Auf der Gitarre (und schon vor ihr auf dem Banjo und anderen Vorläufern) gibt es zwei Möglichkeiten des Spiels: Musiker wie Blind Lemon Jefferson oder Son House gehören mehr oder weniger zu den rhythmusbetonten Spielern, die den Gesang mit Akkordfolgen begleiten. Daneben gibt es die so genannten „single-note“-Spieler, die die Gitarre mehr als Melodieinstrument betrachten. Die ersten Gitarristen dieser Schule, die mit Blues und Jazz auf Platten aufgenommen wurden, waren Lonnie Johnson und Eddie Lang.
Ein paar Worte vorweg: Einer der für mich spannendsten Blogs in der Blueswelt stammt von dem irischen Theologen Gary Burnett. Einige seiner Texte haben wir im Lauf der Jahre hier in deutscher Übersetzung vorgestellt. Als er dann „The Beginning of the Blues Guitar Solo“ online stellte, wollte ich ihn eigentlich wieder komplett übernehmen. Doch dann entschied ich mich doch dafür, den Text um die Fakten zu erweitern, die ich in den letzten Jahren zu Lonnie Johnson gesammelt habe und auch die Biografie von Eddie Lang etwas ausführlicher zu schildern. Denn – und hier hat Burnett eindeutig recht: Die gemeinsamen Sessions von Lonnie Johnson, dem farbigen Bluesman aus New Orleans und Eddie Lang, dem italienischstämmigen Jazz-Gitarristen aus dem Norden haben nicht nur Musikgeschichte geschrieben sondern sind gleichzeitig ein frühes dokumentiertes Beispiel für die Überwindung des Rassismus in und durch die Musik. Was ich aus Platzgründen leider streichen musste, sind Burnetts theologische Schlussfolgerungen, die immer einen Reiz seiner Blogbeiträge ausmachen. Raimund Nitzsche
Lonnie Johnson gilt als direktes Vorbild für solche Schlüsselgestalten der Blues-Historie wie Robert Johnson und B. B. King. Dabei ist er nicht einmal in der Tradition des Country Blues aufgewachsen, sondern hat diesen Stil nur übernommen.
Geboren wird er als Alonzo Johnson am 8. Februar 1889 (oder 1894 oder 1899 – die Angaben dazu differieren) in New Orleans als eines von 11 Kindern einer armen Familie (1915 starben außer ihm und einem älteren Bruder alle an der „Spanischen Grippe“). Ausgebildet an Gitarre und Violine arbeitet er während des 1. Weltkrieges in seiner Heimatstadt zusammen mit seinem Bruder als Musiker; der Jazzbassist Pops Foster nennt ihn den „einzigen Burschen in ganz New Orleans, der Jazzgitarre spielen konnte“. 1917 bis 1919 gehört er zum Ensemble eines Repertoiretheaters, das zur Truppenbetreuung in London musikalische Revuen aufführt. Wieder in den USA, wird er in St.Louis Mitglied der Band „Jazz-O-Maniacs“ des Kornettisten Charlie Creath, mit der er auf dem Mississippidampfer „St. Paul“ zu hören ist; in dieser Zeit wird er ein guter Orchestermusiker. 1922 verlässt er Creath im Streit, geht nach Galesburg, Illinois, und arbeitet in einer Reifenfabrik. 1925 findet er in St. Louis einen Job in einer Stahlfabrik.
Im Herbst 1925 gewinnt er einen Blues-Wettbewerb im Booker T. Washington Theatre und erhält so einen Schallplattenkontrakt bei der Firma Okeh, für die er bis 1932 zahlreiche Titel aufnimmt. Seine Platten haben Erfolg; als Sänger und Gitarrist wird er sehr begehrt. Auch Jazz Bands nehmen seine Dienste in Anspruch: Im Dezember 1927 nimmt er mit Louis Armstrongs „Hot Five“ 4 Titel auf, im Herbst 1928 kommt es zu Einspielungen mit dem Duke Ellington Orchestra und der Sängerin Baby Cox (die Platte erschien sogar unter dem Namen „Lonnie Johnson and his Harlem Feetwarmers“), und 1929 ist er bei Aufnahmen des Louis Armstrong Orchestra wieder dabei. Reisen, Tourneen und eigene Aufnahmen jagen einander.
Sein 1926 aufgenommenes „To Do This You Gotta Know How“ veränderte den Blues für immer und ist noch heute ein außerordentliches Stück Gitarrenzauberei zwischen Blues und Jazz. Johnson führte eine völlig neue Art des Gitarrenspiels ein und war somit „unbestreitbar der Schöpfer eines Note für Note gespielten Gitarrensolos, welches der Standard in Jazz, Blues, Country und Rock wurde“, wie der Blueshistoriker Gérard Herzhaft schreibt. Johnson‘s Stil ist die Grundlage dessen, was wir heute als das moderne Spiel auf der elektrischen Blues-Gitarre kennen .
1929 geht Johnson als Begleiter von Bessie Smith auf Tournee, mit der er gut befreundet ist. Während der Weltwirtschaftskrise kann er zwischen 1932 und 1937 keine Platten mehr aufnehmen. Johnson arbeitet in Kohleminen, bei der Eisenbahn und in der Stahlindustrie. 1945/46 wechselt Johnson von der akustischen zur elektrischen Gitarre; viele Kenner bedauern das, weil sie sagen, damit habe er seinen unverwechselbaren Ton verloren. Von dieser Zeit an bis 1952 arbeitet er für das Plattenlabel King. Konzerte 1952 in England bringen keinen nennenswerten Publikumserfolg. Johnson kann mal wieder keine Aufnahmen mehr machen und arbeitet in Philadelphia als Liftboy und Pförtner in einem Hotel. Dann verliert sich zeitweise seine Spur; 1958 soll er in Chicago als „ein kranker, schäbig gekleideter Mann“ gesehen worden sein. Aber ab 1960 ist er wieder im Studio, nachdem er von der Folkszene in New York „wiederentdeckt“ worden und zu Privatkonzerten eingeladen worden war. 1963 bereist er sogar noch als Mitglied des Programms „American Folk Blues Festival“ Europa und nimmt in Kopenhagen ein Album auf. Am 16. Juni 1970 stirbt Lonnie Johnson in Toronto (Kanada).
