Julia Heinrichs inszeniert Dennis Kellys „Waisen“ temporeich am Theater Vorpommern. Nicht allein als packendes Kammerspiel, sondern auch als ein erhellendes Psychogramm von Gewalt.
Das Blut läßt sich nicht leugnen, weder einfach so abwischen noch wegwischen. Nicht erst mit Liams plötzlichem Auftauchen bröckelt der Traum von der heilen Familie. Das besinnliche Abendessen der Eheleute Helen und Danny bei Kerzenschein und Wein ist dahin. Liams verschmutztes T-Shirt wirft Fragen auf. Dies nicht allein. Es wird für alle ein schmerzlicher Abend, an dessen Ende mehrere Entscheidungen gefällt sind.
„Waisen“ ist für Julia Heinrichs die zweite Auseinandersetzung mit Dennis Kelly. Nach Stendal bietet ihr Theater Vorpommern die Chance, zum zweiten Mal ein Werk des britischen Autors auf die Bühne zu stellen. Sie setzt dabei auf behutsame Verschlankung und Konzentration der Handlung. Das Ringen zwischen Helens abgerutschtem Bruder Liam und dem vor erneutem Kinderglück stehenden Paar soll einen unbändigen Sog entwickeln.
Diese Bürde meistern die Darsteller eindrucksvoll. Markus Voigt entwickelt aus Danny aus einem anfangs farblosen wie mustergültigen Lebenspartner hin zu einem über seine Kraft selbst erschrockenen Mann. Ein nuancenreiches Wechselbad an Gefühlen mit wechselnden Loyalitäten zwischen Blutsbande, Ehe und selbstbestimmten Glück führte Katja Steuer als Helen vor Augen während Sören Ergang mit der nötigen Prise Bitternis und Unbedingtheit den perspektivlosen, destruktiven wie rassistischen Liam gibt.
Nicht ein ungeborenes, fast nicht gewolltes Kind einer mit Trauschein besiegelten Beziehung, sondern ein eingewanderter wie hilfloser wie unschuldiger Familievater stirbt am Ende. „Waisen“ wirft viele Fragen auf, die heute zur Diskussion stehen und über die öffentlich debattiert werden muß. Grundsätzlich steht dabei im Raum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. „Waisen“ gibt dafür einen wunderbaren Anstoß. Der Senf muß vom Publikum kommen.