Es ist eine der schönen David gegen Goliath-Geschichten, um die es am Anfang von „Berufung“ geht. Doch John Grisham ist mittlerweile meilenweit entfernt von seiner unkritischen Haltung zum amerikansichen Rechtssystem. Berufung ist (abgesehen von der Dokumentation „Der Gefangene“) das kritischste Buch bisher.
Die Geschichte: Böser Chemiekonzern vergiftet die Umwelt und bringt damit die Leute um ist wahrhaft nicht neu. In Literatur und Film wurde diese Konstellation inklusive der mutigen Geschworenen, die es der Industrie mal so richtig zeigen wollen, immer wieder gezeigt. Doch da wo diese Bücher aufhören, fängt „Berufung“ erst an: Der Hauptanteilseigner des verurteilten Unternehmens Krane Chemicals, der mit mehreren Milliarden und seiner dritten Ehefrau gestrafte Carl Trudeau beschließt, den Geschädigten nichts zu zahlen.
Statt dessen willigt er ein, ein Unternehmen damit zu beauftragen, in Mississippi einen ihm genehmen Richter in den Supreme Court zu wählen. Ron Fisk, ein völlig unbedeutender, aber dafür weißer, konservativer und streng christlicher Anwalt wird als Gegenkandidat zu der Richterin Sheila McCarthy ins Rennen geschickt. Finanziert wird die Kampagne von den üblichen Verdächtigen, wenn es um die Gegner des amerikanischen Schadenersatzrechts geht: Versicherungen, Großindustrie, Ärzte, Waffenlobby. Keine Chance für die als liberal beschimpfte Richterin. Und keine Chance für die Opfer von Krane Chemical. Denn Fisk tut willig, was man von ihm erwartet: Jegliche Ansprüche an Schadenersatz oder Strafen werden vom Gerichtshof in Folge kassiert. Egal wie himmelschreiend das Unrecht auch ist. Erst als sein Sohn Opfer eines ärztlichen Kunstfehlers wird, fängt er ein wenig an nachzudenken.
Hatte Grisham die Aufhebung von Urteilen durch Angriffe auf Richter der oberen Gerichte schon in Büchern wie „Die Akte“ thematisiert: Hier stellt er in aller Deutlichkeit die Praxis vieler Bundesstaaten zur Wahl von Richtern in die Kritik: Diese Praxis öffnet letztlich Korruption und Lobbyismus (auch von Seiten der geldgierigen Prozessanwälte natürlich) Tor und Tür. Ein gerechtes Urteil, so sein leicht bitteres Fazit – ist auf diesem Wege mittlerweile nicht mehr zu bekommen. Und die Superreichen können sich beruhigt wieder Problemen wie dem Erwerb der nächsten Megajacht oder der Verdopplung des Milliardenbesitzes widmen.