Von Lonnie Johnson ist eigentlich jeder Bluesgitarrist seither beeinflusst. Es ist bekannt, dass etwa Robert Johnson ihn verehrt hat. Und seit T-Bone-Walker die E-Gitarre im Blues etabliert hat, sind die Möglichkeiten des Melodiespiels auf der Bluesgitarre schier unerschöpflich geworden. Ob nun die markanten Linien von B.B. Kings Lucille oder die Feedbackkaskaden von Jimi Hendrix oder Buddy Guy – letztlich beziehen sie sich alle auf Johnson.
Am 17. November 1928 ging Johnson in ein Aufnahmestudio in New York, um einige Blues-Instrumentalnummern mit einem anderen außergewöhnlichen jungen Gitarristen aufzunehmen, der unter dem Namen Eddie Lang bekannt war. Und diese erste Session veränderte wirklich die Geschichte des Blues bis heute. Was würde man nicht dafür geben, diese beiden außergewöhlichen Gitarristen dabei beobachten zu können, wie sie sich Licks und Riffs in „Two Tone Stomp“ oder „How To Change Keys to Play These Blues“ zus pielten? Wie Denny Illet letztens schrieb, hat sich „die Entwicklung der Gitarre von dem Punkt an daran orientiert, was Johnson und Lang an diesem Tag und über den Zeitraum des nächsten Jahres gespielt haben“.
Dabei ist schon der Fakt, dass Lonnie Johnson und Eddie Lang gemeinsam im Studio standen schon bedeutsam. Schwarze und Weiße taten das damals einfach noch nicht gemeinsam. In den 1920er Jahren befinden wir uns noch mitten drin in der schlimmsten Zeit der Rassentrennung, des Rassismus und der Diskriminierung gegenüber Amerikanern afrikanischer Abstammung. Als die Platten von ihnen veröffentlicht wurden, waren sie für den Markt der Farbigen bestimmt. Und so wurde Lang auf den Covern Blind Willie Dunn genannt, um vorzutäuschen, er wäre schwarz. Die beiden Musiker scheinen allerdings die gesellschaftlichen Sitten der Zeit völlig ignoriert zu haben und haben immer wieder gemeinsam gespielt. Und auch wenn sie das unter Decknamen machten – hier zeigte sich, dass Musik in der Lage ist, Grenzen zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Zeitweise haben sie die Maskerade so weit getrieben, dass einige Aufnahmen im April und Mai 1929 gar als „Blind Willie Dunn and his Gin Bottle Four“ veröffentlicht wurden. Hier waren neben Lang und Johnson auch noch Komponist/Orchesterleiter Hoagy Carmichael als Scatsänger und Percussionist, Pianist J.C. Johnson und der legendäre King Oliver mit seinem Kornett beteiligt.
Zu dem Zeitpunkt war Lang der begehrteste Session-Gitarrist in New York und trat auch regelmäßig in Rundfunksendungen, Theatern und Konzerthallen auf. Angefangen hatte er gemeinsam mit seinem Klassenkameraden Joe Venuti in einer Band. Doch nach einem längeren Engagement, das bis nach London führte, wollte er in New Yorks sesshaft werden und spielte hauptsächlich als Sideman. Lang gilt als Vater der Jazzgitarre und spielte etwa auf der ersten Aufnahme des Jazz- und Popstandards „Georgia On My Mind“, das Hoagy Carmichael mit seinem Orchester 1930 aufnahm. Schon 1924 hatte er in „Deep Second Street Blues“ eines der ersten je aufgenommenen Single-Note-Solos aufgenommen. Ja, manche bezeichnen ihn gar als den eigentlichen Erfinder der Jazz-Gitarre. Auf jeden Fall sorgte sein Spiel etwa mit dem Orchester von Frankie Trumbauer bei „Singing‘ the Blues“ im Jahre 1927 dafür, dass in den nächsten Monaten sämtliche Banjospieler der New Yorker Szene die Gitarre zumindest als Zweitinstrument lernten oder gleich ganz umstiegen.
Lang übernahm ein festes Engagement beim Sänger Bing Cosby, als dieser das Orchester von Paul Whiteman verließ. Leider starb Lang bereits 1933 an den Folgen einder Mandeloperation. Bing Cosby hatte ihn überredet, diesen Eingriff machen zu lassen, weil er ihn in seinem nächsten Film eine Sprechrolle übernehmen sollte. Lang hatte eine chronisch heisere Stimme und man hoffte, dies durch die Operation verändern zu können. Was genau bei dem Eingriff schief gelaufen ist, ist nicht völlig klar. Einige Chronisten sprechen von einer Blutung, die nicht gestoppt werden konnte. Andere gehen davon aus, dass Lang in Narkose eine Embolie erlitt und das Bewußtsein nicht wiedererlangte. Langs Gitarre blieb lange Zeit der Maßstab für die Jazzgitarre allgemein. Das änderte sich erst mit Musikern wie Django Reinhardt (der sich in seinem Spiel ganz klar an Lang anlehnte) und Charlie Christian, der seine Anregungen auf die E-Gitarre übertrug und gleichzeitig den Weg vom Swing zum Bebop mit bahnte.