Marvin_Gaye__Tammi_Terrell2Detroits Hitfabrik Motown war nicht die Adresse, von der man ein Album erwartet hätte, dass sich mit Fragen wie Religion, Krieg, Umweltfragen oder Armut auseinandersetzt. Doch Marvin Gayes 1971 erschienene LP ist genau das. Und es ist in seiner Geschlossenheit ein Meisterwerk, wie es es bis dahin nicht und seither auch kaum gegeben hat im Soul.

 

Motown hatte Ende der 60er den Anschluss an die Musikgeschichte verpasst. Die Menschen wollten nicht mehr blitzsauber polierte Teeny-Hits mit Wohlfühlgarantie. Politische Themen hatten nicht nur im Folk sondern auch im Soul längst ihren Platz eingefordert. Und musikalisch war durch den Psychodelic-Rock Kaliforniens mindestens eine ebenso große Revolution im Gange wie im Ansteigen von Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung. Weiße und schwarze Musiker spielten nicht nur zusammen. Sie vermischten auch alle möglichen Einflüsse hin zu einer echten amerikanischen Musik.

Dass Marvin Gaye sich daher bei Motown als Künstler nicht mehr wohlfühlte, ist verständlich. Er hatte es satt, als singendes Sexsymbol verkauft zu werden und wollte endlich als Künstler ernstgenommen werden. Ende 1970 weigerte er sich daher, weitere Titel aufzunehmen, als Berry Gordy sich weigerte, „What’s Going On“ als Single zu veröffentlichen. Als die für unkommerziell gehaltene Single dann doch erfolgreich war, nahm Gaye den Rest des Albums im März 1971 innerhalb von zehn Tagen auf und Motown veröffentlichte es Ende Mai. Gay unterstrich damit seinen Rang als einer der wichtigsten Künstler in der Popmusik. Und Motown, das eigentlich auf Hit-Singles abbonierte Label hatte damit eines der besten Soul-Alben aller Zeiten veröffentlicht.

Der Titelsong, aus der Sicht eines Vietnam-Veteranen geschildert, bringt die Fragen eines in ein unbekanntes Land Heimgekehrten. Zwischen Depression und Hoffnung, Zorn und Jubel bringt Gaye in Liedern wie „Mercy Mercy Me (The Ecology)“, „Inner City Blues (Make Me Wanna Holler)“ oder „Save The Children“ sein Innerstes zum Ausdruck. Gleichzeitig nahm er von der musikalischen Form seiner früheren Hits wie „I Heard It Through The Grapevine“ Abschied: Relaxte Grooves, fette Basslinien und eine jazzige Begleitung prägen das ganze Album. Die Funk Brothers, Motowns Hausband um Bassist James Jamerson und Gitarrist Joe Messina, sorgten für die passende Umsetzung der nachdenklichen Lieder.