sind mit ihrem Latein am Ende. Das ist das Ärgernis: Nichts bleibt wie es ist, und alles wird anders.
Wenn der kommt, der da kommen soll, dann erkennt man die Blinden und Lahmen nicht wieder, die Geistreichen und die Geistlosen, die Aussätzigen und die Tauben, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Armen und die Reichen, die Hohen und die Tiefen, die Gottlosen und die Frommen. Das ist das Ärgernis, dass der Advent Gottes so ganz anders sein wird als man sich ihn vorstellt und ausmalt. Am Ende geschieht der Advent Gottes dort, wo man ihn zuallerletzt erwarten würde: Bei den Schmutzigen und Verpennten, bei den Taugenichtsen und Gelegenheitsarbeitern, bei den Schulabbrechern und Verpeilten. Der Advent Gottes macht aus Verlierern Gewinner und aus Traurigen Fröhliche. Das wird ein Singen und Jubeln sein! Und der Advent Gottes macht aus Gewinnern Verlierer und aus Fröhlichen Traurige. Das wird ein Heulen und Zähneklappern sein! Der, der da kommt, kommt als Anstoß und Ärgernis der Sicheren und Selbstsicheren. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.
Das heilsame, fruchtbare Ärgernis
Blicken wir auf unseren Predigttext zurück. Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt – aber: Er kommt als ein Ärgernis! Das Kommen Jesu als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte.
Manchmal gibt es das: Ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Etwas, an dem man sich reiben kann, was nicht einfach ohne Widerstand an mir vorbei gleitet. Ein Wort, was sich festhakt im Gedächtnis und immer wieder in Erscheinung tritt, wenn man es am wenigsten erwartet. Bei mir war das in den letzten Monaten ein Satz: Wenn Du Dir ständig Sorgen machst, wenn Du nicht zur Ruhe kommst, weil Du ständig über die Zukunft grübelst – ist das nicht ein Zeichen dafür, dass Du zu stolz bist? Zu stolz, um Hilfe zu bitten, zu stolz, um Gott die Sorge um Dein Leben zu überlassen?
Das hat gesessen. Das war ein Satz, der ärgerlich war. Der aber auch hilfreich war und zum Nachdenken und Aufräumen in meinem Kopf und in meinem Leben angeregt hat. Und damit komme ich wieder auf das Motto des Gottesdienstes zurück: Es ist nötig, das große Reinemachen, das große Aufräumen. Denn sonst ist einfach kein Platz und keine Ruhe, um wirklich auf die Texte zu hören, die uns zu Weihnachten wieder neu gesagt werden: Fürchtet Euch nicht! Euch ist der Heiland geboren.
Gottes Advent ist ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Gottes Advent ist ein Anstoß und Durchstoß. Nichts bleibt beim alten. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Matthäusevangelium.